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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Vom X. internationalen medizinischen Kongreß in Berlin. (Mit Abbildung S. 584 und 585.) Berlin stand während der ersten Augusttage im Zeichen der Schlange, jener Schlange, welche sich um den Stab Aeskulaps windet und mit so klugen Augen ihre beiden Zünglein spielen läßt, deren eines Pathologie und deren anderes Therapie redet.

Eine hochansehnliche Versammlung weilte in seinen Mauern, wie man selten ihresgleichen sah. Nicht der Zahl nach allein, obwohl man 5600 Aerzte einschrieb in die Listen der Theilnehmer; etwa die Hälfte waren Deutsche, unter den übrigen aber waren die Vereinigten Staaten von Nordamerika allein mit 623, Rußland mit 421, England mit 353, Oesterreich mit 139 vertreten, und auch Australien, China, Japan, die Gehänge der Kordilleren, Mexiko, das Kapland und nicht zu vergessen Frankreich, welches dem menschenfreundlichen Zwecke die alte politische Empfindlichkeit unterordnete, stellten zahlreiche Abgesandte. Aus der ganzen Schlachtreihe dieses zum X. medizinischen Kongreß freudig zusammengeströmten Volkes herrschte ein so hingebendes, begeistertes und aufrichtiges Ringen nach Wahrheit, ein so unentwegtes Streben nach Vervollkommnung des Wissens und Könnens, daß jeder einzelne gleichsam geadelt wurde von der großen menschlichen Idee, in deren Dienste er stand.

So fühlte sich die Stadt hochgeehrt durch die Gäste, deren friedliche und menschenfreundliche Arbeiten zur Ausbreitung des Wissens und zum Heile der Menschheit in den einzelnen 18 Sektionen fast ununterbrochen in den Morgenstunden die fleißigen Meister, welche bei ihren Kollegen wieder zu Schülern wurden, zusammenführten. Etwa siebenhundert angemeldete Vorträge hielten Aeskulaps Jünger, die übrigens theilweise recht alte Herren waren, in Athem, und die medizinische Ausstellung mit ihren wunderbaren Präzisionsinstrumenten und Präparaten und technischen Erfindungen und Vervollkommnungen auf dem Gebiete der Krankenpflege nahm die Zeit in Anspruch, welche die Sektionen ihnen etwa freigelassen hatten. Dabei stand noch manches andere auf dem Programm der edlen Gäste: so die Besichtigung von Krankenhäusern, Blindenanstalten und Irrenhäusern, Arbeitshäusern, Schlachtviehmärkten und Kanalisationsbauten, auf welchen Gebieten Berlin unbestritten mit die erste Stufe unter allen Weltstädten einnimmt; erfreut es sich doch infolge seiner Musteranstalten einer verhältnißmäßig sehr geringen Sterblichkeitsziffer.

Damit aber auch die anmuthige Weiblichkeit – außer den acht anwesenden Aerztinnen wohnten etwa vierzehnhundert Damen in der Rolle von Gattinnen, Töchtern oder Schwestern dem Kongreß bei – ihre Rechnung fände, sahen wir Bälle, Ausflüge in die noch immer nicht hinreichend gewürdigte schöne Umgebung Berlins, Sammellokale in der täglich erscheinenden Festzeitung angezeigt, an deren Besitz wie an dem kleinen goldnen Aeskulapstabe im Knopfloch man die Aerzte auf der Straße erkannte. Wir fanden die „Schlangenmenschen“, wie sie der Berliner Volkswitz getauft hat, in allen Typen, gewöhnlich Truppweise in der Nähe von Sitzungszimmern, das Berliner Straßenleben beobachtend oder in offenen Droschken dahinfahrend. Ein wahres Babel von Sprachen war die Reichshauptstadt geworden. und die lateinischen Namen ärztlicher Begriffe bildeten oft das einzige Volapük der verschiedensprachigen Gelehrten. Der Landarzt, der junge Streber, der Geheime Sanitätsrath mit grauem Haar, der schnurrbärtige Militärarzt, der medizinische Forscher, das sind alles Typen, welche man mit einigem Scharfsinn an den umherwandelnden Aerzten zu unterscheiden vermag.

