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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und sie nach Tantenart gründlich verwöhnt, was Elisabeth in ihrer stillen Weise wirklich kunstvoll abzuschwächen verstand. Sie war sehr fromm damals, die Kleine; über ihrem Bettchen hing ein Christusbild und abends pflegte sie in dem langen weißen Nachtkleide vor dem Lager hinzuknieen und laut zu beten.

„Elisabeth,“ sagte ich einmal, als wir den Strand entlang gingen zur Ebbezeit und Martha und ihr Vater eifrig Muscheln suchend uns weit voraus waren, „wenn sie noch ein bißchen größer ist, ganz utwussen, dann borg mi dat oll Gör mal en beten.“

Elisabeth sah mich an. „Nein, lieb’ Annche,“ erwiderte sie fest, „das paßt für das Kind nicht.“

„Warum denn nicht?“

„Nein, denn was Du willst, Du altes liebes Weltkkind, das weiß ich: Du willst mit ihrer jungen Schönheit Staat machen. Da gehst Du nach Berlin mit ihr und nimmst sie auf Bälle mit oder gar auf weite Reisen, und überall wird ihr was in den Kopf gesetzt. Nein, Anna, noch ist sie nicht fest in sich, noch lasse ich sie nicht aus den Händen, es wäre gewissenlos.“

„Du kannst sie doch nicht einsperren, Elisabeth?“

„Sicher nicht! Thun wir denn das? Sie hat vollauf der Freuden in ihrem Leben. Sieht sie aus, als ob sie entbehrte? Sei nicht böse, Anna, Du ahnst nicht, welch ein Angstkind sie mir immer war!“

„Also doch! – Sei gut, Elisabeth, ich will Dir das Kind nicht verderben,“ sagte ich gerührt.

„Versteh mich nicht falsch, Anna; mein eignes Kind, ich hätte es Dir auf Jahre gegeben, aber dieses – nein. dieses nicht!“

Dann schrieben wir uns nach oft, bis vor anderthalb Jahren; seitdem bekam ich keinerlei Antwort, und – – – – – –

Ich fahre plötzlich empor aus meinen Erinnerungen und bin wieder in der Gegenwart. Es ist dunkel geworden, noch immer rauscht der Regen auf den Lindenblättern und dem Pflaster. Lieber Gott, was mag aus diesem Kinde geworden sein indeß!

Eben will ich nach Licht klingeln, da klopft es schüchtern, und als ich „Herein“ rufe, kommt etwas ganz langsam über die Schwelle, langsam und hustend, und gegen den hellen Hintergrund erkenne ich, daß es ein altes Weiblein ist im Umschlagtuch und weißer Haube.

„Sie kennen mich wohl nicht mehr, Madame, ich bin die ‚oll Kathrin‘ aus der Pfarre, wie Sie immer zu mir sagten.“

„Ei, Kathrin,“ rufe ich, „das ist freundlich von Ihnen!“ Und während ich die Alte zu einem Stuhl geleite und nach Licht klingele, frage ich: „Woher wissen Sie denn, Kathrin, daß ich hier bin?“

„Das will ich wohl nachher sagen, Madame, muß mich nur erst ein bißchen verpusten.“ Und sie hustet wieder und holt tief und rasch Athem.

„Sind Sie denn noch in der Pfarre, oll Kathrin?“

„Ach, Gott bewahre mich! Was sollten sie denn noch mit mir altem Kröpel? Nein, Madame, seit einem Jahre bin ich in dem Altweiberspittel, drunten an der Weißgasse, da, Madame, wissen Sie, wo der Todtenkopf über der Thür ist. Die Herrschaft hat mir da eine Stelle verschafft.“

Das Mädchen bringt jetzt Licht und sieht ganz verwundert die Alte an.

„Da hab’ ich’s ja nun gut und kann geruhig leben,“ fährt sie fort, „wenn man nur den Kummer nicht hätte auf die letzten paar Jahre.“ Das runzelvolle Gesicht von „oll“ Kathrin drückt jetzt, wo ich sehen kann, eine ehrliche Bekümmerniß aus. Sie hat mich scharf ins Auge gefaßt. „Ja, so wie Sie, Madame, sieht sie nicht mehr aus – ganz weiße Haare, und die Augen sind so groß geworden – lieber Gott!“

Ich ziehe mir einen Stuhl herüber zu dem Platz, wo die Alte sitzt, und bitte: „Nun erzählen Sie mir alles, Kathrin.“

„Ja, ich will’s versuchen, und wenn ich so’n bißchen vom Weg komme, dann helfen Sie mir wieder drauf, Madame, und wenn ich husten muß, nehmen Sie’s nicht übel.“

