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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890)

„Nein, nein – – ‚Mutter – Mutter!‘ ruft da jemand – ich höre es deutlich!“

„Kathi, die Möven! Komm, Frau!“

„Ach! Die Möven! – – Nun kommt er noch nicht, der böse, der liebe Junge!“

Ten Eißen umfaßte seine Frau fest, aber liebevoll und wollte sie zur Hütte zurückführen, denn sie war schwach geworden wie ein Kind und vermochte sich jetzt kaum noch auf den Füßen zu halten. – Er kannte das schon. – Da blieb sie wieder stehen. Wilde Verzweiflung kam über sie. Sie breitete die Arme aus: „Jann! Jann!“ klang es schaurig in die stürmische Nacht hinaus. „Dort! – Dort! – Mann! – – Mann! – – Er ist da! Er ist da!“

„Kathi –!“

„Sieh das Boot! Dort – es taucht auf – Jann! Jann! – – Jetzt ist’s verschwunden – – nein – nein – Mensch – Mann – Henri – siehst Du nicht? – Da kommt mein Kind – – mein Kind!“

Dem Fischer grauste, ihm war’s, als sträubten sich ihm die Haare, aber er folgte unwillkürlich mit den Augen der Handbewegung seines Weibes.

„Bei Gott dem Allmächtigen, wirklich ein Boot! – Ohne Mast – ein Mann steht aufrecht darin – es treibt umher! – Bleibe, Kathi, – bleibe! – Ich werde Hilfe herbeischaffen! Gieb ihm ein Zeichen! Winke mit dem Tuche! Hole die Laterne!“

Dahin stürzte Henri, um eiligst sein Boot klar zu machen, dorthin Kathi, damit sie die Laterne hole.

Henri ten Eißen, Emken Klüin und zwei andere Fischer stießen schon vom Lande, und Kathi schwenkte das Feuerzeichen, als gälte es, dadurch die Welt vor dem Untergange zu retten.

„Jann! Jann! – – Weihnachtszeit, heil’ge Zeit – – Jann! Jann! – Ich bin da – – der Engel und der Kinder Freud’ – ich bin da! – Komm ! – Komm! –“

Und vom schwankenden Nachen her erfolgte Antwort. Der Fetzen eines Segels wurde geschwenkt und Kathi glaubte die Stimme ihres Knaben zu hören, die sich für sie mit dem wüthenden Nordost zu einer jubelnden Weihnachtshymne vereinte.

Von der Hafenseite her kämpfte sich Henris Boot zu dem anderen heran. Jetzt tanzte es hoch auf den Wellen – nun verschwand es, jetzt faßten es die Wasser, daß das Steuer fast seine Kraft verlor. –

Kathi sah es, sie begriff die Gefahr und faltete die Hände zum brünstigen Gebet. Nun flog ein Tau hinüber zu dem entmasteten Fahrzeug, jetzt ein zweites – jetzt wandte ten Eißen sein Boot und schleppte das gerettete glücklich in den sicheren Hafen.

Da stand schon Kathi.

„Jann, Jann!“

Ein fast zum Mann gereifter Jüngling sprang ans Land, lag zu den Füßen des Weibes und umfaßte schluchzend ihre Kniee.

„Ich bin’s, Mutter – ich bin’s – – Vater, Mutter, vergebt mir!“

Henri ten Eißen stand sprachlos. Das Mutterherz hatte sich also doch nicht betrogen! – –

Es dauerte eine geraume Weile, bis der Ueberschwang der Gefühle ein richtiges Fragen und Antworten gestattete. Vom Arme der Mutter umschlungen, erzählte Jann, wie ihn das Heimweh unüberwindlich ergriffen habe, als er mit seinem englischen Schiffe so nahe gewesen. Da sei er entflohen mit Gefahr seines Lebens und seit drei langen, langen Tagen treibe er nun schon auf der See.

Aber es war, als ob Kathi das alles nicht hörte.

„Ich wußte es, daß Du heute noch kommst, ich wußte es ganz gewiß!“ wiederholte sie nur immerfort.

Sie schritten zur Hütte. Jann hätte den Sand seiner Heimath küssen mögen! – Da schaute das Dach schon hinter der Düne hervor und Kathi flog mehr, als daß sie ging, dem bescheidenen Heime zu.

„Wartet – wartet noch ein wenig! Erst –!“

Sie war schon hinter der Thür verschwunden, der bereitstehende Christbaum flammte auf im Lichterschein und erleuchtete den niederen Raum wie mit einem überirdischen Glanze.

*               *
*

Im nächsten Jahre blühten wieder die Nelken, die Rosen und die Feuerlilien in dem kleinen Gärtchen vor Henri ten Eißens Hütte. Heller Sonnenschein lag darüber und fand seinen Abglanz in Kathis und Henris fröhlichen, zufriedenen Gesichtern.

Alle Dunkelheit war ihnen von Geist und Gemüth genommen, denn Jann war ja da, er war ein guter, rechtschaffener Sohn und tüchtiger Seemann geworden, welcher seinen Eltern in Liebe, Gehorsam und Arbeit getreulich zur Seite stand.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1890). Leipzig: Ernst Keil, 1890, Seite 847. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1890)_847.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)