Alle Theilnehmer aber, die Damen und Ehrengäste eingeschlossen, vereinigten sich bei den allgemeinen Versammlungen, deren erste, diejenige, welche am 4. August den Kongreß eröffnete, der Künstler in unserem Bilde festgehalten hat. Der Schauplatz war der große Cirkus Renz, und dies kann niemand wunderlich erscheinen, der bedenkt, daß Hippokrates, der Vater der Medizin, zu deutsch „Rossebändiger“ heißt. Aber abgesehen davon hätte man in Berlin keinen herrlicheren, einheitlicheren, weihevolleren Raum finden können als diesen, nachdem die Hand namhafter Künstler ihn für diesen Zweck hergerichtet hatte. Neben der vor einem nischenartigen Bau aufgestellten Rednerbühne erhob sich vor der vortrefflich gemalten Ansicht des Hauptsaales aus den Thermen des Caracalla eine von Westphal modellirte Riesenstatue des Aeskulap, auf einem vergoldeten Throne sitzend, und gewissermaßen als Priester zu den Füßen des alten Gottes der Heilkunst sprachen die größten, um die Medizin hochverdienten Männer, Virchow, der Engländer Joseph Lister, der weltberühmte Vertreter der antiseptischen Wundbehandlung, und, das ganze Gebiet der Bacteriologie geistvoll zusammenfassend, der Direktor des hygieinischen Instituts Robert Koch, unter dem begeisterten Zuruf der die herrlichen Räume bis zu den letzten Galerieplätzen füllenden gelehrten Gemeinde.

Wohl an siebentausend Köpfe zählte die Versammlung, die da im Lichte von ungeheueren Bogenlichtlampen und großen Gaskronen – den Zutritt des Sonnenlichts hatte man in der großartigen, durch Tempelbauten mit plastischem Schmuck, Flaggenreihen und Blumenkronen geschmückten pantheonartigen Rotunde abgesperrt – beisammen war: vielfach strahlten Goldtressen, Epauletten, Orden und Ehrenzeichen, und die hellfarbigen Roben der Damen unterbrachen das schlichte Dunkel der Herrenkleider. Die inhaltreichen goldenen Worte, welche Virchow an die Festversammlung richtete, die Reden des Generalseketärs des Kongresses, Dr. Lassar, des Staatsministers von Boetticher, welcher im Namen des Kaisers und der Reichsregierung sprach, des Kultusministers Dr. v. Goßler, des Oberbürgermeisters von Forckenbeck, welche den Kongreß mit erhebenden Worten willkommen hießen, die Ansprachen der Vertreter des Auslandes in englischer, französischer, italienischer, ungarischer, russischer und portugiesischer Sprache – Aretäos, der Vertreter Griechenlands, sprach sogar lateinisch, – fesselten und begeisterten fünf Stunden lang die hochgespannte Zuhörerschaft, welche nur eine einzige Pause fand, um sich an den fünfzehn angebrachten Büffetten zu erfrischen. Nach dieser übertrug Prof. Virchow das Präsidium dem herzoglichen Augenarzt Karl Theodor in Bayern, dessen schöne junge Gattin und Mitarbeiterin als eine höchst anmuthige Erscheinung auffiel und der hocherfreut mit den Ausdrücken höchster Bescheidenheit das ihm übertragene Ehrenamt annahm.