„Ei bewahre, Kathrin.“

„Sie wissen ja, wie’s geschah, daß das Kind in unser Hans gekommen ist. – Ich hab’ damals die Hände überm Kopf zusammengeschlagen, aber die Herrschaft hat’s besser gewußt, die haben gedacht, mit ihrer Liebe und Güte und mit ihrem Gebet ziehen sie aus dem wilden Pflänzlein eine schöne Blume. – Ach, Madame, war das ein feines Kind vom Aeußeren, und auch so in seinem Wesen; als wenn sie von Königs abstammen thät, so stand sie unter den andern Kindern. mit denen sie spielte, und es waren da welche drunter vom Bürgermeister und vom Oberförster und von all denen, die vornehm sind. Und gut ist sie gewesen und schmeicheln hat sie können! ‚Mein herzliebe Kathrin‘ hat’s immer geheißen, wenn sie in der Küche ihr Puppentellerchen voll Milch gewollt hat, oder ein paar Rosinen zum Kochenspielen. Und dann die Klugheit! Was man ihr vorgesagt hat, konnte sie auswendig, aber gleich, und das hat sie denn so hersagen können, so schön, wissen Sie, so mit Handbewegungen. Der Herr Pfarrer hätt’s nicht schöner machen können auf der Kanzel. Nücken und Tücken hat sie auch gehabt, dann hat’s aber Strafe gegeben. Ja, die Frau Pfarrerin ist streng gewesen, obgleich’s ihr schwer wurde, man hat’s ihr allemal angesehen. Dem Herrn Oberpfarrer aber, dem war sie ans Herz gewachsen wie ein eigen Kind.

Wie sie eingesegnet worden ist, da haben alle Leute in der Kirche nur nach ihr geschaut; wunderschön hat sie ausgesehen in dem einfachen schwarzen Kleidchen und mit dem goldenen Kreuzchen auf der Brust, gerad so golden wie ihr Haar. Und wie sie da nachher aus der Kirche trat neben der Frau Oberpfarrerin, da hat’s allenthalben hinter ihr her gewispert, wie schön sie wär’, und der junge Herr Landrath hat den Kneifer ins Auge gethan und sich den Bart gestrichen und hat gesagt: ‚Prachtvoll!‘ Ich war schon draußen, hab’ alles gehört und gesehen, der Frau ihr unwilliges Gesicht und dem Kind sein Erröthen und sein Augenaufschlagen, und da war gerad zum allerersten Mal in den schwarzen Augen etwas, das ich noch nicht darin bemerkt hatte, so – ja ich kann’s nicht ausdrücken, so eine Art Freude, die mir nicht hat passen wollen zu dem Tage und der Stunde. Und wie ich abends hinaufkam, um in ihrem Stübchen nachzuschauen, ob alles in Ordnung ist, da steht sie vor dem Spiegel und beschaut sich und lächelt sich an. – ‚Herr, Du mein‘ rief ich, ‚Martha, was hast Du zu gaffen? S’ ist wirklich nichts Absonderliches an Deinem Gesicht, die Nase derlänge und der Mund derquer.‘ Da hat sie gelacht und ist roth geworden. Ich hab’s aber wohl gemerkt, daß da ein Funke in den Zunder geflogen war, der ganz heimlich weiter geglimmt hat, bis sie in vollen Flammen stand.

Es ist ja nichts Böses, Madame, es ist sogar natürlich, daß ein junges Mädchen sich seiner Lieblichkeit freut; aber bei ihr war’s etwas anderes. Die Lust am Beifall der Menschen, die hat sie schon als kleines Kind gehabt; damals war sie glückselig, wenn sie als ‚sehr artig‘ gepriesen wurde, nun kam aber ihre Schönheit ins Spiel. – Um die Zeit, da bin ich gerad so ein bißchen elendig geworden und die Herrschaft hat mir zur Stütze ein junges Dienstmädchen angenommen, und unser Kind hat sollen mit der die Wirthschaft führen; mir haben sie gesagt, ich solle mich ausruhen, ein bißchen spinnen und Sommers in der Sonne sitzen und mich wärmen. – Die Ernestine, die hat noch wenig verstanden, aber lustig ist sie alleweile gewesen und singen konnte sie bei ihrer Arbeit, als wenn die ganze Pfarre ihr allein gehören thät. Allerlei Lieder hat sie gewußt, die man auch gekannt hat in seiner Jugend, und weil’s das Fräulein gern hörte, hat sie immerfort in der Küche gesteckt.

Die Frau Pfarrerin hat nichts darüber gesagt, wenn unser Kind im Garten beim Nähen, oder in der Stube drinnen die Lieder nachsummte; sie hat sich nur immer gefreut über sie. Es war ja auch nichts Unrechtes, Madame; es war nur, daß die Ernestine gar soviel schwatzen durfte mit unserem Kind, das von der Welt noch nichts wußte und verstand. – Der Frau Pfarrerin ihr Bruder hat das Kind gern gehabt, hat es auch wollen heirathen, aber da hatten die Eltern gemeint, es sei noch zu jung, und er solle noch warten. Hätten sie nur das nicht gethan! Mit achtzehn Jahren heirathet doch manche! – Liebe Zeit, Madame, still ist’s ja bei uns immer gewesen im Hause; wenn mal eine Gesellschaft war, so hat ein junges Mädchen nicht viel Freude daran gehabt. Lauter ältere Herrschaften, die haben klug geredet und gesprochen, und die Jugend will doch ein wenig Thorheit und Lustbarkeit. Die rothen Bäckchen von dem Kind, die sind allmählich blasser geworden, und wenn sie am Fenster saß, dann hat sie mit ganz großen sehnsüchtigen Augen hinausgeschaut, und ein paarmal habe ich sie sommerabends getroffen, an der Gartenmauer stehend und auf die Dächer hinunterschauend,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_726.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)