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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

Feldflasche hatte. Geraucht durfte ebensowenig werden, um das Aufflammen der Zündhölzchen zu vermeiden. Ein etwas boshafter Musketier meinte freilich, das Verbot wäre ergangen, damit der Duft des edlen „Vorpostenkanasters“ den Franzosen unseren Standpunkt nicht verrathe.

Unter diesen Umständen erwarteten wir mit Ungeduld den Morgen. Endlich zeigte sich im Osten ein röthlicher Streifen am Horizonte, der Tag brach an, für viele von uns zum letzten Male. –

Kaum begann die Sonne den dichten Nebel etwas zu zerstreuen, als unser Regiment den Befehl erhielt, zum Angriff auf Noisseville vorzugehen und es zu nehmen. Unser Bataillon bildete das erste Treffen, als zweites folgte das Füsilier- und zweite Bataillon. Rechts von uns ging noch das erste Bataillon vom Regiment „Kronprinz“ 1. Ostpreußisches Nr. 1 und links das 4. und 44. Regiment, das letztere gegen die neben Noisseville an der Chaussee gelegene Brauerei vor. Schnell hatten die Bataillone Treffenabstand genommen und wir marschirten den Vallieresgrund hinab, um möglichst unbemerkt hervorzubrechen.

Als wir etwa in der Höhe von Noisseville angekommen waren, erfolgte das Signal: Schützen schwärmen! Im Laufschritt ging’s den südlichen Abhang der Schlucht empor; vor uns lag das uns vom vergangenen Abende wohlbekannte Rebenfeld, dahinter Noisseville.

Schon seit einiger Zeit hatte unsere Artillerie ein heftiges Feuer gegen das Dorf eröffnet, unausgesetzt sausten die Granaten durch die Luft über uns hinweg und schlugen krachend in die Gebäude, nur sehr schwach wurde dieses Feuer von feindlicher Seite erwidert.

Ohne zunächst einen Schuß abzugeben, suchten wir so schnell als möglich durch die Weinranken hindurch und näher an das Dorf heranzukommen. Auch von dort her fielen nur ganz vereinzelte Gewehrschüsse. Sollte man unsere Annäherung bei dem noch immer nicht gefallenen Nebel und zwischen den hohen Weinstöcken noch nicht bemerkt haben?

So schnell, als es uns möglich war, hatten wir uns nun dem Dorfe bis auf etwa vierhundert Schritte genähert, als ein wildes Gewehrfeuer gegen uns eröffnet wurde, dessen Schüsse meistens zu hoch gingen. Wir nahmen nun das Feuer ebenfalls auf; da unsere Gegner aber gedeckt standen und aus den Häusern heraus, hinter Barrikaden etc. hervorfeuerten, so wurde das Feuer unsererseits zunächst nur von einzelnen Schützengruppen unterhalten.

Obgleich bei unseren Leuten schon mehrere Verwundungen vorgekommen waren, trieb der Humor doch seine Blüthen.

„Du,“ ruft ein Musketier seinem Freunde zu, „heute ist Prüfungsschießen nach Kopfscheibe, man hübsch rausgeschossen!“

„Na ob,“ erwidert der Angerufene, „man ohne Sorge!“

Dabei feuerten beide so kaltblütig, als ständen sie tatsächlich auf dem Scheibenstande und nicht im heftigen Kugelregen einem erbitterten Gegner gegenüber.

Bis jetzt hatte die Artillerie der Forts geschwiegen. Nachdem der Nebel aber gänzlich gefallen war, nahm auch sie das Feuer auf. Ein dumpfer Donner erschüttert plötzlich die Luft, und vom Fort St. Julien saust es mächtig heran. „Granate!“ rufen die Führer der Schützenzüge, einen Augenblick danach erfolgt unter schneidendem Zischen ein dröhnender Schlag, so furchtbar, daß der Boden erbebt und zu schwanken scheint; vor uns in geringer Entfernung werden Erde und Steine hoch emporgeschleudert. Die nächsten Schützengruppen haben sich platt zu Boden geworfen, eine Sekunde athemloser Spannung vergeht, dann kracht’s, als ob der Erdball voneinander gerissen wäre, eine Garbe von Feuer, Pulverdampf und Erde schießt haushoch empor, und mit ohrzerreißendem Pfeifen fahren die Sprengstücke der Granate schwersten Kalibers auseinander. Diesesmal ging die Gefahr ohne blutige Opfer vorüber.

Inzwischen war unser Bataillon an die Schützenlinie herangerückt, nun hieß es wieder: Schützen avanciren! Vorwärts ging’s, sprungweise, sich niederwerfend und feuernd, eine dämonische anscheinend ordnungslose lange Kette. Rechts und links pfiffen und zischten die feindlichen Geschosse, immer öfter; je näher wir herankamen, ließ sich der dem Ohre des Soldaten bekannte knackende Ton der einschlagenden Geschosse hören, und lautlos oder mit einem unterdrückten Schmerzenslaut sanken die Getroffenen zusammen. Die Lage war sehr ernst geworden; noch einmal hielten wir vor dem Dorfe am Rande eines Wiesenstreifens und feuerten in knieender Stellung. Jedes Fenster, jede Schießscharte und die hier mündende Dorfstraße wurden unter ein vernichtendes Feuer genommen. Der kurze Doppelschlag der Tambours tönte hinter uns im zweiviertel Takt, wie eine Fluthwelle rückte das Bataillon mit zur Attake rechts genommenem Gewehr heran; der letzte Akt des blutigen Dramas begann!

