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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Snarre lachte. „Gut, helfen Sie mir die Limforder Werke verkaufen. Die sind es, die mir Alpdrücken machen. Ich habe nichts als Unannehmlichkeiten davon – verzeihen Sie, das bedeutet keinerlei Vorwürfe gegen die einstigen Besitzer – und jetzt, da Herr von Alten mich verlassen wird, bin ich erst recht rathlos!“

„Herr von Alten wird Sie verlassen? Mag er nicht mehr auf Limforden sein?“ stieß Dina mit naiver Lebhaftigkeit heraus.

„Er mag wohl, aber ich mag ihn nicht!“ warf Snarre etwas hochmüthig hin.

„Haben Sie Unfrieden gehabt?“

„Allerdings!“

„Dann sind Erlaucht sicher der schuldigere Theil! – Bitte um Verzeihung für diese unbescheidene Rede –“ fügte Dina rasch hinzu, als sie sah, daß Snarre ihre Worte durchaus nicht so gutgelaunt aufnahm, wie sie es erwartet hatte. Snarre vermochte in der That eine leichte Verstimmung nicht zu beherrschen und sagte etwas schroff:

„Weshalb, meine schöne Gnädige, nehmen Sie ohne weiteres, ohne Einblick in die Verhältnisse an, daß ich der Schuldigere bin? Sie scheinen wirklich zu glauben, ich besäße nur eine gewisse äußerliche Wohlerzogenheit und wollte in Wirklichkeit nichts von der Morallehre wissen, die uns vorschreibt, unseren Nebenmenschen auch menschlich zu begegnen!“

„O nein, Erlaucht. Aber da Sie meine scherzhafte Aeußerung so ernsthaft nehmen, so gestatten Sie mir, ernsthaft darauf zu antworten. Mir stehen ja keine erheblichen Erfahrungen zur Seite, aber die Natur gab mir, glaube ich, gesunden Blick und Einsicht genug in das, was sich mir im Leben entgegengestellt hat. Wenn ich sagte, Sie seien schuld, so war es nur in dem Sinn gemeint, als ich überzeugt bin, daß nicht die geschäftlichen Angelegenheiten allein zu einem Zerwürfniß Veranlassung gaben, sondern daß Alten durch die überlegene Art verletzt worden ist, mit der Sie ihm begegneten. Einen Tadel ohne diese Beimischung hätte er ruhig hingenommen!“

Snarre sah mit Erstaunen auf das kleine Mädchen, das in so wohlgesetzter Rede ihn abermals so richtig schilderte. Aber diesmal war er nicht verletzt, ja, seine an Gereiztheit streifende Empfindlichkeit war verschwunden. Er fühlte, daß Dina einen guten Einfluß auf ihn auszuüben vermöge, und er lehnte sich keineswegs dagegen auf, von ihr eine Zurechtweisung zu empfangen, sich durch sie zu veredeln. Die Wendung des Gespräches gab ihm auch Veranlassung zu einem raschen Entschluß. Ohne Besinnen sah er Dina mit festem, warmem Blick ins Auge und sagte: „Fräulein Dina, beantworten Sie mir einmal aufrichtig eine Frage: Sind Sie mir ein wenig gut?“

Sie sah ihn ruhig und mit treuherzigem Blick an. „Ja,“ entgegnete sie dann. „Ich bin Ihnen gut, aber nicht dem Grafen Esbern-Snarre, Erlaucht, wie er sich auf den Pariser Photographien zeigt.“

Nach diesen Worten verbeugte sie sich mit einer die Peinlichkeit des Gespräches glücklich aufhebenden neckischen Grandezza und – huschte aus dem Zimmer.

Snarre aber schaute ihr nach und bewegte sinnend den Kopf. „Ja, liebt mich nun das verteufelte kleine Frauenzimmer, oder – oder – liebt sie mich nicht? Der Kuckuck werde aus den Frauen klug!“ murmelte er. –

Die Gesellschaft beim Oberpräsidenten machte ihn nicht klüger in dieser Frage. Wie immer bei solchen amtlichen Festlichkeiten, zu denen fast nur die Spitzen der Behörden geladen sind und bei denen jeder peinlich darauf bedacht ist, seiner Würde nichts zu vergeben, ging es auch hier ziemlich steif und langweilig her. Dem Grafen war zudem, als dem vornehmsten der Gäste, die Ehre zu Theil geworden, die Dame des Hauses zu Tisch zu führen, und so war er gerade während des Mahles, also während desjenigen Theils des Festes, der am leichtesten die Gemüther etwas auftauen und sie den Zwang der vorgeschriebenen Förmlichkeiten abstreifen läßt, von Dina, die sich in einem Kreis junger Offiziere herrlich zu unterhalten schien, getrennt.

Vergebens suchte er aus der Ferne auch nur einen freundlichen Blick zu erhaschen; Dina schien, ganz der Unterhaltung mit ihren Nachbarn hingegeben, seine Anwesenheit völlig vergessen zu haben, und als die Tafel endlich aufgehoben wurde, entschwand sie ihm in den Wogen des Tanzes, während er sich mit der Präsidentin an einem Whisttisch niederließ.

