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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

ruhen, bis er mich getödtet hat, mich und alle, die ich – die mich beschützen. O, sagen Sie, ob er Ihnen etwas angethan hat, dieser – – – Doch nein, Sie sind ja hier, sind gesund, unverletzt, Sie leben, und es war wohl nur meine thörichte Angst, die mich so Schreckliches ahnen ließ!“

Nun konnte auch Tromholt mit der Wahrheit nicht länger zurückhalten. „Nein, es war nicht thörichte Angst, Ingeborg.“ sagte er, „Sie haben das Richtige errathen. Larsen ist hier –“

Mit einem Aufschrei sprang Ingeborg empor, Tromholt aber drückte sie mit sanfter Gewalt auf den Stuhl zurück. „Er ist in Kopenhagen,“ wiederholte er, „aber sein Verhängniß hat ihn hierher geführt, Sie haben nichts mehr von ihm zu besorgen.“ Und nun erzählte er ihr das Nähere, wie ihn Larsen überfallen und wie er, durch Utzlar gerettet, den Verbrecher den Gerichten übergeben habe, deren Sorge es sein werde, ihn für alle Zukunft unschädlich zu machen.

Ingeborg hatte während dieser Erzählung mehrmals die Farbe gewechselt, und als Tromholt geendet hatte, da löste sich die Spannung ihres Gemüthes in einem heißen Thränenstrom. Laut schluchzend schnellte sie empor. „O mein Retter!“ rief sie. „Gott sei gepriesen, daß er Sie aus den Händen dieses Teufels befreit hat!“

Tromholt sprach tröstend auf die Erschütterte ein. „Beruhigen Sie sich, Ihre Gesundheit ist solchen Aufregungen nicht gewachsen. Sie schaden sich, Ingeborg, und ich verdiene nicht solch überschwänglichen Dank.“

Er zog die Widerstrebende empor, sie schwankte, er mußte den Arm um sie schlingen, einen Augenblick ruhte sie an seiner Brust, und ihr feuchtes Auge tauchte sich, jetzt von fast überirdischem Glanz erfüllt, tief in das seine.

„Nein, nein,“ flüsterte sie mit gebrochener Stimme. „Und wenn ich daran sterben müßte, ich bin so glücklich – so glücklich –“

Ein jäher Hustenanfall erschütterte den zarten Körper, kraftlos und todesbleich sank das Haupt zurück. Tromholt rief erschreckt nach Hansine, er selbst trug die Kranke auf den Armen nach ihrem Lager, der Arzt mußte gerufen werden, er befürchtete einen Blutsturz, und die ganze Nacht saß Tromholt im Nebengemach, angstvoll den schweren Erstickungsanfällen lauschend, von denen Ingeborg heimgesucht wurde und die jeden Augenblick das Schlimmste befürchten ließen. Erst gegen Morgen trat eine leichte Besserung ein, und nun suchte auch Tromholt die Ruhe auf, deren er nach den vorhergegangenen Geschehnissen so bedürftig war.




17.

Die geschilderten Ereignisse machten es Tromholt in der nächsten Zeit unmöglich, den Plan einer Reise nach Limforden zur Ausführung zu bringen. Aber auch die Nachrichten, die er von dort erhielt, waren keine erfreulichen; das Verhältniß zwischen Alten und Snarre verschlimmerte sich von Tag zu Tag, und Bianca gab ihrer Besorgniß für die Zukunft gegen den Bruder unverhohlenen Ausdruck. Sie erbat seinen Besuch, sobald es nur immer möglich sei.

Ingeborgs Zustand war seit jenem Abend ein höchst bedenklicher, der nach der Ansicht des Arztes ebensowohl noch Monate sich hinschleppen, als zu einer plötzlichen Katastrophe führen konnte. Utzlar befand sich auf dem Weg der Genesung, aber es war zu befürchten, daß ein paar Finger der verletzten Hand steif bleiben würden. Um so mehr fühlte sich Tromholt verpflichtet, für die Zukunft des Menschen, ohne dessen Dazwischentreten er sicherlich ein Opfer von Larsens Rachsucht geworden wäre, sorgend bedacht zu sein. Seine verschiedenen Besuche bei dem Kranken hatten ihn auch in nähere Berührung mit dessen Braut Agnes gebracht, und er hatte sich dabei in einer jedes fernere Mißtrauen ausschließenden Weise von dem ehrbaren Charakter, dem treuen, selbstlosen Wesen des Mädchens überzeugt, das Utzlar zu seiner Frau machen wollte. Darum that Tromholt jetzt auch alle Schritte zur Verwirklichung jener japanischen Pläne, an deren Werth er nach den eingezogenen Erkundigungen nicht länger zweifeln konnte, und er dachte daran, auch den Grafen Snarre für diese Sache, wie überhaupt für Utzlars ferneres Schicksal zu interessiren und seine Großmuth zu Gunsten seines gebesserten Standesgenossen in Anspruch zu nehmen.

