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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

der Erzberg in guten Jahren eine Erzausbeute von mehr als 5 Millionen Metercentnern (1 Metercentner = 100 Kilogramm) liefert, soll nach einer sorgfältigen Berechnung ein Versiegen des Bergsegens im nächsten – Jahrtausend (!) nicht zu befürchten sein.

Wenn dem so sein sollte, würde sich eine von den vielen Sagen, die auf den Erzberg sich beziehen, bewahrheiten. Ein Unhold, den einst in der Vorzeit mehrere Leute dieses Thales dingfest gemacht hatten, wurde gezwungen, seine Freilassung mit irgend einem Geschenke zu erwirken. Er bot einen goldenen Fuß, ein silbernes Herz und einen eisernen Helm und bemerkte, daß Gold nur kurze Zeit, Silber nicht lange, Eisen aber ewig dauere.

Die Oswaldikirche.                    Der Schichtthurm.
Eisenerz und der Erzberg

Die Leute wählten den Helm, worauf der Gefangene nach dem Erzberge wies: dort sei Eisen für ewige Zeiten … Eine andere Sage berichtet über einen Kampf der Riesen mit den Göttern in dieser Bergwildniß. Als jene bereits gewaltige Felsmassen aufgethürmt hatten, schleuderten die Götter einen ungeheueren Eisenklumpen auf die Erde. Er fiel dorthin, wo sich jetzt der Erzberg erhebt.

Wer im Thalkessel von Eisenerz steht, empfindet nichts von dem Zauber, der sich anderwärts in den Alpen durch allerlei Dinge romantischer Natur kundgiebt. Man wird hier nicht von dem Widerschein der weißen Eisfelder geblendet wie auf den Hohen Tauern, in deren Krystallmassen die Trugbilder des Golddurstes spuken; man steht dort nicht unter den Einwirkungen märchenhafter Geschehnisse, die vom Dufte des Südens verklärt sind wie beispielsweise die Gestalten des deutschen Heldenliedes, die in den seligen Gründen des tirolischen Etschlandes in der Erinnerung lebendig geblieben sind. Die Zwerge, die Drachentödter und minniglichen Sangesmeister, die verfallen Burgen und versteinerten Rosengärten und manches andere beschäftigen dort zwischen den Rebenranken am Etschufer nachhaltiger die Einbildungskraft als der Felsencirkus, der den norischen Eisenberg umklammert.

Wer indeß mit offenen Augen wandert, wird auch hier mancherlei Wahrnehmungen machen. Von den herkömmlichen Bergsagen abgesehen, eröffnet der Einblick in diese Betriebsamkeit weite Ausschau in die rauhe nordische Welt. Schon in uralten Zeiten standen hier zwischen mächtigen Fichten die Waldschmieden. Von ihren Essen flammte es in die menschenleere Wildniß hinaus. Spuren voll Stollen und Gußlöchern werden am Erzberge nicht vermißt. In den Forsten, zu denen jetzt der Donner auffliegender Dynamitminen heraufschallt, geht der germanische Waldgeist um. Auf der Höhe des Erzberges, wo ein Seitenweg der „Erzstraße“ vom Sattel des Prebühl gegen den Erzgraben herüberzieht, brütet die Stille des Urwaldes, unterbrochen vom Geriesel heller Quellen zwischen Moos und Farndickicht im Inneren des finsteren Gestämmes. Eine geheimnißvolle Dämmerung verhüllt die Tiefen, aus denen das Gold zu Tage gefördert wird; unter Hammergedröhn und Flammensprühen wird das Eisen geboren.

Roth wie die Gluth in den Essen war der Bart Thors, und rothes Gelock flatterte um das Haupt Wielands, der bei Mimir – dem Urahn der Schmiede – das Eisen hämmern lernte …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_671.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)