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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Antwort zur nächsten Droschke, und stumm fuhren sie zurück bis nach dem kleinen Hause der Tante.

„Ich warte bei der Frau, oben ist noch alles dunkel,“ sagte Hilde. „Haben Sie Dank, Herr Jussnitz, und – bitte, bitte –“

Er stand, den Hut in der Hand, neben ihr vor dem Eingang zum Gemüseladen. „Befehlen Sie über mich, Fräulein Hilde.“

„Bitte, bitte, vergessen Sie Ihr Versprechen nicht und kommen Sie zu uns wegen – wegen des Unterrichts.“

„In drei Tagen komme ich.“

Er fühlte noch einen dankbaren Druck der kleinen Hand, dann war sie in der Thür verschwunden, und Jussnitz sah durch die Glasscheiben, wie die dicke Frau das schöne Mädchen in das hinter dem Laden befindliche Stübchen nöthigte.

Die Droschke hatte gewartet. „Fahren Sie in die Z.Straße Nummer dreizehn,“ rief er, „aber rasch, wenn Sie sich ein gutes Trinkgeld verdienen wollen!“

Der Kutscher brummte irgend etwas, denn die Z.Straße befand sich so ziemlich am entgegengesetzten Ende der Stadt. Dann hieb er auf sein Thier ein und das Gefährt holperte davon. Nach einer halben Stunde fuhr der Wagen nicht mehr auf dem Pflaster, die vereinzelten Gaslaternen strahlten ihr Licht gegen die Bäume einer alten prächtigen Allee, und hinter herbstlichen Bosketten tauchten einzelne Villen auf. Am Ende dieser Gartenstraße hielt der Wagen, Jussnitz sprang heraus und berührte die elektrische Klingel an der schmiedeeisernen Thür, und während er wartete, bis man ihm öffnete, suchte er das Haus dieses Grundstückes zu erspähen. Es mußte sehr tief im Garten liegen, denn er vermochte nur ein Wirrniß von blattlosen Bäumen, von Sträuchern und grünen Edeltannen zu sehen, zwischen denen sich der Weg verlor. Endlich kam ein Laternchen daher geschwankt in der Hand einer alten Frau.

„Wer ist denn da?“ scholl es schon von weitem ziemlich verdrießlich.

„Hier ist ein Atelier zu vermiethen?“ antwortete Jussnitz.

„Jawohl, aber es ist nur von morgens neun Uhr bis nachmittags fünf Uhr zu besehen.“

„Ich will es nicht sehen, ich will es miethen.“

Die Alte, die jetzt erst die Thür aufgeschlossen hatte, hielt die Laterne hoch und leuchtete dem Fremden ins Gesicht, den sie für halb verrückt hielt.

„Sind Nebenräume dabei?“ fragte er.

„Ein Wohn-, ein Schlafzimmer und noch ein Kämmerchen.“

„Schön! – Wer wohnt sonst im Haus?“

„Niemand; höchstens im Sommer das Fräulein Brandt ein paar Wochen.“

„Gehört ihr die Villa?“

„Ja! Aber sie hat noch ein Haus in Strehlen, und alt ist sie auch schon.“

„Sie sind die Hausmannsfrau?“

„Ja, wenn Sie so wollen, aber einen Mann habe ich nicht mehr.“

„Uebernehmen Sie die Bedienung?“

„Ja, mein Herr.“

„Also, ich miethe das Atelier; in drei Tagen schicke ich Leute zum Einrichten. Hier ist meine Karte, und das für Sie.“

„Ohne hineinzukommen? Mein Herr, wenn Sie das Quartier sehen wollen –“ Die alte Person war plötzlich die Höflichkeit selbst.

„Ich sehe es in drei Tagen,“ antwortete er. „Gute Nacht!“

„Schönen guten Abend, mein Herr!“

Jussnitz sprang wieder in die Droschke und nannte den Namen eines bekannten Restaurants, während sich die kopfschüttelnde Alte mit ihrem Laternchen in dem einsamen Garten verlor.

Der Dahinfahrende nahm plötzlich den Hut von der Stirn, es war ihm heiß geworden. Was wollte er denn eigentlich? Er lächelte über seinen Feuereifer. Das Fieber, etwas Großes zu leisten, die alte freudige Schaffenskraft waren angesichts dieses schönen Mädchens so stark und jugendkräftig erwacht, wie er sie lange nicht gekannt hatte. Er kam sich vor wie ein Kranker, der zum ersten Male fühlt, daß er genesen kann. Malen wollte er sie, Aufsehen erregen mit seinem Bilde, und dazu brauchte er ein Losgelöstsein von allem, was ihn quälte. Er mußte dieses stille Atelier haben, denn Antje das Mädchen ins Haus bringen? Unmöglich! Antje, mit ihrer Prüderie, mit ihrer Engherzigkeit – und dieses Geschöpf, das ihn an ein scheues edles Pferd der Prairie gemahnte! Lächerlich! – Ueberhaupt, wenn er etwas leisten wollte im Porträtfach, so war es dringend erforderlich, daß er sich herausriß aus seiner seitherigen Umgebung, aus der Nähe seiner Frau. Er wollte nicht ihre erschreckten Augen sehen, wenn irgend ein Modell das Haus betrat, denn sie würde das ja nie verstehen; er hatte das längst gefühlt und deshalb längst das Atelier miethen wollen.

