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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

und die kleinen Füße haben den Takt getrippelt zu dem Tanz, den sie da unten aufspielten, und ihre Augen haben voll Wasser gestanden.

‚Kathrin,‘ fragte sie mich einmal, ‚hast Du in Deiner Jugend getanzt?‘ – Na, lügen mag ich nicht; ich hab’ getanzt und, es ist wahr – schön ist’s gewesen, besonders wenn man mit einem tanzt, dem man gut ist. Ich hab’ aber gesagt: ‚Ja, Kindchen, ’s bringt aber nichts ein als lahme Füße und Herzeleid!‘ und bin rasch davongegangen. – Manchmal hab’ ich zwar gedacht, es ist doch keine Sünde, das Tanzen! Sie hätten’s ihr gönnen sollen; aber davon war keine Rede.

Ich neckte sie einmal mit dem Bruder der Frau Pfarrerin, da ward sie aber arg böse und sagte, der sei wie Mehlsuppe, so einen könne sie nicht leiden! Wahr ist’s, ich hätte ihn auch nicht gemocht, so einen Sanften, Immersüßen; aber ein guter Mann ist er doch.

Nun ist’s gerad anderthalb Jahr, da kommt eines Morgens der Postbote und bringt ein Schreiben mit großem Siegel, und darauf tritt die Frau Pfarrerin in die Küche und sagt zu dem Kinde: ‚Der Vater und ich müssen verreisen auf ein paar Tage, ’s ist wegen einer Familienangelegenheit; Du wirst haushalten müssen, mein Marthchen, ich kann mich ja auf Dich verlassen. Was?‘ Hat das Kind da gebeten: ‚Mutter lieb, nimm mich mit, ach nimm mich mit, es ist so schön in der Welt da draußen, und ich möchte den Rhein so gern sehen, ach so lebensgern sehen!‘ Und sie ist der Frau um den Hals gefallen und hat sie gestreichelt und geküßt; ‚nimm mich mit, ach bitte, bitte!‘ – Hat aber nichts genutzt. Es war gerad im September, das Obst reifte und die Frau Pfarrerin hatte gesagt, das müsse alles gut besorgt werden und das Kind solle brav und lieb sein. Es sei eine Geschäftsreise wegen des Testaments eines verstorbenen Onkels. Sie, die Martha, würde schon mal hinausfliegen in die Welt, vielleicht im nächsten Sommer.

Na, kurz und gut, sie sind allein abgefahren, und das Kind hat ein paar Stunden geweint, dann hat es geträllert; bei ihr war Lachen und Weinen in einem Sack. – Ich sollte nun aufpassen auf das Haus und gut Obacht geben auf die beiden jungen Menschenkinder. Ja, liebe Zeit, Madame, da kommt mir ein Hexenschuß, daß ich krumm und lahm zu Bette liege. Das Kind hat mich gepflegt, gut war es, sehr gut; an die drei Tage hat sie sich kaum von meinem Bette gerührt, hat mir vorgelesen und die Kissen aufgeschüttelt und mich lachen gemacht trotz meiner Schmerzen. Eines Nachmittags kommt sie in meine Stube und bringt mir Kaffee; sie sah aus wie eine Rose, ich meine, das ist vom Herdfeuer – sie kochte gerade Essigpflaumen ein – aber das war’s nicht, denn sie rief schon von weitem: ‚Kathrin, heut abend mußt Du aber doch mal allein bleiben, ich gehe aus.‘ ‚Bist Du bei Schmidts eingeladen?‘ frage ich; denn die Frau Pfarrerin hat die junge Frau Diakonus gebeten, sich um das Kind zu bekümmern. ‚Ja, freilich, Marthachen, da geh nur; die Ernestine kann mir doch wohl auch mal die Suppe kochen.‘ – Da setzt sie sich an mein Bette und sagt: ‚Nein, alte Kathrin, zu Schmidts gehe ich nicht – wenn Du das wüßtest – wohin? rath’ mal!‘ – Ich rathe dann die ganze Stadt durch, aber sie schüttelt nur immer den Kopf, und je mehr ich ins Rathen komme, desto mehr lacht sie und endlich sagt sie: ‚Laß nur, Du triffst’s doch nicht; ich soll mit Mila Krafft ins Theater gehen; vorhin hat Frau Krafft das Mädchen geschickt. Sie ist unwohl und kann ihr Billet nicht benutzen, da wollt’ sie es mir nun gönnen, weil ich so allein bin.‘