Zu all den Sorgen um andere gesellte sich für Tromholt in dieser Zeit auch noch eine, die ihn selbst betraf. Er fühlte eine zunehmende Abschwächung der Sehkraft seines gesunden Auges, ja, nach großen Anstrengungen im Lesen und Schreiben, wie sie das Geschäft mit sich brachte, trat oft plötzlich eine völlige, wenn auch stets wieder vorhergehende Abstumpfung des Sehnervs ein. Der Arzt, den er über solche Erscheinungen befragt, hatte mit Bedenken nicht zurückgehalten und ihm unbedingte Schonung des angegriffen Organs empfohlen, wenn anders er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, blind zu werden. Blind! Welch’ ein furchtbarer Gedanke! Aber wie vertrug sich die empfohlene Schonung mit dem rastlosen Geist dieses unermüdlich schaffenden Mannes, der nur in der Arbeit das Ziel seines Lebens sah!

Tromholt hatte eben eine Besprechung mit einigen Geschäftsfreunde auf seinem Bureau, als Hansine, das Dienstmädchen, ganz bestürzt und noch athemlos vom schnellen Gehen bei ihm eintrat.

„Herr, Herr!“ rief sie. „Es steht schlimm mit Fräulein Elbe. Ich bin fortgelaufen, es Ihnen zu sagen, der Husten ist wieder gekommen und die Athemnoth, und es ist, als ob sie ersticken wollte.“

Tromholt erschrak heftig.

„Eilen Sie sogleich zum Doktor Tyrup,“ befahl er, „und bitten Sie ihn, sich so schnell wie irgend möglich zu Fräulein Elbe zu bemühen. Ich werde bald folgen.“

Dann sprach er, gewaltsam die Gedanken dem Nächstliegenden wieder zuwendend, in gewohnter Ruhe und Sachlichkeit mit den Herren, verständigte sich mit ihnen über die in Frage kommenden Gegenstände, gab noch verschiedene Anweisungen in den Bureaur und nahm dann – es war inzwischen Mittag geworden – eilend den Weg nach Hause.

Er fand bei seinem Eintritt die Dienstboten in großer Erregung. Sie theilten ihm mit, daß der Arzt sich sehr besorgt geäußert und versprochen habe, gegen Abend wiederzukommen. Tromholt ging, tiefbewegt durch diese traurige Wendung in Ingeborgs Befinden, sinnend in seinem Zimmer auf und ab und ließ endlich, um seiner Unruhe Herr zu werden, die Kranke fragen, ob er sie besuchen dürfe.

Er sah sie auch auf Augenblicke und war erschrocken über die Veränderung, welche sich in so kurzen Stunden in ihrem Aussehen vollzogen hatte. Die Farbe ihres Angesichts, seit der Krankheit in Trollheide immer bleich und durchsichtig, war nun kreideweiß, und ein röchelnder, mit großer Reizbarkeit verbundener Husten erschwerte ihr das Sprechen.

„Meine arme Freundin,“ stieß Tromholt hervor und verhüllte dichter das Fenster des Gemaches, da das Licht, scharf hereindringend, Ingeborgs Augen anzustrengen schien. „Kann ich irgend etwas für Sie thun?“

Ingeborg Elbe richtete einen matten, dankbaren Blick auf Tromholt und schüttelte sanft das Haupt. So viel lag auf ihrem Herzen, so viel hatte sie ihm zu sagen! Ihr ahnte, daß sie das Krankenzimmer nicht wieder verlassen werde, und furchtbare Qualen zogen durch ihre Brust.

Tromholt wußte, was in ihr vorging. Er wäre gern in ihrer Nähe geblieben, allein er fürchtete, die Bewegung, in die sie sein Anblick versetzte, möchte ihr schädlich sein, und so wandte er sich nach kurzem Aufenthalt wieder zum Gehen.

„Ich sende Ihnen eine zuverlässige und in der Krankenbehandlung erfahrene Pflegerin,“ sagte er, die weiße, magere Hand der Kranken ergreifend und eine Weile in der seinen haltend. „Und nun denken Sie an nichts als an Ihre Gesundheit. Sie müssen wieder lebensfrisch werden, Ingeborg, und Sie werden es auch gewiß. Ich habe keinen innigeren Wunsch als den, Sie wieder kraftvoll und fröhlich zu sehen.“

Ein heißer Thränenstrom löste sich bei diesen Trostworten aus Ingeborgs Augen. Der ganze furchtbare Schmerz, der ihr Inneres durchwühlte, kam zum Ausdruck. Tromholt aber neigte tiefbewegt das Haupt und entfernte sich.

Als er in sein Zimmer zurückkehrte, fand er einen an seine Privatadresse gerichteten Brief von seinem Schwager Alten vor, dessen Inhalt seine Sorgen abermals vermehrte.

Alten meldete, daß Bianca sich einen sehr schmerzhaften Gelenkrheumatismus zugezogen habe und unfähig, ein Glied zu bewegen, im Bette liege. Ferner theilte er mit, daß Graf Snarre ihm auf seine sämmtlichen letzten Berichte, die wichtige und zugleich rasch zu erledigende Anfragen enthielten, mit keiner Silbe geantwortet habe, und daß er, abgesehen von der Aufregung über diese „bodenlose Rücksichtslosigkeit“, infolge dessen gar nicht wisse,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_631.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)