Wie ein bisher geschlossener Vorhang zogen die Schützen sich rechts und links auseinander, um dem anstürmenden Bataillon Platz zu machen, und schlossen sich ihm an. Ein donnerndes Hurrah, sich immer erneuernd, erschütterte die Luft und übertönte das Knattern der Schüsse, wie eine Lawine stürzte die Sturmkolonne gegen das Dorf an. Ein wüthendes Feuer krachte uns entgegen, aus Fenstern, Dach- und Kellerluken, aus Scharten und hinter Verhauen hervor. Sinnverwirrend war das Knattern der Schüsse, das Rasseln der Trommeln und die dröhnenden Hurrahs der Stürmenden. Aber die verzweifeltste Gegenwehr war hier vergebens; in kürzerer Zeit, als das Niederschreiben dieser Zeilen erfordert, waren die ersten Verhaue erreicht, eingerissen oder übersprungen, wobei unsere Leute, ebenso wie im nachfolgenden Kampfe, eine herkulische Kraft entwickelten.

Ein mörderischer Krampf Mann gegen Mann entbrannte nun in der Dorfstraße, die Bestürzung und der Schrecken war den Franzosen deutlich im Gesicht geschrieben, aber auch eine entsetzliche Wuth funkelte in ihren Augen. Ein Kampf auf Gewehrlänge, wo der Athem der Kämpfenden sich mischt, hat etwas Furchtbares. Durch den ersten Anprall wurden unsere Gegner zurück und zum Theil in die Häuser gedrängt, jedes Haus wurde zur Festung, die besonders genommen werden mußte. Das Knattern der Schüsse mischte sich mit dröhnenden Axtschlägen und Kolbenstößen, womit Thüren und Fenster eingeschlagen wurden, das Klirren springender Fenster mit dem Prasseln des an einigen Stellen aufschlagenden Feuers; Pulverdampf, Rauch und Staub verschlangen zeitweise die Kämpfenden. Ein nicht minder erbitterter Kampf tobte gleichzeitig in den mit hohen Mauern umgebenen Gärten des Dorfes, die förmliche Forts bildeten und erstürmt werden mußten. Mit dem Muthe der Verzweiflung wehrten sich die Franzosen. Durch den hartnäckigen Widerstand hinter Thüren und Mauern hatten sie unsere Leute aber erbittert, und jeder Widerstand war vergebens, endlich erlahmte derselbe; mit finsteren Blicken, aneinandergedrängt, ergaben sich diejenigen, welche noch kampffähig und nicht geflohen waren.

An eine Ordnung war bei einem solchen Kampfe bald nicht mehr zu denken; jeder Offizier oder Unteroffizier führte mit den um ihn befindlichen Mannschaften den Kampf auf eigene Faust. So war auch der dritte Schützenzug gleich im Anfange des Dorfgefechtes vom Bataillon abgesprengt worden und in eine Nebenstraße gekommen, die, wie es schien, hinter einer Reihe von Gebäuden herumführte und vollständig unbesetzt war. Im Laufschritt ging’s die Straße entlang, über eine aus Karren und Hausgeräth hergestellte, aber unbesetzte Straßensperre hinweg, um wieder auf den Kampfplatz zu kommen.

In kurzer Zeit hatten wir eine breite Hauptstraße erreicht, die nach Westen das Dorf verließ und nach Nouilly führte; wir befanden uns also ziemlich im Rücken der Dorfbesatzung. Es blieb kaum so viel Zeit, um uns zurechtzufinden, als wir schon bemerkt waren. Auf der Straße weiter hinab stand im Dorfe ein starker feindlicher Unterstützungstrupp; unser Erscheinen in seinem Rücken brachte bei demselben eine nicht geringe Verwirrung hervor, die sich wesentlich steigerte, als unsere ersten Schüsse krachten. Bald aber hatte, wie wir bemerkten, das Bemühen der Offiziere, Ordnung zu schaffen, Erfolg, und im Laufschritt mit gefälltem Gewehr stürmte die Kolonne heran. Wir feuerten, was die Läufe halten wollten, was konnten wir aber, ein schon am 14. August zusammengeschossener Zug, der auch heute wieder eine Anzahl Leute verloren hatte, hier machen! An ernsten Widerstand unsererseits war nicht gut zu denken. Wir zogen uns deshalb schnell bis zu dem erwähnten Verhau zurück und nahmen hinter demselben Deckung; die Gegner folgten, und es entspann sich ein kurzes Feuergefecht. Eben wollten wir, der Uebermacht weichend, weiter zurückgehen, als ein Hurrah in der Dorfstraße vor den Häusern erdröhnte, hinter denen wir uns befanden. Es mußte dort eine größere Abtheilung unseres Bataillons geschlossen vordringen. Hielten unsere Gegner nun noch Stand, dann mußten sie abgeschnitten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_642.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)