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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)


daß man das Unheil nicht in etwas durch rechtzeitig getroffene Maßnahmen gemindert habe. Was die bayerische Forstverwaltung zu hören bekam anläßlich dieses Unglückes, das vorwiegend den Staat getroffen hat, läßt sich nicht einmal andeuten. Allein was ist menschliches Können und Wollen höherer Gewalt gegenüber! Den Milliarden von Nonnen hätten auch alle Forstleute der Welt nicht den Raubeinfall verwehren können. Zudem haben sich alle Versuche gegen das Massenauftreten der Schmetterlinge als wirkungslos erwiesen.

Ich will versuchen, den Eindruck eines Ganges durch den Hauptherd der Nonnenverwüstung, den Ebersberger Park an der Bahnlinie München-Rosenheim, zu schildern.

Wer in Kirchseeon, dem Sitze einer Anstalt zum Kyanisiren der Lärchenschwellen (eine vom Engländer Kyan erfundene Beizmethode, welche den Eisenbahnschwellen große Dauerhaftigkeit verleiht), die Bahn verläßt, wird verwundert auf das frische Grün der angrenzenden Bestände blicken, das in nichts eine Waldkatastrophe ahnen läßt.

Holzhauer in dem von der Nonne zerstörten Walde.

Allein dort an der Straße, die forsteinwärts die Höhe hinanzieht, sind Soldaten des bayerischen Eisenbahnbataillons mit der Aufrichtung von Telephonstangen beschäftigt, und weiter unten wird die Waldbahn ausgesteckt, die in wenigen Wochen an 10000 Tagwerk geschlagenes Holz zur Hauptbahn führen soll.

Die blanken Telephonstangen werden zum Führer in das Nonnengebiet, ein schmales Sträßlein biegt auf der Berghöhe ab, durch einen Wildzaun abgesperrt. Roth- und Rehwild mag dieses Parkthor abhalten, die vom Forstamt vorgezeichnete Grenze zu überschreiten, die gefräßige Nonne nicht. Schon erscheinen einzelne Fichten sonderbar weißlich, wie mit Mehl bespritzt, über das schmutziges Wasser gegossen wurde. Am Baumstamme sitzen die Falter wie angeklebt, doch noch vereinzelt. Wir haben das Parkthor hinter uns und wandern unter klatschendem Regen die tiefausgefahrene Straße quietschenden Fußes weiter. Ein schmaler Waldweg, links und rechts eingefaßt von kolossalen Baumriesen! Schon macht die Färbung stutzen, die Wipfel sind nicht grün, sondern rostbraun – dann aber baumabwärts nichts als dürre, abgestorbene Aeste, von weißen Flechten behangen, zum Himmel gestreckten Armen gleich, von denen das Gewand wallend herabhängt. Wie es so eigen durch diese unzähligen Bäume tropft!

Der Regen träufelt ohne Hinderniß von der Krone hindurch auf den Boden, der besäet ist mit abgestorbenen Nadeln; kein Ast mehr im grünen, erquickenden Behang, sondern gelbweißlich oder schmutziggrau, und so der Stamm bis herab zur Wurzel! Bei näherem Zusehen ergiebt sich, daß Hunderte und Tausende von Faltern Stamm und Aeste belagern. Der Landregen zwingt augenblicklich das Insektenvolk zur unfreiwilligen Ruhe, aber trockene warme Luft macht es schwirren, und in weißen Wolkenschwärmen zieht es wäldermordend weiter. Es erfüllt bei regnerischer Witterung auch der auf einem Hügel aufgestellte „Exhaustor“, der statt „Ausschöpfer“ eigentlich „Einhaucher“ genannt werden sollte, seinen Zweck als Nonnenfänger nicht. Ein seltsamer Anblick, dieser rothbehalste Exhaustor, dem zur Seite zwei Lokomobilen, eine zur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 606. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_606.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)