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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

wunderschönen persischen Shawls mitgenommen – den purpurrothen mit den Goldblumen. Da! Wie der Künstler in Dir den Menschen erzieht – jetzt machst Du gleich ein ganz anderes Gesicht!“

„Nicht der Künstler – der Liebhaber war’s, der den Menschen erzog!“ flüsterte er ihr zu, indem er verstohlen ihre Hand küßte. Er legte ihr mit raschem, geschultem Griff den persischen Seidenshawl malerisch um Kopf und Schultern und führte sie dann zum nächsten Spiegel. Unbeschreiblich reizend staunte das süße Gesichtchen aus der fremdartigen rothen Hülle hervor – Delmont stand daneben und betrachtete seine Braut mit flammendem Blick. Jede Spur der brütenden Sorge von zuvor war von seinem Antlitz verschwunden, sein anziehendes Gesicht schien um zehn Jahre verjüngt.

Ein fern abziehendes Grollen begleitete das sanfte Getröpfel, das dem heftigen Regen gefolgt war. Durch das geöffnete Fenster schlich sich köstlich würzige Luft ins Gartenzimmer, draußen standen die Sträucher im blitzenden Perlengewand. Vereinzelte schüchterne Vogellaute ließen sich hören, und plötzlich kam ein goldiges Leuchten über die triefenden Bäume und Büsche und weckte in ihnen ein märchenhaftes buntes Gefunkel; darüber jubelten die kleinen Vogelstimmen lauter auf, und aus der Tiefe des Gartens kam es wie ein Schluchzen aus leiderlöster Menschenbrust, süß und liebesehnend … da faßte der Mann drinnen im Zimmer sein Lieb in die Arme und schritt mit ihr hinein in den wonnigen Sommerabend.




13.

Ja, Reginald von Conventius war unglaublich rasch beliebt geworden in der kurzen Zeit seines Aufenthalts in F. Es verhielt sich wirklich so, wie Professor Delmont es Thekla Gerold in seinem eifersüchtigen Unmuth geschildert hatte: die Thür zu Reginalds Wohnung stand selten still, kaum fand er spät abends ein paar ruhige Stunden, um seine Predigten vorzubereiten und seinen Studien obzuliegen – und auch das ermöglichte er nur dadurch, daß er beharrlich die vielen Einladungen, die dem gefeierten Pfarrer von Sankt Lukas zu Landpartien, Picknicks und Gartenfesten zugingen, ausschlug und sich hinter die Ausflucht verschanzte, er sei kein Mann der Geselligkeit – eine Behauptung, die sein liebenswürdiges, formengewandtes Wesen überall, wo er sich zeigte, schlechterdings Lügen strafte. – Vornehme Herren und Damen jeden Alters fanden sich bei dem jungen Geistlichen ein, es galt durchaus nicht für „chic“, die Kinder in einer andern Kirche als in der zu Sankt Lukas taufen zu lassen, Präsidenten- und Geheimrathstöchter ließen sich mit Vorliebe in der alten, stilvollen Kirche trauen, und die Meldungen zum Konfirmandenunterricht nahmen kein Ende. Aber auch zahllose Arme, Leute in derben Arbeitskitteln, Frauen mit verhärmten Gesichtern und rauhen Händen, stiegen täglich die Treppe zur Wohnung des Herrn Predigers empor, denn sie wußten es nun schon genau, der Herr redete ihnen nicht nur mit geistlichem Zuspruch ins Gewissen, sondern er fragte auch eingehend nach ihren Verhältnissen, ließ sich ihre Sorgen und Kümmernisse beichten und wußte es, wenn die Betreffenden es verdienten, jedesmal so einzurichten, daß sie ihn mit leichterem Herzen und schwererem Geldbeutel verließen, denn er half gern und freudig, und, Gottlob, er konnte es auch! –

Die alte Lehmann, Reginalds dereinstige Amme, jetzt die Vorsteherin seines Haushalts, war unsagbar stolz auf ihren ehemaligen Pflegling und empfing seine Beichtkinder, hoch und gering, jedesmal mit einer Würde, als habe sie Theil an allem guten, was ihr Herr ihnen zukommen ließ. Sie dachte noch oft an die Bibel- und Andachtsstunden der verstorbenen „Gnädigen“, Reginalds Mutter, denen sie, die Lehmann, dereinst als junge, blühende Frau beigewohnt hatte, ihren schönen, blonden Zögling, der so früh schon andächtig die Händchen zu falten und still zuzuhören verstand, auf den Knieen. Später hatte der „Junker“, wie sie ihn nannte, neben ihr gelehnt, dann hatte er die Gebete beim Beginn und beim Schluß gesprochen, bis er schließlich die Hausandachten selbständig geleitet hatte, immer aber hatte er die frommen, unschuldigen Augen aus seinen Kindheitstagen behalten. Den Titel „Junker“, den die alte Lehmann ihrem Lieblinge während langer Jahre gegeben hatte, konnte sie nicht vergessen - und es klang seltsam genug, wenn sie ihn jetzt, eingedenk seiner geistlichen Würde, mit Beharrlichkeit „Ehrwürden Herr Junker“ anredete.

