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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Felsen, wo er sich eine Hütte aus Holz und mit Moos und Tannenreisig bekleidet erbaut hatte. Wegen Vagabundage wurde er angeklagt und blieb einige Zeit in Haft. Als man ihn freigelassen hatte, verschwand er wieder im Walde.

In einer Nacht nun stieß ein Forstmann, der „rothe Jakob“ genannt. ein boshafter Gesell, zufällig auf den ihm wohlbekannten Troddeltony.

„Heh, was machst denn? Hast Dir wieder ein Hüttle gebaut?“

„Ja,“ sagte der Tony, sich in die Brust werfend, „und diesmal spürt es keiner von Euch aus.“

„Wovon lebst denn? Vom Wildern natürlich?“

„Leben muß man doch?“

„Wenn ich Dich nun mitnehme aufs Gericht?“

„Das wirst Du nicht thun, gelt?“ bat der Bursche.

„Dummer Kerl!“ meinte darauf der rothe Jakob, „Du solltest Dich für die Gendarmen unsichtbar machen, dann könntest Du auch bei Tage gehen, wohin Du wolltest und brauchtest nicht zu befürchten, abgefaßt zu werden.“

„Unsichtbar? Wie meinst Du das, Jakob?“

Der Jäger machte ein pfiffig geheimnisvolles Gesicht und raunte dem Neugierigen zu:

„Wenn Du einer frisch vergrabenen Leiche genau um die Mitternachtsstunde das Hemd abziehst und es selber anlegst, so sieht Dich kein Teufel und kein Gendarm. Dann bist Du unsichtbar.“

Darauf ging der verschmitzte Förster weiter seines Weges durch den finstern Wald, überzeugt, daß der Tony in die Falle gehen werde, die er ihm gestellt hatte.

Am nächsten Tage verbreitete sich durch Holzschläger die Kunde, daß der rothe Jakob in die Ach abgestürzt sei und das Genick gebrochen habe. Man holte seine Leiche und begrub sie auf dem Dorffriedhof.

Nachts schlich sich ein Mann zwischen den einsamen Gräbern hindurch und blieb an der frischen Gruft des Försters hocken. Lange lauschte er in der lautlosen Finsterniß. Dann schaufelte er die Erde heraus, bis er auf den Sarg stieß“ in dem Jakob lag. Er brach den Deckel vermittels mitgebrachter Werkzeuge aus, legte ihn zur Seit und horchte dann wieder. Nichts zu sehen und zu hören aus dem vom Dorf entlegenen Friedhof. Da schlug es vom Kirchthurm Mitternacht. Sofort zog er der Leiche das Hemd ab und barg es bei sich, hob den Deckel wieder zurück, schaufelte die Erde darüber und entfernte sich hastig mit seinem Raube.

Sogleich legte er auch das Hemd des Toden über seine Kleidung und wanderte furchtlos die Landstraße ab, überzeugt, daß ihn niemand sehen könne. In dieser Nacht begegnete ihm kein Mensch: Aber nach ein paar Tagen brachten die Gendarmen den Troddeltony im Totenhemde des rothen Jakob ins Gefängniß nach Bezau, und der Verdacht, den Jäger in den Tod gestürzt zu haben, zog ihm eine lange Untersuchung zu, welche aber zu keinem Ergebniß führte.

Wie viele ähnliche Fälle, durch den Aberglauben bewirkt, spielen sich nicht geheimnisvoll in den Bergen ab! Denn da vor allem ist er in allen möglichen Arten eingenistet. Abgesehen von dem religiösen Volksbedürfniß, die Heiligen der Kirche um gut Erntewetter und Schutz des Viehs auf den Almen zu bitten, herrscht dort noch immer mehr oder weniger die Einfalt, welche die Religion mit Zaubereien in Verbindung setzt, wie es in allen Welttheilen, bei Gebirgsvölkern zumal, der Fall ist. Hat der Tiroler Schaden an seinem Vieh gelitten, so hält er es für geboten, deswegen zum heiligen Leonhard zu wallfahrten, welcher als der besondere Viehpatron verehrt wird. Wer den Sohn der Berge deswegen belächeln und an den Thierarzt verweisen würde, den würde er mißachten als einen der „Herren“, die halt keine Religion haben, und selbst alle Belehrungen aufgeklärter Geistlicher stoßen auf hartnäckigen Widerspruch im Bauernvolke. Wie dies sein Heil bei Gewitter vom Wettersegen des Priesters und nicht von solch einem Ding wie einem Blitzableiter erhofft, so auch vom Läuten geweihter Kirchenglocken die Vertreibung von Hexen und Gespenstern, die bei ihm ihr Unwesen treiben. Im Pusterthal wüthete einmal im Juli ein Unwetter. Die Meßner zweier eng benachbarten Gemeinden griffen nach den Glockensträngen, die Geistlichen hüben wie drüben nach ihrem Brevier. Eine der beiden Gemeinden wurde gleichwohl schwer heimgesucht und ihre Ernte wurde mit faustgroßen Schloßen vollständig vernichtet. Da kamen die Bauern dieses Dorfes mit zornigen Vorwürfen an ihren Geistlichen, der sich damit zu rechtfertigen suchte, daß sein Amtsbruder in der Nachbargemeinde alles Unglück herübergebetet haben müsse. Sie stutzten, fanden die Sache wahrscheinlich und begannen nun einen förmlichen Krieg mit den Nachbarn, wobei es blutige Köpfe in Menge gab.

