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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

besprach sie; nicht einmal einen Tadler fanden sie. In den Ausstellungen gab man ihnen die ungünstigsten Plätze; entweder hingen sie in den dunkelsten Ecken oder in gänzlich falscher Beleuchtung, sämmtlich aber kehrten sie mit rührender Anhänglichkeit in die Arme ihres Urhebers zurück. Glücklicherweise ist noch massenhaft Platz in unserem großen Hause, und wenn er im Laufe der Zeiten zu knapp wird, so kann ich Dich mit bemalter Leinwand versorgen, denn – aber nun höre:

Als unser Töchterchen ungefähr ein viertel Jahr alt war, trat ich eines Tages in die Wohnstube meiner Schwiegermutter – wir hatten damals noch kein eigenes Heim; diese Besitzung war zwar schon gekauft, aber noch nicht eingerichtet, und ich hielt mich nur meiner Frau und des Kindes wegen in dem stillen Waldthal auf – also, ich trete in die Wohnstube meiner Schwiegermutter und stehe plötzlich vor einem Bilde, das mich fesselt und begeistert. Es war, dank den alten hundertjährigen Lindenbäumen vor den Fenstern, ein wahrhaft Rembrandtsches Helldunkel in dem Raum, und nun denke Dir einen antiken Lehnstuhl inmitten der wunderlich holländisch ausstaffirten Wohnstube, an deren Wänden alte Fayenceteller und nachgedunkelte Familienbilder hängen. Denke Dir in diese Umgebung eine Frauengestalt, die ihren Kopf zu dem Kinde in ihrem Arme niederbeugt. Ein einzelner leuchtend goldener Sonnenstrahl umwebt das schimmernde Blondhaar genau mit dem Strahlenschein, wie ihn Raphael der Sixtinischen Madonna gegeben hat. Es war das erste Mal, Wolf, daß ich entzückt, ja hingerissen wurde von meiner Frau.

‚Antje,‘ sagte ich, ‚so will ich Dich malen!‘

Sie hob den Kopf und lächelte mich freundlich an. Am andern Tage begann ich. Es wurde ein schönes Bild, Wolf; die es gesehen haben, behaupten es alle. Es würde Aufsehen gemacht haben in der Kunstausstellung. Dabei war es sprechend ähnlich. Sie saß in dem wunderlichen Lehnstuhl, in dem weißen duftigen Morgenkleid, den Kopf hinuntergebeugt zu dem Kleinen, und der Sonnenstrahl umleuchtete das Blondhaar; kein Madonnenbild, und doch daran gemahnend, nur menschlicher, rührender, mehr zum Herzen sprechend.

Es klingt Dir lächerlich, Wolf, daß ich mein eigenes Werk lobe, ich kann Dir nicht einmal beweisen, daß es dieses Lob verdient, denn – das Bild existirt nicht mehr. Als ich es nämlich einpacken lassen wollte, um es nach Berlin zu schicken in die Ausstellung, da erklärte meine Schwiegermutter, sie wünsche nicht, daß ihre Tochter so ausgestellt werde, es sei unpassend, es sei unmoralisch, und sie begreife nicht, wie ich Antje im Morgenkleide so vielen fremden Blicken preisgeben möge.

Ich schaute sie völlig erstarrt an; da bat auch Antje, dunkelroth erglüht, ich möchte das Bild für mich behalten. Auch sie schien es als einen Mangel an Feingefühl zu empfinden, daß ich ein Porträt von ihr ausstellen wollte. Ich sah von der Lebenden auf die Gemalte und begann, geduldig ihr die Gründe auseinander zu setzen, die mich drängten, das Bild, gerade dies, öffentlich zu zeigen. Sie hörte mich mit niedergeschlagenen Augen an, und als ich am Schluß meiner langen Rede sie davon überzeugt zu haben glaubte, daß man nicht das Recht habe, ein Kunstwerk zu verstecken, daß es Pflicht für sie und für mich sei, mit diesem wirklich gut gemalten Bilde einen Schritt vorwärts zu thun in der Welt, daß fast alle großen Künstler ihre Frauen gemalt hätten zur Freude ihrer Mitmenschen, schüttelte sie den Kopf und wiederholte ihr flehendes: ‚Ach, bitte, thue es nicht, Leo!‘ zum hundertsten Male.

Noch gab ich den Kampf nicht auf, aber nach drei Tagen endloser Mühe von meiner und beharrlichen Weigerns von ihrer Seite riß mir die Geduld, ich wurde heftig und zerschnitt mit einem scharfen Federmesser ritsch ratsch die Leinwand kreuz und quer, beauftragte dann den Diener, Feuer im Kamin zu machen, und verbrannte sie eigenhändig. Antje stand dabei, bis das letzte Restchen verglimmte, sah kreideweiß aus und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Uebrigens habe ich unter der Geschichte mehr gelitten, als Du hier herauslesen kannst.

Seitdem habe ich meiner Frau zu verstehen gegeben, daß mir ihre Gegenwart in meinem Atelier nicht gerade erwünscht ist – und sie hat mich verstanden; sie hat den Raum, nachdem sie bei der Einrichtung desselben geholfen, nicht wieder betreten. Was kann sie denn da auch interessiren?