Als es ihm später gelang, der Entschwundenen doch noch habhaft zu werden, machte er ihr aus seiner Verstimmung über ihre Gleichgültigkeit kein Hehl. Wie erstaunte er aber, als ihn die großen Kinderaugen, die sonst so fröhliche Blitze schossen, mit einem Ernst ansahen, den er ihnen nie zugetraut hätte! Und wie ganz anders klang die Stimme, als sie ihm antwortete:

„Sie fragten mich heute nachmittag, ob ich Ihnen gut sei, Herr Graf! Ich erwiderte mit einem ‚Ja‘. Da sprach aus Ihnen der Mensch, nicht der Graf Snarre, der als selbstverständlich annimmt, daß er stets siegen muß, wenn er darauf ausgeht. War diese ehrliche Antwort nicht genügend? Hundert Augen beobachten uns, die nichts lieber erspähen möchten als etwas Häßliches, mit ihren Voraussetzungen sich Deckendes, also in diesem Falle: Graf Snarre ist täglicher Gast im Ericiusschen Hause, und das hat doch etwas sehr Auffallendes und wirft doch ein sehr eigenthümliches Licht auf die Frau Ericius. Ja, Herr Graf, so urtheilen die Menschen, wir haben Beweise dafür! – War da ein Austausch von Blicken am Platze, ja, war es nicht weise gehandelt für alle, ich sage, alle Theile, daß ich that, wie geschehen? Sie können nichts einbüßen – Sie haben nichts zu verlieren, wohl aber die kleine Ericius. Und nun zürnen Sie mir nicht, daß ich das alles so offen gesagt habe, nicht wahr, lieber Herr Graf?“

„Zürnen? Nein, nein, mein liebes, theures Mädchen!“ rief Snarre fortgerissen. „Wahrlich, man kann bei Ihnen in die Schule gehen und lernen, viel lernen. Und sehen Sie, Ihr Takt, Ihre bescheidene und doch so große Klugheit, Ihr Freimuth und Ihre gerade Gesinnung, sie sind es ja, Fräulein Dina, die mich Sie neben all Ihren anderen Vorzügen so –“

Aber Dina unterbrach den Grafen und sah ihn freundlich bittend, ja sogar ein wenig ängstlich an. „Bitte nicht!“ stand in ihrem Auge geschrieben.

Zufällig trat in diesem Augenblick der Herr des Hauses auf Snarre zu, um sein Urtheil über eine Havanacigarre einzuholen, und so wurden sie ohnehin getrennt.




15.

Das große Schreibpult, vor dem Richard Tromholt in seinem Comptoir bei der Zollbude in Kopenhagen saß, war bedeckt mit Schriften, Briefen und Papieren, und in drei Nebenräumen sah man zahlreiche Arbeiter mit emsig kritzelnden Federn. Telegramme wurden gebracht und sofort beantwortet, Agenten und andere Geschäftsleute strömten aus und ein, im Flur stand die Thür nicht einen Augenblick still. Ein erstaunlich reges Hin und Her bis zur Börsenzeit!

Das Geschäft von Richard Tromholt blühte in ungewöhnlicher Weise. Daß ein Mann innerhalb weniger Jahre sich so emporzuschwingen verstanden hatte, gar ein fremder, überraschte selbst die sehr thätigen Geschäftsleute Kopenhagens. Nur ein Mensch, der mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet war, vermochte so rasch zu solchen Erfolgen zu gelangen.

Tromholt schickte sich, da er noch Geschäfte auswärts zu erledigen hatte, eben an, das Bureau zu verlassen, als ihn Graf Utzlar um eine Unterredung bitten ließ, die er ihm sofort gewährte. In dem Mann, der gleich darauf in gebeugter, sichtbar verlegener Haltung die Schwelle des Gemachs überschritt, hätte man wohl kaum den tollen Utzlar von einst wiedererkannt, so groß war die Veränderung, die mit ihm vorgegangen war. Er war gealtert, viel mehr, als es die wenigen Jahre, die seit seiner Trennung von Susannen verflossen waren, erwarten ließen, sein Haupthaar hatte sich gelichtet, und der blonde Vollbart, der sein Gesicht umrahmte, war schon vielfach von grauen Fäden durchzogen. Aus diesem Gesicht aber hatte die Spur überstandener Leiden jeden Zug des früheren Hochmuths völlig verdrängt, ernst und wehmüthig blickten die blauen Augen in die Welt, die ihnen einst des Begehrenswerthen nicht genug zu bieten gehabt hatte. Dem Seelenkenner aber konnten trotz dieser Zeichen des äußeren Verfalls die Spuren einer sittlichen Erhebung nicht entgehen, welche die Erscheinung des Mannes in dem schlichten, aber von peinlichster Sauberkeit zeugenden Anzug veredelten.

Ueber die Schicksale, welche diese Wandlung vollbracht hatten, sind wir durch die Mittheilungen, welche Tromholt dem Grafen Snarre, als dieser sich nach Utzlar erkundigte, gemacht, im allgemeinen unterrichtet, doch bedarf sein Bericht einer Ergänzung.

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