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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

1889 zusammen genußreiche Tage verlebt hatten, am 17. Dezember geschrieben. Schliemann berichtete, daß er einen Ohrenarzt aufgesucht und daß dieser ihm aus der Tiefe des Ohres außer Jodoform eine „Masse“ von Knochen herausgeholt habe. Aber er höre auf dem rechten Ohr und hoffe, das linke werde sich auch erholen. Am Abend desselben Tages gedachte er nach Neapel abzureisen, um dort, wie er mir schon in Berlin gesagt hatte, die neuen Erwerbungen der Museen, insbesondere die letzten Ausgrabungen von Pompeji, zu mustern.

Seitdem habe ich von ihm direkt nichts gehört. Die erste Nachricht kam am 27. Dezember früh durch eine telegraphische Depesche über London, sie meldete seinen am 26. erfolgten Tod. Nachher haben die Zeitungen und Privatbriefe Einzelheiten gebracht, welche den plötzlichen Verlust noch schmerzlicher machen. Nach diesen Nachrichten scheint kein Zweifel darüber zu bestehen, daß von dem kranken Ohr aus ein entzündlicher Prozeß nach innen auf das Gehirn, vielleicht auch auf einen der großen Blutleiter in der hintern Schädelgrube, sich ausgebreitet hat. Jedenfalls war der Knochen in weiterer Ausdehnung erkrankt, wie sich bei einer am 25. vorgenommenen Anbohrung des Warzenfortsatzes zeigte. Möglicherweise ist schon die Pariser Angabe so zu deuten, daß sich in dem Knochen ein cariöser Prozeß entwickelt hatte. Und so müssen wir uns in das Unvermeidliche mit, ach wie schmerzlicher, Ergebung fügen und es noch als einen Trost ansehen, daß ein schneller Tod den Mann vor dem schlimmeren Uebel einer langwierigen Umnachtung des Geistes bewahrt hat.

Heinrich Schliemann.
Nach einer Photographie von N. Raschkow jun., Hofphotograph in Breslau.

Die große Theilnahme, welche Schliemanns Hinscheiden im ganzen Vaterlande gefunden hat, mag es entschuldigen, wenn ich in solcher Ausführlichkeit den letzten Leidensgang des Freundes dargelegt habe. Er selbst hat in seinem „Ilios“ in eingehender Weise seine Entwickelungsgeschichte und seine Lebensschicksale geschildert; so soll auch der Schluß seines reichen Lebens der allgemeinen Kenntniß nicht entzogen sein. Mir persönlich lag es um so mehr nahe, den Beginn der Katastrophe mit unserer Ida-Besteigung zu besprechen, als diese Reise für mich die letzte Gelegenheit geboten hat, die ungewöhnliche Leistungsfähigkeit des seltenen Mannes zu sehen.

Schliemann war als junger Mensch von zarter Gesundheit. Er hat eine zeitlang Blut gehustet und war damals so von Kräften gekommen, daß wohlmeinende Gönner ihn bestimmten, auf ein Schiff zu gehen, um nach Venezuela zu fahren und dort in einem milderen Klima seine Gesundheit wiederzugewinnen. Bis in sein Alter liebte er die Wärme, und der Gedanke an die Tropen begeisterte ihn. Mit welchen Hoffnungen mochte er damals das Schiff betreten! Aber, wie er zu sagen pflegte, „die Götter“ wollten es anders. Das Schiff scheiterte beim Texel und er war einer der wenigen Schiffbrüchigen, welche gerettet wurden. Damit begann seine schwere Lehrzeit in Amsterdam, welche die Grundlage seiner glänzenden kaufmännischen Laufbahn geworden ist. Und trotz aller Entbehrung kräftigte sich dabei sein Körper; meines Wissens hat er später nie wieder an der Lunge gelitten.