Ich male nun weiter. Früher that ich es aus Ehrgeiz und aus Hunger, jetzt ist mir der Ehrgeiz geblieben, aber er brennt schlimmer, als er es jemals im Verein mit der Noth gethan hat. Ich suche nach einem Gegenstand, der mich begeistert, und ich finde nichts. Augenblicklich steht zwar wieder eine Leinwand auf meiner Staffelei, ein Frauenporträt. Ich male nämlich unsere Nachbarin, die Baronin Erlach, eine interessante Person, Witwe von zweiunddreißig Jahren. Sie nahm als achtzehnjähriges Mädchen einen Mann von Vierundsechzig, der naturgemäß starb, als sie eben sechsundzwanzig wurde. Ihre beiden Söhne hat sie im Kadettenhause; sie selbst ist, wenn nicht hier in ihrem alten prächtigen Landhause, überall und nirgends, etwa in Paris, London, Petersburg; weder das Nordkap noch die Pyramiden sind sicher vor ihr. Sie kennt die Welt durch und durch, ist heiter, witzig, mitunter ein klein wenig boshaft und besitzt das Aeußere einer Frau, die mehr im Kerzenschein als im Sonnenlicht lebt. Blaß, zart, schlank, hat sie große braune Augen mit jenem eigenthümlichen Ausdruck, wie starke Kurzsichtigkeit ihn zuweilen verleiht, und der oft von bestechender Wirkung ist, hilfesuchend, sanft, was zu dem sonst muthwilligen Gesichtchen kaum passen will. Ich male sie in der reichen spanischen Tracht einer Edeldame des sechzehnten Jahrhunderts, in der perlengeschmückten Stuarthaube, dem hochstehenden Spitzenkragen und im blutfarbenen Sammetkleid, das den Hals frei läßt. Sie kommt jeden Morgen um neun Uhr und bleibt gewöhnlich zum Mittagsmahl bei uns. Bevor das Bild in dem Dunkel seiner Bestimmung verschwindet – sie thut sehr geheimnißvoll mit dem Namen des künftigen Besitzers – will ich es in Dresden ausstellen, wohlgemerkt, lieber Wolf, wenn ich je dazu komme, es zu vollenden. Denn Antje – da ist wieder ein neues Hinderniß – besitzt außer vielen andern ehrbaren sittigen Eigenschaften auch noch die einer philiströsen Eifersucht. Sie liebt die Baronin nicht, zeigt es ihr auf alle Weise, und gestern setzte sie ihrer eiskalten Zurückhaltung die Krone auf, indem sie einfach während des Nachtischs verschwand, vertrieben durch ein paar Anekdoten, die ihre tugendhafte Anschauung verletzt zu haben scheinen. Es hatte zur Folge, daß das liebenswürdige Original der spanischen Edeldame sehr bald aufbrach und heute ihr Ausbleiben mit einem nervösen Kopfschmerz entschuldigte, der zwar gut erfunden ist, mich doch aber gründlich aufklärte darüber, daß ich als Ehemann unter den Unarten meiner Frau mit zu büßen habe.

So steht es, Wolf; Du siehst, ich bin noch immer der alte, der nämliche Phantast, der die nüchterne Wirklichkeit verabscheut, sie vergeblich zu vergolden sucht; der leidenschaftliche Mensch mit dem übervollen Herzen, der immer das Unglück hat, da, wo er sich ganz geben möchte, mit einem kalten Wasserstrahl begrüßt zu werden. Wolf, kannst Du mir nachfühlen, was es heißt, in kleinlicher Umgebung zu leben?

Sieh, ich bin gewiß, sie ist die bravste, die rechtschaffenste Frau; den Begriff ‚Leidenschaft‘ kennt sie nicht, sie wird nie einen Schritt vom Wege der Pflicht, der Ehre abweichen, aber sie wird auch einen solchen nie verzeihen und, was schlimmer ist, nie verstehen. Wir sind Feuer und Wasser zusammen.

Komm bald! Ich hole Dich von Dresden ab.
 Dein Leopold.“

Der Schreiber dieser Zeilen faltete die verschiedenen Bogen zusammen, steckte sie in einen Briefumschlag, adressirte, siegelte und saß dann einige Minuten, zurückgelehnt in seinem Armstuhl, völlig bewegungslos. Die herbstliche Abendsonne warf einen hochrothen Schimmer in den reich ausgestatteten vornehmen Raum, sie ließ die matten Farben in den Smyrnadecken, mit denen der Saal getheilt und das Parkett belegt war, glühend aufleuchten und bestrahlte die Gemälde in breiten funkelnden Goldrahmen an den Wänden hinter dem Rücken des Mannes. Es waren meistens Landschaften, aber auch einzelne Porträts, Studien, alles eigenthümlich gemalt. Leo Jussnitz huldigte der kernigen Pinselführung der modern realistischen Schule; skizzenhaft, aber keck waren sie hingeworfen, die knorrigen Eichen, die Wolken am Gewitterhimmel, der grell beleuchtete See. Die Schilfkolben im Vordergrund warfen fast Schatten, so dick war die Farbe aufgetragen. Man konnte nicht leugnen, es lag Stimmung in diesen Landschaften, aber das Dilettantenhafte war durchaus nicht zu verkennen.

Leo selbst blickte zu einem Gemälde hinüber, das sich hinter dem flachen Schreibtisch auf einer Staffelei erhob. Es war ein Frauenbildniß, lebensgroß; eine schlanke Gestalt in rothem Sammetgewand, lehnte sie an einer Säule und blickte mit schmachtenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_003.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)