Von ebendaher erzählt Adolf Pichler in seinen Skizzen „aus den Tiroler Bergen“ eine köstliche Hexengeschichte – aus früherer Zeit natürlich, von damals, als die Mütter noch an Teufel und Teufelsspuk glaubten, was ihre gebildeteren Töchter von heute ja nicht mehr thun, wie sie wenigstens den Fremden versichern. Ein Bua ging gewöhnlich in später Stunde an einem Heustadel vorbei zu seinem Mädel ans Fenster. Als er nun einmal um Mitternacht guter Dinge heimkehrte, sah er Licht aus den Spalten des Stadels schimmern und hörte eilte Geige drinnen spielen. Er guckte neugierig durch eine Ritze und bemerkte zu seinem schauderhaften Erstaunen auf der Diele einen rothen Hund sitzen, der emsig auf der Geige fiedelte. Allerlei Katzen tanzten dazu um ihn herum. Der Bua, nicht faul, warf einen Stein unter sie, der den Hund traf. Der Hund heulte vor Schmerz, das Licht erlosch, die Katzen aber sprangen mit wildem Geschrei auf den Störenfried los, der sich ihrer mit feinem Bergstock erwehren mußte. Eine der Katzen traf er hierbei derart aufs Maul, daß sie genug hatte und jammernd abzog. Am nächsten Morgen, es war Sonntag, ging der Held dieser Geschichte in die Kirche. Unterwegs begegnete er einem Nachbar, der ihm sagte, er müsse zum Bader, denn sein Weib habe sich in der Nacht eine Reihe Zähne eingefallen.

„Hm, Anderl, aus welcher Seite fehlen ihr denn die Zähnen?“

„Auf der rechten.“

Da sagte der Bursche überzeugungsvoll:

„Nachbar, geht lieber zu einem Pater; denn Euer Weib ist eine Hexe, ich habe sie heut’ nacht im Stadel gesehen, wo es nicht richtig ist, und habe ihr du mit meinem Stock die rechten Zähne aus dem Maul geschlagen.“

Anderl kehrte nachdenklich um und soll zu Hause nach echter tiroler Herzenslust den Teufel aus seiner Ehefrau getrieben haben.

Die hohe Obrigkeit und Gerichtsbarkeit, welche einst so viel Hexen aufgriff und ihnen mit Feuer und Schwert den Garaus machte, begnügt sich heutzutage, ihr vorkommende Hexereien nur als gemeinen Unfug oder Betrug zu bestrafen. Bei Kempten kurierte ein Bauer das Vieh und enthexte es auch, Dabei verfuhr er folgendermaßen: er machte Feuer im Kuhstall, nahm zwei Eisenstangen, brachte dieselben zum Glühen und goß Milch darüber. Die dadurch aus dem Eisen entstandene Milchhaut erklärte er für die Haut der Hexe, die somit glücklich verbrannt wäre. Dafür ließ er sich siebzehn Mark zahlen; das Gericht gab ihm aber noch drei Wochen Gefängniß dazu.

Ein Dorfrichter bei Odessa faßte dagegen die Hexerei jüngsthin immer noch mehr im alten Stile auf. Bei ihm waren Klagen gegen ein Weib eingelaufen, daß es die Kühe behexe, die darum keine Milch mehr gäben. Das böse Weib mußte. 30 Rubel Schadenersatz dafür bezahlen.

In Rußland giebt es eine Sekte, deren Mitglieder sich ihre Plätze im Himmel schon bei Lebzeiten sichern, indem sie dieselben kaufen, ersten oder zweiten Platz. Auf dem ersten können sie im Lehnstuhl sitzen oder auf einem Divan liegen; auf dem zweiten Platz giebt es nur ein Stühlchen ohne Lehne. Kürzlich ereignete es sich im Dorfe Ossipowo, daß ein armer Bauer seinen letzten Hafer verkaufte und mittels des erlösten Geldes ohne Vorwissen seines Sohnes einen Platz erster Güte im Paradiese belegte. Nach dem der Sohn es in Erfahrung gebracht hatte, nahm er den Vater gehörig vor:

„Solch ein armer Teufel nimmt nicht erster Klasse: für den ist die zweite doch gut genug!“

„Soll ich wohl“, antwortete der Vater unwillig, „wegen fünf Rubel viel Aufhebens machen und die ganze Ewigkeit auf dem Schemel sitzen, während ich nun doch auf einem Polster liegen kann?!“




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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil’s Nachfolger, 1891, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_030.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)