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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Christian erschrak, denn er wußte nun genau, weshalb Stefanelly gekommen war, und fühlte, daß er selbst in diesem Augenblicke nur schwachen Widerstand zu leisten vermöchte.

„Treten Sie ein, Herr Stefanelly!“ forderte er ihn auf mit zitternder Stimme.

Ein bittender Blick traf ihn aus den in höchster Erregung flimmernden Augen Theodors – er verstand ihn wohl.

Das Gemach, in welches Stefanelly und Brennberg eintraten, war bürgerlich einfach, verblichenes Rokoko; zerbrochene Porzellanfigürchen standen auf Etageren, aus einem verschnörkelten Glasschranke blickten alle Kostbarkeiten der seligen Herrin: bunte Tassen, niedliche Figürchen, Silberzeug, Schmucksachen. Ein altes Spinett, dessen weißer Lack überall gesprungen war, stand in einer Ecke. An den Wänden mit den zerbröckelten Goldleisten hingen die Bilder der Brennberge mit Zopf und Allongeperücke. Auch der unglückselige Großvater war darunter, seine langen schmalen Finger, durch welche all das schöne Brennbergsche Geld gelaufen war, ruhten feierlich gespreizt auf der weißen Brustkrause, als wollte er seine Unschuld betheuern. Er sah Christian auffallend ähnlich: dieselbe lange gebogene Nase, der stolz nach unten gezogene, von zarten Falten umgebene Mund.

Der Bauunternehmer setzte seinen goldenen Klemmer auf und ließ seine scharfen Blicke überall umherschweifen.

„Ihre Ahnen wohl, Herr Baron? Charmant!“

Dann ließ er das Glas plötzlich fallen.

„Ich komme, gerade herausgesagt, Herr Baron, um Ihnen ein Angebot für Schönau zu machen, welches Sie nicht ausschlagen dürfen. Ich könnte Ihnen, ich gestehe es, aus eigenen Mitteln das Angebot gar nicht stellen, wenn nicht Kapitalisten hinter mir ständen, die meine Pläne unterstützen. Wir bieten Ihnen –“ er machte eine kleine Pause – „fünfmalhunderttausend Mark, das heißt eine halbe Million!“

Christian machte sich absichtlich auf die Nennung einer hohen Summe gefaßt, um nicht überrascht zu werden, aber diese übertraf doch weit alle seine Erwartungen. Er preßte die Faust unter dem braunen Rock auf das Herz – umsonst! Eine halbe Million! Da zuckte er jäh zusammen, es flimmerte vor seinen Augen, durch die langen Finger des Großvaters an der Wand rieselte ein Goldstrom auf ihn herab – und der kalte stechende Blick des Unternehmers ruhte regungslos auf ihm; es war ein fürchterlicher Augenblick. –

„Nein, ich verkaufe nicht, um keinen Preis“ sagte er endlich mit fast übermenschlicher Anstrengung sich beherrschend. Ein furchtbarer Kampf wüthete in der Brust des Gutsherrn, der Schweiß stand auf seiner Stirn.

„Auch nicht, wenn ich Ihnen sage, daß Ihr Herr Sohn, der letzte Brennberg, dann ruinirt ist und wegen Spielschulden den Dienst quittiren muß?“ sagte jetzt scharf, mit blitzenden Augen Stefanelly.

„Wegen Spielschulden, sagen Sie?“

Die Stimme Christians klang wie von Thränen erstickt, seine Hände krampften sich um die Lehne des Stuhles.

„Hohe Spielschulden, dreißigtausend Mark!“ klang die kurze Antwort.

„Dreißigtausend Mark! Ja dann – dann – muß ich wohl –“

Christian nestelte an seiner Kravatte, wie um Athem zu bekommen.

„Dann bin ich ja gezwungen, nicht wahr? Ich kann doch nicht meinen Sohn – ja, Sie haben ganz recht, Herr Stefanelly, und es ist ja ein hoher Preis, eine halbe Million!“

Sein Antlitz glühte, sein Auge brannte fieberhaft, er sprach die Worte heftig, dann rief er, wie von plötzlicher toller Freude gepackt: „Ich – ich schlage ein, ich verkaufe um eine halbe Million, Schönau gehört Ihnen.“ Dann sank er wie leblos in den Sessel zurück.

Stefanelly entsetzte sich, der Schlag hatte den Alten wohl getroffen, die Aufregung hatte ihn getödtet; er rief laut um Hilfe.

Theodor trat hastig ein. Er erkannte sofort die Lage. „Rasch, fahren Sie in die Stadt um einen Arzt, das Entsetzen über meinen unverantwortlichen Leichtsinn hat ihn am Ende getödtet! Wie konnten Sie aber auch so rücksichtslos alles sagen?“

„Sie irren vollständig,“ entgegnete sarkastisch Stefanelly, „nicht die Entdeckung Ihres Leichtsinns, sondern das Angebot von einer halben Million hat ihn getödtet, wenn es wirklich so schlimm ist. Ich hole einen Arzt.“ Und er entfernte sich.

