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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„O, bitte, Thea, ich möchte ihm von meinen Blumen geben! Lamprecht hat mir so wunderschöne in mein Zimmer gestellt, eine solche Masse, und wir haben noch viel mehr im Treibhause! Er braucht ja nicht zu wissen, – dieser – Mann, meine ich, von wem die Blumen kommen, Herr von Conventius schickt sie ihm, damit ist es gut! Solch’ prächtige Exemplare, – Narzissen und Tazetten, auch ein Fliederbäumchen ist dabei, und schöne Maiglöckchen, – bitte, Herr von Conventius, darf ich?“

„Sie wollen sich selbst einer Freude berauben, um –“

„Aber mein Gott, wer denkt an mich? Wenn man jemand, der am Rande des Grabes steht –“ ein Schauer ging über sie hin – „eine letzte kleine Erdenfreude bereiten kann, eine Freude noch dazu, die so rein ist wie der Genuß an einer Blume, – wer darf uns daran hindern?“

„Nicht ich, – wahrlich, nicht ich!“ Reginald sah mit leuchtenden Augen in Annies bewegtes Gesicht. „Schicken Sie mir Ihre lieben Blumen heute noch, ich will sie hinnehmen und denken, daß es Gottes Boten sind!“

Damit ergriff er Annies Hand und drückte sie lebhaft. – – –

In diesem Augenblick tönte das Glockenspiel an der Hausthür von neuem, und der alte Lamprecht meldete mit einem tiefen, feierlichen Diener: „Herr Professor Delmont.“

Aus Annies Antlitz war die Farbe gewichen, sie konnte kein Wort hervorbringen, sie neigte nur mechanisch den Kopf zum Zeichen der Einwilligung. Ebenso mechanisch erhob sie sich und umklammerte mit beiden Händen die Lehne ihres Stuhles.

Thekla sah gespannt nach der Thür. „Hab’ kein vorgefaßtes Urtheil!“ warnte sie sich innerlich, „denk’ nicht an Annies Prophezeiung: Dir wird er nicht gefallen! Dieser Conventius freilich war dir auf den ersten Blick angenehm, er hat eines von den glücklichen Gesichtern, die sofort Zutrauen und Wohlwollen einflößen, – darum aber ist noch nicht gesagt, daß dir kein andrer Mann als zukünftiger – –“

Hier trat Delmonts hohe Gestalt ein. Er blieb mit einer knappen Verbeugung in der Nähe der Thür stehen und überflog mit einem raschen Blick die kleine Gruppe neben dem Fenster. Annie sah so schuldbewußt und gedrückt aus, als habe sie den Besuch des Geistlichen verschuldet; dieser wechselte einen schnellen Blick mit dem soeben Eingetretenen, verneigte sich sehr zuvorkommend und setzte sich dann wieder mit der Miene eines Mannes, der entschlossen ist, seinen Posten zu behaupten. – Auch Delmont war verbindlich und ruhig; er wendete sich fast ausschließlich an Thekla, und diese konnte nicht umhin, sich selbst zuzugeben, daß Annie wohl zu begreifen war. Welch’ eigenartig anziehende Kraft wohnte doch in diesen Augen mit ihrem tiefen, zwingenden Blick, – wie merkwürdig wirkte der Gegensatz der von eiserner Kraft redenden Stirn zu dem weichgeformten Munde unter dem dunkelbraunen Lippenbart, – – und über dem allem der nie, auch beim Lächeln nicht, weichende Zug von Melancholie zwischen den dichten, dunkeln Brauen, der in das ganze Antlitz gleichfalls ein unlösbares Räthsel hineinzeichnete! Und noch etwas kam hinzu, was Thekla, fast gegen ihren Willen, rührte: die unverkennbare Beklommenheit, mit der dieser Mann, der wie das verkörperte Selbstbewußtsein aussah, immer wieder heimlich Annie Gerold musterte, wie sie mit Conventius sprach. Freilich, dieser war kein zu unterschätzender Nebenbuhler in der Gunst eines jungen Mädchens, – aber er, Delmont, hatte er denn nicht gestern schon Annies sicher sein können, hatten ihm nicht ihre Augen, ihre Stimme, das Beben ihrer Hand verrathen, wie es um sie stand? – Thekla sah, wie es in seinen Mienen zuckte, während er ganz selbstbeherrscht und höflich mit ihr sprach, sie sah seine Hand sich wiederholt öffnen und schließen wie in verzehrender Ungeduld, und es überkam sie etwas wie Sorge um das Schicksal ihres Lieblings an der Seite eines so leidenschaftlichen Mannes. Indessen war sie bemüht, dem Gespräch eine allgemeine Wendung zu geben und Annie aus ihrer Zwangslage neben Conventius zu erlösen.

„Herr von Conventius beklagte sich soeben, aus Mangel an Zeit Ihr Bild, Herr Professor, noch nicht gesehen zu haben!“

„Ich weiß nicht, ob ich ihn gleichfalls beklagen soll,“ sagte Delmont mit einem leichten Lächeln, „denn mein Werk ist nicht mehr mein Werk, wenigstens nicht mehr für mich, seitdem es da zwischen Hunderten von Bildern aufgehängt ist. Als ich es in meinem Atelier hatte, war es noch ein Stück von meiner Seele, – jetzt ist’s losgelöst von mir und gehört allen!“

„Geht es nicht auch Ihnen so, Herr von Conventius, wenn Sie das, was Sie in der Stille Ihres Studierzimmers ausgesonnen, öffentlich zu Hunderten zu sagen haben?“ fragte Annie lebhaft.