„Ehrwürden Herr Junker“ war seit einigen Wochen ein wenig verändert – so wenig, – daß solche, die ihn nicht genau kannten, gar keinen Unterschied herausfanden … wer aber sollte ihn wohl besser kennen als seine alte Lehmann? Ihr entging nichts, kein zerstreutes Lächeln, keine nachdenkliche Miene, kein halbverzehrtes Lieblingsgericht, kein Insichversinken und hastiges Auffahren – aber sie ließ sich nichts merken; wie käme sie denn dazu? Sie wußte ja auch nicht, mas ihn quälte! Ein Uebermaß von Arbeit konnte es nicht sein, denn ihr Herr war ja jung und gesund und liebte seinen Beruf mit voller Hingebung. Vielleicht machte seine Stellung zu den Gefangenen ihm zu schaffen; Frau Lehmann wußte, daß einer darunter war, ein Dieb und Mörder, an dem nächstens die Todesstrafe vollzogen werden sollte – was ihr für ein solches „Scheusal“ ganz gerechtfertigt erschien.

Reginald ging jetzt jeden Tag zu dem armen Sünder – „und es ist keine Kleinigkeit,“ sagte sich die alte Frau, „so eine rabenschwarze Teufelsseele weiß zu waschen, daß unser Herrgott sie in Gnaden aufnimmt! Daher mag er auch oft so bedenklich aussehen. Wenn nur nicht etwas anderes, vielleicht gar eine Liebe, dahinter steckt! Zwar ist es unglaublich, daß eine meinen Junker ausschlagen könnte, – meinen Junker! Da müßte sie doch gleich blind und von Sinnen sein! Er weiß vielleicht noch nicht, woran er ist! Ich hab’ wohl den Vetter Lieutenant gefragt, und der sagte ‚nein‘ und ‚bewahre‘! Aber das ist ein leichtsinniger Vogel, der nicht immer die Wahrheit redet – dem glaub’ ich einfach nicht!“ – –

Eine Freude aber erlebten die beiden doch, Frau Lehmann und ihr „Junker“: der „leichtsinnige Vogel“, der Vetter Lieutenant, kam eines Tages in glanzvoller Uniform stramm und stolz zu ihnen hereinmarschirt und stellte sich ihnen als Bräutigam vor. „Die kleine Hedwig Rainer, weißt Du, Regi, damals von Weylands her? So eine zierliche Blondine mit auffallend hübschen Augen – diese Augen haben, wie sie mir ehrlich bekannt hat, gleich beim ersten Zusammensein nach mir ausgeschaut, ich hab’s ihr sofort angethan gehabt – siehst Du, was ich für’n Kerl bin! Jetzt hab’ ich das kleine Mädchen glücklich gemacht, aber so glücklich, kann ich Dir sagen! Sie hatte die Augen voller Thränen vor Freude, und meine Schwiegermama – wirklich eine angenehme Ausnahme dieser berüchtigten Sorte! – gleichfalls. Ich solle ihr Kind glücklich machen, beschwor sie mich immer wieder – als ob ich was anderes beabsichtigte! Na, ich, als der rührselige Michel, der ich bin, bekam auch so was Dummes in die Augen bei dieser feierlichen Geschichte, – aber jetzt ist mir seelenvergnügt zu Muth, und, meine liebe Frau Lehmann, Sie holen eine von meines Vetters besten Sektflaschen aus dem Keller herauf, ich seh’ es ihm am Gesicht an, er möchte mit edlem Getränk unser junges Glück begießen – und ich bin in meiner gehobenen Stimmung nicht dafür, jemand einen Wunsch zu durchkreuzen!“

Der lustige Ulan hatte dann die alte Frau, die nicht wußte, wie ihr geschah, bei den Armen gepackt und zur Thür hinausgewirbelt, aber „Ehrwürden Herr Junker“ hatten genickt und gelacht, und so war sie in Gottes Namen in den Keller hinabgestiegen, hatte die verlangte Sorte zu den Herren ins Zimmer befördert und dem glücklichen Bräutigam wahrhaftig Bescheid thun müssen; darauf hatten die Vettern noch eine ganze Weile mit einander geplaudert und getrunken, und Reginald war gesprächiger und heiterer gewesen als seit lange. Nur, als Fritz ihn beim Abschied im Vorsaal auf die Schulter schlug und mit unvorsichtig lauter Stimme dazu rief: „Nun mach’ es mir bald nach, Freundchen! Teufel auch! Vergiß, was sich nicht ändern läßt! Ist’s die nicht, nun, so ist’s eben eine andere!“ da hatte der „Junker“ mit seiner ruhig beherrschten Stimme erwidert: „Laß das ruhen, Fritz! Darüber komme ich nicht hinweg!“ – und Frau Lehmann, die ihren Herrn gleich darauf an ihrer geöffneten Küchenthür vorüberschreiten sah, konnte wahrnehmen, daß die Fröhlichkeit von seinem Antlitz wie weggewischt war. –


*      *      *


Schönfeld sollte sterben, das Todesurtheil war bestätigt worden, der Mann hatte seinen Willen! Reginald von Conventius ging schon in der letzten Zeit vor der Entscheidung täglich zu „Nummer achtundfünfzig“; bald früh des Morgens, bald zu vorgerückter Stunde, wenn der Sommerabend niederzusinken begann, sah man die hohe, schlanke Gestalt des Pfarrers von Sankt Lukas

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 810. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_810.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)