Wohl hat er zu wiederholten Malen gefährliche Anfälle von kaltem Fieber gehabt, die ihn wiederholt an den Rand des Grabes brachten. Eine solche Erkrankung brach nach seiner Weltumsegelung in Amerika aus. Ein anderes Mal faßte ihn die Malaria in der Troas, als er seine Ausgrabungen bis tief in den Sommer hinein fortsetzte. In einem beklagenswerthen Zustande traf er damals zu einer Generalversammlung der Deutschen anthropologischen Gesellschaft in Frankfurt a. M. ein. Eine Stunde, bevor er einen Vortrag halten sollte, war er noch im Schüttelfrost; dann aber verschwand er plötzlich und erschien nach einiger Zeit, scheinbar wohl, wieder. Er hatte in aller Eile ein kaltes Douchebad genommen! So gewaltsam pflegte er seine Behandlung selbst in Angriff zu nehmen.

In der That hatte er seinen Körper auf eine wunderbare Weise abgehärtet. In Athen war er gewohnt, jeden Morgen nach dem Piräus zu reiten und ein Seebad zu nehmen, Winter und Sommer. Aber auch anderswo zog ihn in erster Linie die See an. Er badete unter den ungünstigsten Verhältnissen. Eines Tages waren wir auf einer gemeinsamen Reise durch die Troas nach Assos gekommen. Der Berg, auf dem die berühmte Feste erbaut war, ist ein alter Vulkan, die Küste vor ihm weit und breit mit gewaltigen Steinblöcken durchsetzt. Trotzdem mußten wir baden. Aber es war ein gefährliches Unternehmen, wir konnten leicht die Beine brechen, und trotzdem war keine Aussicht, daß wir in freies Wasser gelangen würden. Da zeigte er mir, wie man es machen müsse; er legte sich mit der Brust voran auf die Steine und schob sich so allmählich vor, bis der Körper wenigstens von Wasser bedeckt war. Das geschah aber erst einige Hundert Schritte von der Küste. Mehrere Stunden später, gegen Mitternacht, bestiegen wir eine kleine Felucke, um zu Wasser längs der ganzen trojanischen Küste nach dem Hellespont zurückzufahren. Unsere Fahrt begann bei gänzlich conträrem Wind und der Kapitän (Reis) mußte zwischen der Insel Mytilene und dem Festlande hin und her kreuzen. Alles wurde seekrank, ich selbst befand mich recht unwohl, nur Schliemann lag ganz still neben mir im Kielraum. Als der Morgen aufging und wir mit einer günstigen Brise längs der Küste von Alexandria Troas hinsausten, erhob er sich endlich und zeigte, wie er auf der rechten Seite ganz durchnäßt war. Er hatte im Kielwasser gelegen, hatte mich aber nicht stören wollen! Schon am Vormittage ankerten wir am Karanli Limani, einer Bucht des Hellespont, und das erste Verlangen, das Schliemann stellte, war wieder ein Bad. Ich erfüllte seinen Wunsch, ihm Gesellschaft zu leisten, und ich muß gestehen, daß es ein Labsal war, in die krystallhelle Fluth des tiefen Beckens zu tauchen. Kaum waren wir aber wieder bekleidet, so erwachte auch die Unruhe. Waren wir doch fast 8 Tage von Hissarlik abwesend gewesen und die Ausgrabungen waren inzwischen fortgesetzt worden! Was konnte da alles geschehen sein! Schliemann setzte sich in eine so eilige Bewegung, daß ich anfangs nicht Schritt halten konnte. Dann aber nahm ich alle Kraft zusammen und überholte ihn. Es wurde fast ein Dauerlauf, in dem wir nicht eher aufhörten, als bis wir wieder auf dem Burgberge standen.

Von diesen Tagen an datirt eigentlich die persönliche, ich möchte fast sagen, die körperliche Werthschätzung, in der mich Schliemann hielt. Wir hatten in den Tagen vor Assos Ritte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_067.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)