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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

von Reinhold) eine Sommerwohnung des Dichters in Rudolfsheim mit der Umschrift: „Heimlich sei es und stiller Schatten mäßige den Tag, daß ich gern sitzen und sinnen, dichten und denken mag.“ Auf einem Bücherspinde gewahren wir die mehr liebenswürdige Absicht der Spender als Geschmack offenbarende Vase, welche das Burgtheater dem Dichter zu seinem 70. Geburtstag als Ehrengabe stiftete.

Das altväterische Prunkstück ist mit allerhand Wiener Ansichten, unter anderem auch mit einer Abbildung des Geburtshauses unseres Dichters, geziert, ein Gebäude, das der Stift des Zeichners auf unserem nebenstehenden Erinnerungsblatt in einer Aufnahme nach der Natur veranschaulicht hat. Es ist das mit einer Gedenktafel geschmückte Haus Nr. 10 auf dem Bauernmarkt in der inneren Stadt, dessen Grillparzer in seiner Selbstbiographie (Werke, X, S. 4 ff.) gedenkt.

Grillparzers Vater, ein ehrenfester, eigenrichtiger Mann, hatte eines Abends, zufällig als Gast in die saalähnlichen Zimmer dieses Altwiener Gebäudes geladen, in diesen Räumlichkeiten das Ideal einer Behausung sowohl für seine Advokatenkanzlei als für seine Familie zu erkennen geglaubt und deshalb, nicht ohne Uebereilung, die Wohnung gemiethet. Hinterdrein freilich stellte es sich heraus, daß eine Reihe der Fenster in ein enges, schmutziges Sackgäßchen ging.

„Nur in den längsten Sommertagen fielen um Mittagszeit einzelne Sonnenstrahlen in das Arbeitszimmer unseres Vaters, und wir Kinder standen und freuten uns an den einzelnen Lichtstreifen am Fußboden. Finster und trüb waren die riesigen Gemächer. Ja auch die Eintheilung der Wohnung hatte etwas Mirakuloses. Nach Art der uralten Häuser war es mit der größten Raumverschwendung gebaut. Nächst der Küche lag das sogenannte Holzgewölbe, so groß, daß allenfalls ein mäßiges Haus darin Platz gehabt hätte. Man konnte es nur mit Licht betreten, dessen Strahl übrigens bei weitem die Wände nicht erreichte. Von da gingen hölzerne Treppen in einen höheren Raum, der Einrichtungsstücke und derlei Entbehrliches verwahrte. Nichts hinderte uns, diese schauerlichen Räume als mit Räubern, Zigeunern oder wohl gar Geistern bevölkert zu denken!“ Es hat, nach dieser Beichte Grillparzers, denn auch nicht an Stimmen gefehlt, welche auf diese ersten Kindheitseindrücke die Grundstimmung des gespenstischen Treibens im Schloß der „Ahnfrau“ zurückführen.

Durch die Seitenthür des Flurraums treten wir endlich in das Allerheiligste, das eigentliche Wohn-, Studier- und Schlafzimmer Grillparzers, das sogar diejenigen, welche bei Lebzeiten des Dichters die Schwelle seiner Klause überschreiten durften, anheimelt, als ob sie das alte Gemach Grillparzers selbst vor sich sehen würden.

Das Grillparzerdenkmal  Der Korridor zum Grillparzerzimmer. 
im Wiener Volksgarten. Letzte Feder Grillparzers. Grillparzers Geburtshaus.

Das Grillparzerzimmer des Wiener Rathhauses.
Das Ehrengeschenk des Burgtheaters. 
Nach einer Zeichnung von T. v. Rybkowski.

Mit solcher Liebe und Treue ist das Urbild nachgeahmt, daß man fast einen Augenblick wähnen und hoffen mag, jetzt und jetzt werde der frühere Eigenthümer dieses bescheidenen und doch einzigen Hausrathes eintreten und wieder Besitz ergreifen von seinen Bücher- und Gedankenschätzen. Im nächsten Augenblick freilich überkommt uns Ehrfurcht und Wehmuth: unwiderstehlich drängen sich uns die Faustischen Verse auf die Lippen: „In dieser Armuth, welche Fülle! in diesem Kerker, welche Seligkeit!“

Mehr als einen wandelte wohl dasselbe Befremden an, welches Kaiser Franz Joseph äußerte, als er bei einem Besuch des am 24. Juni 1887 neueröffneten städtischen Museums angesichts des Grillparzerzimmers erstaunt fragte: „So einfach hat der Dichter gewohnt?“

Aber schon Jakob Grimm hat in seiner Selbstbiographie die goldenen Worte gesprochen: „Es hat mich nie geschmerzt, vielmehr habe ich oft hernach das Glück und auch die Freiheit mäßiger Vermögensumstände empfunden. Dürftigkeit spornt zu Fleiß und Arbeit an, bewahrt vor mancher Zerstreuung und flößt einen nicht unedlen Stolz ein, den das Bewußtsein des Selbstverdienstes gegenüber dem, was andern Stand und Reichthum gewähren, aufrecht erhält. Ich möchte sogar die Behauptung allgemeiner fassen und vieles von dem, was Deutsche überhaupt geleistet haben, gerade dem beilegen, daß sie kein reiches Volk sind. Sie arbeiten von unten herauf und brechen sich viele eigenthümliche Wege, während andere Völker mehr auf einer breiten, gebahnten Heerstraße wandeln.“

Wie dem auch sei: wir schulden Grillparzer trotz oder vielmehr erst recht wegen der antiken Schlichtheit seiner Lebensführung erhöhte Bewunderung. Und die Deutschösterreicher nicht bloß, alle guten Deutschen sollen das Grillparzerzimmer mit derselben heiligen Scheu betreten wie die denkwürdigen Stätten von Weimar.

– – Gerade in dem Augenblick, in welchem diese Zeilen zum Drucke gehen, kommt uns die Meldung zu, daß am hundertsten Geburtstag des Dichters in den oben geschilderten Räumlichkeiten auf Anregung des Bürgermeisters von Wien, Dr. Prix, eine Grillparzer-Ausstellung eröffnet wird. Die bedeutendsten Privat- und öffentlichen

Sammlungen in Oesterreich und Deutschland haben der Stadt Wien wetteifernd ihre Schätze zur Verfügung gestellt (Gemälde, Porträts von Grillparzer und seinen namhaftesten Zeitgenossen, Altwiener und Neuwiener Ansichten etc.). Der Zweck der Ausstellung ist, Grillparzers Lebenslauf im Bilde zu spiegeln.

A. Bettelheim.




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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_044.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)