Ich denke, ich höre nicht recht! – Sie kennen Kraffts wohl nicht, Madame? Na, das schöne Haus an der Marktecke haben sie und Geld wie Heu und alles scherwenzt hier um sie. Die Mila war noch aus der Schule her mit unserem Kinde bekannt, aber die Frau Pfarrerin hat sie nicht recht gut leiden können, so ein gefallsüchtiges keckes Ding ist’s gewesen; ganz abweisen können hat sie den Umgang aber auch nicht, und die Martha ist immer ab und zu mal zum Thee hingegangen. ‚Was!‘ rief ich, ‚mit Kraffts Mila willst Du ins Theater? Nein, mein Goldkind, mein Püppchen, das erlaube ich nicht!‘ – Sie sah mich ganz starr an. ‚Sei doch nicht häßlich – Kathrin, es wird so ein schönes Stück gegeben, Krawall und Liebe –‘ ‚Na, das wäre das Richtige,‘ ereifere ich mich, ‚Krawall und Liebe, das mag was Sauberes sein; daraus wird nichts!‘ Aber sie hörte mich gar nicht, sie lachte, daß ihr die Thränen aus den Augen liefen, und kniete sich vor mein Bette und schluchzte vor Lachen in die Kissen. ‚Kathrin, ach Kathrin‘ schreit sie, ‚wie kann man nur so was verstehen!‘ Und endlich, als sie sich beruhigt hat, sagt sie: ‚Du kennst doch den weißen Gipskopf in Vaters Stube auf dem Bücherspind, der, dem Du die Nasenspitze abgestoßen hast mit dem Besen, die ich so schön wieder angekittet habe?‘ – ‚Ja, Kind, was soll denn der arme Heilige dabei?‘ – ‚Aber‘ – und ihr tolles Lachen fängt wieder an – ‚das ist ja Friedrich Schiller, der das Stück geschrieben hat.‘ ‚Nun?‘ frage ich, ‚ist’s wahr, Kind?‘ – ‚Ganz, gewiß, Kathrin‘, und ihre Augen blicken ganz ernst. ‚Und nicht wahr,‘ schmeichelt sie, ‚da kann’s nichts Schlimmes sein, Kathrin!‘

Na freilich, wenn unser Herr Pfarrer so einen in seine Stube stellt – was konnte ich dagegen thun? Und ich denke, das ist gewiß so’n Theaterstück von Luther und seiner Käthe, drin lauter liebe Engelein mit vorkommen, und sage: ‚Ja, wenn ich nur wüßte, ob –‘ Aber da wirft sie mir schon die Arme um den Hals und küßt mich auf mein altes Gesicht, so herzlich und oft, daß ich denke, sie thut gerad so feurig, als hätte sie ihren Liebsten zu herzen. Und dann läuft sie davon und kommt erst wieder, als schon die Lampe brennt, hat ihr bestes dunkelblaues Kaschmirkleidchen an und sieht aus wie eine Centifolie so schön.

‚Kind, Dein bestes Kleid!‘ – ‚Ja, Mila sagt, wir sitzen in der Loge, und außerdem ist doch der Fürst zur Jagd da und kommt mit seinen Herren ins Theater,‘ entschuldigt sie sich.

Hab’ gar nicht gewußt, daß unser gnädiger Fürst so fromme Stücke gern sieht – denke ich – ‚Ade, Kathrin,‘ sagt das Kind, und an der Thür wendet sie sich nochmal, und unter der weißen Kapuze mit Pelzbesatz blitzen die großen schwarzen Augen so recht schalkhaft zu mir herüber. ‚Kathrin,‘ ruft sie, ‚ich werde den Hofmarschall von Kalb von Dir grüßen!‘ ‚Wen?‘ frage ich, aber sie ist schon fort.

Da aber fängt’s mich an zu reuen, und so eine unbestimmte Angst überkommt mich. Sehen Sie, Madame, es giebt Ahnungen – lachen Sie mich nur nicht aus! – an dem Abend habe ich gefühlt, daß dem Kind was zustößt, und drunten in des Herrn Pfarrers Stube ist das Bild von der Frau Pfarrerin, wie sie als Braut war, von der Wand gefallen, und in dem Glase ist ein Sprung gewesen. Freilich, es kam auch alles bald genug! – So gegen elf Uhr erst ist die Martha aus dem Theater gekommen; sie hat so recht still in ihr Stübchen hinaufschleichen wollen, ich habe aber gerufen, bis sie hereingekommen ist.

‚Wo bist Du denn so lange geblieben, Kind?‘ frage ich, sie hat aber nicht geantwortet und ausgeschaut zum Erbarmen. – ‚So sprich nur, Kind; ist Dir denn etwas Böses passirt, war’s denn nicht hübsch?‘

‚Nicht hübsch? Wundervoll ist’s gewesen.‘

‚Hast Du geweint, mein Täubchen?‘

‚Ach so sehr, Kathrin.‘

‚Um das Gespiele? Liebe Zeit, Kind, das ist doch aber nur Gethue!‘

Sie steht mich ganz verächtlich an, dann ist sie gegangen mit einem kurzen: ‚Schlaf’ wohl!‘ Sie war gar nicht wie sonst. In der Nacht aber, so gegen den ersten Morgenschimmer, weckt mich das leise Knarren meiner Thür, und sie kommt in Nachtkleidern an mein Bett und sagt: ‚Ich muß Dich doch was fragen, Kathrin, ich kann nimmer schlafen, ehe ich’s nicht weiß.‘

‚Meine Güte, was machst Du für Geschichten!‘ rufe ich, ‚Du willst Dich gewiß erkälten! Erst thue Dir ein Tuch um.‘

‚Es ist nur ganz kurz, Kathrin; ich will nur wissen, ob es wahr ist, daß mein richtiger Vater ein –‘ sie stockt – ‚ein,‘ wiederholt sie nochmals und es will ihr nicht aus der Kehle – ‚daß er meine Mutter erstochen hat?‘

Und das klingt so, als ob einer spricht, der just mit dem Sterben zu thun hat.

‚Mein Jesus, wer hat Dir so etwas gesagt?‘ schreie ich auf.

‚Ist’s denn wahr? Ich will wissen, ob es wahr ist! Daß ich ein angenommenes Kind bin, das weiß ich, das haben sie mir schon in der Schule erzählt. Aber –‘

Ich weiß es nicht!‘ lüge ich in voller Angst, ‚frag’ die Eltern, wenn sie wiederkommen. Es ist eine Schande, Dir so etwas zu sagen; wer hat das gethan?‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 727. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_727.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)