Seltsam – in diesem Augenblick überkam ihn etwas wie Mitleid mit seiner Frau. Sie hätte einen braven Kerl heirathen sollen, der außer ihr höchstens noch sein Contor im Kopfe hatte. Was sollte sie mit der angeerbten, anerzogenen Engherzigkeit neben ihm? Und er? Er fühlte das lähmende Gewicht einer Frau, die ihm geistig nicht ebenbürtig war, von Tag zu Tag mehr – – Ein Künstler sollte eben nicht heirathen, wenigstens nicht so. Nein, er that das Rechte, indem er das Atelier miethete, das ein Kollege innegehabt hatte, der nun für lange Zeit nach Sorrent gegangen war.

„Es ist das Rechte so,“ sagte er halblaut und trat mit aufgehellter Stirn in das vornehme Lokal, das er für gewöhnlich zu besuchen pflegte. Nur vier oder fünf Herren begrüßten ihn dort, und zwar mit verwunderten Gesichtern.

„Was zum Teufel, Jussnitz, Sie noch hier um neun Uhr abends?“ fragte ein Offizier. „Und wissen Sie auch, daß Klöden und ich uns eigentlich vorgenommen hatten, Sie heute abend zu überfallen? Der alte Freund behauptet nämlich, Sie feierten heute die Wiederkehr Ihres Hochzeitstages, er hätte es von der Baronin Erlach, die auch heute bei Ihnen zu Abend speist.“

„Thut sie auch, sie erzählte es heute früh in meinem Beisein dem Fräulein von Bardeleben!“ rief ein anderer.

Leo Jussnitz sah einen Augenblick ganz bestürzt aus. „Meine Frau liegt mit heftiger Migräne danieder,“ sagte er dann schnell gefaßt, „ich selbst hatte Wichtiges hier zu thun, will nur ein Glas Bier trinken und dann schnell nach Hause fahren. Apropos,“ sprach er weiter, das gefüllte Stammseidel mit dem silbernen Deckel zur Hand nehmend, „ich halte Sie beim Wort, meine Herren, kommen Sie morgen heraus!“

O gewiß, sie wollten alle kommen, aber Jussnitz solle noch dableiben, es sei ohnehin verteufelt langweilig, da alles auf der Hochzeit der kleinen Gräfin Mellenthien sei.

„Unmöglich!“ erwiderte Jussnitz, und nachdem er noch einiges für den anderen Tag verabredet hatte, verließ er das Lokal. In den ersten besten Blumenladen, den er noch offen fand, trat er ein und kaufte das erste beste Veilchensträußchen. Als er, den Strauß in der Hand, aus dem Laden gehen wollte, wandte er sich noch einmal und bestellte ein Blumenkörbchen, an die Adresse des Fräulein von Zweidorf, X.-Straße Nummer so und so, zu senden.

„Wünschen Sie Ihre Karte beizufügen?“ fragte die Verkäuferin.

„Nein!“ erwiderte er, das Portemonnaie wieder einsteckend.

„Aber der Herr vergessen den Veilchenstrauß!“ rief ihm das Fräulein nach.

Er kam ärgerlich zurück, ergriff die vergessenen Blumen und fuhr nach dem Bahnhofe. Im letzten Augenblick erreichte er den Zug und sprang in den Wagen.

„Wie sehen Sie denn aus, Jussnitz, sind Sie krank?“ fragte eine gutmüthige Stimme.

„Ach, Sie sind’s, Barrenberg! Durchaus nicht krank, nur etwas abgehetzt: wollte gern noch mit diesem Zuge wieder heim.“

„Waren Sie im Klub? Sicher niemand da –“

„Doch!“ Und er nannte die Namen der Herren.

„Meine Cousine ist heute abend bei Ihnen, Jussnitz.“

„Das glaube ich nicht, Barrenberg, die Baronin war gestern da.“

„Und heute hatte sie eine Einladung von Ihrer Frau Gemahlin – ich weiß es genau.“

Jussnitz lachte. „Täuschung, bester Barrenberg; sie sagte mir sogar die Sitzung ab – wegen Kopfschmerz.“

„Die kleine Lügnerin! Sie schrieb mir, ich sollte nicht heute nachmittag, sondern erst spät abends kommen; wir wollen nämlich morgen früh mit den Pferden zum Rennen nach H. Kommen Sie mit?“ fragte der stattliche Mann, in dem man unschwer den einstigen Kavalleristen erkannte.

„Es ist möglich,“ antwortete Jussnitz.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_039.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)