„Aehnlich – und doch wieder nicht!“ erwiderte er gedankenvoll. „Das gesprochene Wort ist nicht wie das fertiggestellte Bild, – es wirkt zündend, sich selbst ergänzend, während es geredet wird, – es erstarkt an seiner eigenen Wirkung, an der Fühlung, die es mit denen gewinnt, die gekommen sind, es zu hören. Gedanken, Bilder, Gleichnisse strömen zu, an die ich in der Stille meines Studierzimmers nicht gedacht hatte, – im wahrsten Sinn wird mir das Wort lebendig, und ich habe keinen andern Wunsch als den, es möge allen gehören so wie mir!“

Delmont neigte zustimmend sein Haupt.

„So empfanden Sie, und Ihre Gemeinde mit Ihnen, als Sie zum ersten Mal in der Kirche zu Sankt Lukas sprachen!“

Es war ein Lob für den Geistlichen und sollte ein solches sein; aber während Delmont sprach, suchte sein Blick den Annies, in Erinnerung an jene unvergeßliche Stunde in der Kirche, – und Annies schöne, beredte Augen hoben sich zu ihm empor, zuerst ein wenig schüchtern, – fragend, – dann sonnenhell und glücklich leuchtend in völligem Selbstvergessen. –

„Lassen Sie Photographien anfertigen von Ihrem Gemälde?“ fragte sie, schon wieder ganz bei ihm und seiner Kunst.

„Nein,“ entgegnete er kurz, „ich thue das niemals, es ist mir zuwider. – Warum fragten Sie?“ setzte er nach einer Pause hinzu, da ein Schatten auf ihrem Gesicht erschien.

„Ich – ach – nur weil ich an Thea dachte, die nie ausgehen kann, also auch niemals Ihr Bild sehen würde –“

„Sie hätten es mir gleich sagen sollen, daß Sie sich das wünschen. Dann natürlich wird es geschehen, – ich werde morgen Auftrag geben!“

„Ich danke, – ach, ich danke Ihnen!“

Sie reichte ihm die Hand, und er nahm sie und legte seine andre darüber wie in Angst, man könnte ihm seinen Schatz entreißen. Jetzt waren diese zwei für sich, und Thekla Gerold war auf Conventius angewiesen!

Es sollte aber nicht lange währen! Draußen läutete das Glockenspiel zum dritten Mal, und Lamprecht kam und meldete: „Herr Rittmeister Thor von Hammerstein!“

Der Eintritt dieser Persönlichkeit wirkte auf Conventius befreiend, auf Delmont und Annie niederschmetternd und auf Thekla humoristisch. Wenn der Geistliche schon daran gedacht hatte, zu gehen, so konnte er jetzt immerhin bleiben, es kam gar nicht drauf an, – und er blieb.

Der Ulanenrittmeister war keineswegs entzückt, den „Farbenreiber“ und den schönen „Mann Gottes“ hier vorzufinden. Aber im festen Bewußtsein seiner eigenen bevorzugten Stellung, gegen welche ja die der beiden andern überhaupt gar nicht in Betracht kam, und außerdem fest entschlossen, „ordentlich ins Zeug zu gehen,“ rückte er mit dem ganzen schweren Geschütz seiner militärischen Galanterie an und betrug sich gegen Annie mit so unzweideutiger Absichtlichkeit, daß das junge Mädchen verlegen wurde. Sie hatte bisher noch gar nichts von seiner bewundernden Vorliebe für ihre Person wahrgenommen; was fiel ihm denn nun mit einem Male ein?

Kein Mensch auf der weiten Welt hatte den Rittmeister im Verdacht, daß er geistreich sei, – er hielt sich selber auch nicht dafür, und es beunruhigte ihn durchaus nicht, – was sollte ihm der Geist? Ganz überflüssige Ware für einen Menschen seines Schlages! So konnte er denn auch heute nichts Geistreiches hervorbringen, und zum ersten Male in seinem Leben fühlte er eine Art von Bedauern darüber, da die „absurde Erziehung dieser gelehrten alten Schraube“ dem entzückenden jungen Mädchen, um das er sich bemühte, für dergleichen „Zeugs“ Geschmack beigebracht hatte. Und entzückend war Annie Gerold wirklich, – welch’ ein Wuchs! Hoch, schlank, schmiegsam, jede Linie anmuthig gezeichnet! Und diese satten goldenen Lichter über dem nußbraunen üppigen Haar, – diese wundervollen Augen und der süße, frische Kindermund: Wetter noch eins! Welch eine Acquisition fürs Regiment! Man würde Staat mit ihr machen, und der alte Papa Thor von Hammerstein, ein etwas verdrießlicher General zur Disposition in Coblenz, würde Augen machen, wenn er diese Schwiegertochter sähe, und es seinem Sohn ohne weiteres verzeihen, daß er eine Bürgerliche heimführte.

So richtete denn der Rittmeister unermüdlich Fragen an Annie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 716. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_716.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)