Seite:Die Gartenlaube (1891) 069.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 5.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Eine unbedeutende Frau.

Roman von W. Heimburg.
(4. Fortsetzung.)

Auf der Chaussee fuhr, von Dresden kommend, ein offener Wagen in raschestem Trabe daher. Es war ein trüber Dezembertag und es schneite in großen Flocken. Die beiden Herren, die, in Pelze gewickelt, im Wagen saßen, glichen Schneemännern, so dicht legten sich die weißen Sterne auf ihre Kleidung. Herr Jussnitz hatte vom Bahnhof seinen Freund Wolf Maiberg abgeholt, der direkt von Hamburg kam; erst vor wenigen Tagen war er dort glücklich mit dem Dampfboot von Rio de Janeiro eingelaufen und wollte nun das Weihnachtsfest im Jussnitzschen Hause verleben.

Leo Jussnitz schnitt ein verdrießliches Gesicht. „Du wirst Dich erkälten, Wolf,“ brummte er; „welch ein Einfall, im offenen Wagen fahren zu wollen!“

„Wenn Du zu erfrieren fürchtest, laß ihn zumachen,“ war die launige Antwort. „Mir ist es eine Wonne ohne gleichen, einmal wieder Schneeluft, deutsche Schneeluft athmen zu können, Leo.“ Und die breite Brust des Mannes dehnte sich, so tief schöpfte er Athem. Ueber sein hübsches, von fester Willenskraft zeugendes Gesicht, zu dessen sonnverbrannter Hautfarbe der blonde Vollbart und die hellen graublauen Augen fremdartig genug aussahen, flog ein Schatten, als Jussnitz nun wirklich den Befehl ertheilte, den Wagen zu schließen. „Schade,“ sagte er, „diese winterliche Landstraße, die weißen Dächer der Villen in ihren verschneiten Gärten bieten ein so hübsches Bild. Du glaubst nicht, Leo, wie ich mich freute, als ich heute vom Coupéfenster aus die ersten Flocken sah. Das Heimathsgefühl packte mich mit einem Male so mächtig, daß ich –“

„Ich bitte Dich, Wolf, Du kannst noch Schnee in Massen erleben, und ich habe keinerlei Lust, mir einen Schnupfen zu holen.“

Doktor Maiberg sah, durch diesen gereizten Ton aufmerksam gemacht, forschend in das Gesicht des Jugendfreundes, und er bemerkte scharfe Züge, blasse Farbe und matte Augen. „Du fühlst Dich doch wohl, Leo?“ fragte er besorgt.

„Plage Du mich nicht auch mit solchen Fragen, Wolf! Ich kann doch unmöglich noch so aussehen wie vor acht Jahren!“

Nach hartem Kampf.
Nach dem Gemälde von J. Deiker.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_069.jpg&oldid=- (Version vom 24.5.2021)