Vor dem bleichen Vater, dessen Lippen leise zitterten, knieete Theodor. Bittere Selbstvorwürfe regten sich in seiner Brust über seinen Leichtsinn, der an allem schuld war! Er kannte ja seinen Vater, was kümmerte der sich um Geld! Und wenn es eine ganze Million wäre, er würde Schönau nicht lassen, außer in der äußersten Noth, um seinen ehrlichen Namen zu retten. Innige Verehrung für den Vater, verbunden mit aufrichtiger Verachtung seiner selbst und seines unordentlichen Lebens, stieg in ihm auf, die besten Vorsätze wurden gefaßt. Da schlug Christian die Augen auf, blickte wirr, ängstlich im Zimmer umher, dann starr auf seinen Sohn.

„Theodor! Du? Ich hörte doch eben eine andere Stimme?“

„Stefanelly war bei Dir und erschreckte Dich so. Es ist ja nicht wahr, was er Dir sagte!“ beruhigte Theodor.

Der Alte trommelte mit den Fingern auf der gefurchten Stirn.

„Was sagte er mir nur gleich? Ja, ja, eine halbe Million, sagte er, und das ist nicht wahr, Theodor, die halbe Million ist nicht wahr?“

Sein Gesicht drückte ängstliche Erwartung aus.

„Die halbe Million ist schon wahr,“ entgegnete der Sohn, „aber das, was Dich so entsetzte, die Geschichte mit den dreißigtausend Mark Spielschulden – Gott! wahr ist es auch, aber es drängt nicht so, wie er Dir vorstellte, vorderhand nicht, beruhige Dich darüber! Ich sehe ja meinen Leichtsinn ein und es soll nicht mehr geschehen, ich weiß selbst nicht, wie ich zu der unglückseligen Leidenschaft komme –“

Christians Gesicht hellte sich auf, er lachte.

„Also die halbe Million ist wirklich wahr? Nun, dann beruhige Dich, Theodor, dann kann ich ja einstehen für Dich. Du bist ja dann reich und wirst nicht mehr spielen, nicht wahr? Man spielt doch nur so hoch, um zu gewinnen, und wenn man reich ist, nützt es nichts mehr, man hat ja dann, was man am Spieltisch suchte! Ist es nicht so, Theodor, nicht so? Sprich! Oder ist es eine Leidenschaft, die auch den Reichen nicht verläßt, eine Krankheit? Ich habe nie gespielt, ich weiß es ja nicht. Freilich Dein Urgroßvater da oben - der war auch reich – also das wäre keine Rettung davor, auch die halbe Million nicht! Es muß doch eine eigenthümliche Leidenschaft aein, das Spiel!“

„Der ich für immer entsagen will, Papa,“ schwur Theodor, den die wirren sonderbaren Reden Christians beängstigten. „Man ist jung, lebenslustig, ständig in Geldverlegenheit, da hat es etwas arg Verführerisches, zu denken: in einer Stunde kannst Du die ganze Last vom Herzen haben! Aber das wird ja jetzt alles anders, wenn Du in den Verkauf willigst – und Du willigst doch ein? Schönau ist ja doch nicht mehr zu halten.“

„Gewiß, Theodor, ich bin fest entschlossen, Du sollst die Last vom Herzen haben und nicht mehr spielen – nur nicht mehr spielen, Theodor, das schwöre mir! Wenn er nur wiederkommt, der Stefanelly! Daß ich auch ohnmächtig werden mußte! Das ist mir noch nie begegnet – ein böses Zeichen! Du wirst bald allein sein, Theodor, der letzte Brennberg. Dann bist Du reich, kannst eine glänzende Karriere machen, unserem Namen wieder zum alten Glanze verhelfen, dafür opfere ich ja mein geliebtes Schönau. Eine vornehme Heirath wird Dir – da fällt mir ein – Du sollst ja ein Verhältniß zu dieser Bertha Margold haben, der Alte war eben bei mir. Ein leichtsinniger Streich, weiter nichts, ich weiß es ja; aber das ist nicht recht von Dir, ich habe ihn gerne, den treuen Margold – versprich mir, die Sache nicht weiter zu treiben – mit einer halben Million, ein junger Brennberg!“

Theodor wurde feuerroth; er schämte sich dieses Verhältnisses, das ihm plötzlich furchtbar lächerlich vorkam.

„Ich denke ja nicht daran, Papa, es ist reine Einbildung von dem Alten; weiß Gott, was ihm das Mädel vorgeschwatzt hat! Ein paar scherzhafte Worte, die ich neulich zu ihr sprach, weiter nichts! Ich weiß, was ich Dir und meinem Namen jetzt schuldig bin, Du wirst mit mir von nun an zufrieden sein!“

Gleich darauf betrat Stefanelly mit dem Arzte das Zimmer. Seine glatte Stirn zog sich in Falten, als er den Gutsherrn ohne alle Hilfe aufstehen und auf sich zukommen sah; er hatte sich eine andere Erwartung gemacht.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 80. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_080.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)