Die Tage ernster Arbeit, fröhlichen Schauens und Genießens sind nun vorüber für die ärztlichen Gäste: diese haben sich wieder zerstreut, dahin und dorthin, jeder bereit, in seiner Heimath den Keim des Fortschritts, welchen er in sich aufgenommen, zum Wachsen und zum Gedeihen zu bringen. Möge es an reichem Erfolge nicht fehlen, und der X. internationale medizinische Kongreß gesegnet werden als ein guter Schritt vorwärts auf dem Wege der menschlichen Wohlfahrt! Oscar Justinus.


Ein Kampf in den Wolken. (Zu dem Bilde S. 597) Die alten Chroniken wissen gar mancherlei zu erzählen von Gefechten und Schlachten, die sich in früheren Jahrhunderten die Thiere geliefert haben sollen. So fand angeblich im Jahre 1438 bei Lüttich ein großer Kampf zwischen einer ungeheuren Menge von Geiern und Raben statt, in welchem die ersteren obsiegten. Im Jahre 1461 trugen in einem ähnlichen Gefechte, das bei Benevento in Süditalien sich entsponnen hatte, die Raben den Sieg davon. Eine ungemein blutige und verlustreiche Schlacht fand 1587 an der kroatischen Grenze, unweit der Feste Wichatsch, zwischen mehr als einer Million Gänse und Enten statt. Die Einwohner von Wichatsch sollen sich an den Todten und Verwundeten dieser Schlacht krank gegessen haben. Adler sollen 1656 bei Danzig und 1662 bei Magdeburg gegeneinander gekämpft haben. Seltener sind Schlachten zwischen den vierfüßigen Thieren. Nach einer französischen Chronik sollen 1580 auf einer Ebene Frankreichs eine ungeheure Menge Schweine einander bekämpft und getödtet haben.

So die wundergläubigen Chroniken. Besser bezeugt ist der Kampf zwischen Thieren, welchen unser Künstler schildert. W. Gräbheim zeigt uns die Rabenkrähe in einem Unterfangen, wie es öfters beobachtet wird. Ein Mäusebussard hat zur Abwechslung einmal einen jungen Hasen oder ein Kaninchen „geschlagen“, d. h. gefaßt, und will sich mit seinem Raube in ein sicheres Versteck flüchten. Aber er hat die Rechnung ohne den Wirth gemacht. Die schwarze Feldpolizei, die hat scharfe Augen, und wenn sie etwas mit Beschlag belegen kann, ist sie immer bei der Hand. Mit wüthendem Geschrei stürzen sich die Rabenkrähen auf den beutebeladenen Bussard – die Federn fliegen, er kann sich gegen den vereinten Angriff mit der schweren Bürde nicht wehren – seine Fänge öffnen sich – und unbehelligt kann er weiter streifen – während die schwarze Gesellschaft mit höhnenden Rufen dem Raube nach zur Erde schießt.

Nach der Kirchweih. (Zu dem Bilde S. 600 und 601.) Beim Schloßwirth in Oberhausen ist gestern gerauft worden. Tüchtig gerauft; denn die Oberhausener und die Bensberger waren hintereinander: da konnt’ es unmöglich gut ausgehen, am wenigsten beim Kirchweihfeste. Seit Menschengedenken ist es hergebracht, daß die Oberhausener und die Bensberger am Kirchweihsonntag miteinander ins Gefecht kommen. Es sind zwei blühende Ortschaften, dies Oberhausen und dies Bensberg, in einem sonnigen, gesegneten Landstriche Westdeutschlands gelegen, am Fuße eines langgestreckten waldigen Höhenzugs. Sie könnten sich recht gut vertragen, die Bensberger und die Oberhausener: aber es liegt nicht in ihrem Temperament, sich zu vertragen. Abseits jener beiden Dörfer liegt noch ein drittes, Ickstätten genannt, welches in den Kämpfen zwischen Oberhausen und Bensberg meistens eine neutrale Stellung einnimmt, weil es zu klein ist, um eine genügende Anzahl streitbarer Jugend zu stellen. Dafür stellt das kleine Ickstätten in der Tochter seines Wirthes, der blonden Rosel, das schönste Mädchen im Umkreis von mindestens zehn Gemeinden. Auf diesen neutralen Boden haben sich heute die verwundeten Oberhausener Helden begeben. Dem einen ist gestern unversehens ein schwerer Steinkrug ans rechte Auge geflogen; dem andern wurde durch einen Hieb mit einem Zaunpfahl die linke Hand übel zugerichtet. Und nun sitzen sie da, der Georg und der Michel, bei der blonden Rosel und erzählen ihr, wie sie die Bensberger hinausgeprügelt haben aus dem Wirthshaus und aus dem Dorfe bis an die Brücke, die über den Bach führt, welcher die Oberhausener und die Bensberger Gemeindeflur scheidet. Die Rosel aber und das schwarzäugige Schenkmädchen, das hinter ihr steht, die horchen beide mit solcher Aufmerksamkeit, daß man wenig Vertrauen in ihre Neutralität setzt. In dem Augenblicke wenigstens nehmen beide entschieden Partei für die Helden von Oberhausen, was man ihnen auch nicht verargen kann. Denn bildhübsche Bursche sind sie, die beiden Verwundeten, und wen die blonde Rosel einen von ihnen zum Manne nimmt, hat sie gewiß nicht unrecht. Der andere aber, der sie nicht bekommt, wird ohne Zweifel seinen Groll darüber nicht an seinem Freunde und Kriegskameraden auslassen, sondern – bei nächster Gelegenheit wieder an den Köpfen der Bensberger! H.




Kleiner Briefkasten.

(Anfragen ohne vollständige Angabe von Namen und Wohnung werden nicht berücksichtig.)

J. R., Warschau. Da ist guten Rath wirklich theuer! Wir möchten Ihnen den unmaßgeblichen Vorschlag machen: lassen Sie Ihr Töchterchen ruhig noch eine Weile Kind sein, d. h. die „Deutsche Jugend“ weiter lesen, solange, bis Sie ihm die „Gartenlaube“ glauben in die Hand geben zu können.

Abonnentin in Malang auf Java. Wir bedauern, daß Sie sich aus so weiter Ferne umsonst an uns gewandt haben. Wir kennen leider weder das Werk noch die Verfasserin, nach deren Wohnort und wirklichem Namen Sie uns fragen.

F. Sch. Philadelphia. Aeltere Jahrgänge der „Gartenlaube“ kosten, soweit noch vorhanden, broschirt 7 , gebunden 9 .

Fräulein B. in Gl. Wenn Sie als allein reisende Dame in Dresden nicht gern einen Gasthof aufsuchen wollen, so können Sie in dem dortigen „Mädchenheim“ des Vereins „Volkswohl“ ein gutes Unterkommen, auf Wunsch auch Verpflegung finden. Das Heim befindet sich Gärtnergasse 3, wenige Minuten vom Böhmischen Bahnhof, weitere Auskunft können Sie durch die Hausmutter, Frau Müller, erhalten.

F. U. in Stettin. Im volksthümlichen Sprachgebrauch werden „Sternschnuppen“ und „Meteore“ oft verwechselt. Eigentlich aber dient der Ausdruck „Meteor“ zur Bezeichnung der „Feuerkugeln“, die, an und für sich den Sternschnuppen verwandt, sich von diesen hauptsächlich durch größere Helligkeit und scheinbaren Durchmesser – nicht selten kommt derselbe der Mondscheibe gleich – unterscheiden. Die Feuerkugeln explodiren meist, mit oder ohne Geräusch, und die nach der Explosion auf die Erde herabfallenden Stücke führen die Bezeichnung „Meteoriten“ oder „Meteorsteine“. Die Zusammensetzung der letzteren ist eine äußerst mannigfaltige und in der Hauptsache ist nur daran festzuhalten, daß man in ihnen noch keine Stoffe gefunden hat, die nicht auch auf der Erde vorkämen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_611.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)