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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Diese Erklärung gab der Nachbar dem Doktor Maiberg auf dessen Frage. „Ich glaube nur,“ setzte der Berichterstatter lächelnd hinzu, „daß das Verlassen des alten Nestes um diese Jahreszeit weniger der weißen Frau gilt, als dem lockenden Dresden.“

„Ich möchte den Spuk um die Welt gern mit erleben,“ sagte Frau von Erlach.

„Das können Sie ja haben, Cousine,“ erklärte Barrenberg, „ich lade Sie hiermit ein.“

„Und wen noch?“

„Ja, wie wäre es denn, wenn wir alle, die wir hier sind, Weihnachtsabend in dem alten Bankettsaal feierten?“ fragte Barrenberg.

„Hoffentlich hat es geschneit, dann kann es romantisch werden,“ meinte ein bekannter Landschaftsmaler, „das gelbliche Licht der Kerzen strahlt auf den stillen Burghof hinaus, und wir stehen am Fenster und sehen aus der spitzbogigen Pforte des kleinen Burggärtleins die Gestalt der weißen Frau über den Schnee daherkommen – Sie wissen doch, sie kommt immer aus diesem Garten – und die Spuren ihrer Füßchen bleiben deutlich sichtbar im Schnee – –“

„Und –“ unterbrach die Baronin, „wir löschen die Lichter aus, sehen die Gestalt in den Saal treten und mit gesenkten Augen an uns vorüber schreiten – ich habe jetzt schon Herzklopfen. Also, es gilt, meine Herrschaften!“

„Was wird denn aber aus Deinen beiden Kadetten, Cousine?“ rief Barrenberg belustigt, „Du kannst doch unmöglich ihr kindliches Gemüth mit derartigen Gespenstererlebnissen belasten wollen, und außerdem –“

„Stören sie, Vetter, ich weiß es. Sie bleiben natürlich daheim.“

Allein am Weihnachtsabend?“ fragte jetzt Lieutenant Osten. „Wissen Sie, gnädige Frau, wenn meine Mutter mir das hätte zumuthen wollen – ich –“

„Nun?“ erkundigte sich die schöne Frau und trank einen Schluck Champagner.

„Nun – ich hätte mich mindestens recht gewundert,“ vollendete Osten gelassen.

„Das steht meinen Jungens auch frei,“ erwiderte sie. „Sie bekommen am andern Tage beschert. Ich setze ihnen, zum Trost für meine Abwesenheit, eine große Schüssel mit Weihnachtsleckereien hin, und dann –“

„Verderben sie sich gründlich den Magen,“ schaltete Maiberg trocken ein.

„Ach Gott, Herr Doktor,“ seufzte die Baronin, „es wäre das Schlimmste noch nicht; sie sind dann wenigstens während der Ferien etwas geduckt und nicht so gräßlich laut und lärmend.“ Sie sagte das mit einer so kläglichen Miene, daß die Wirkung eine unwiderstehlich komische war und Baron Barrenberg das Glas erhob.

„Ich weihe dieses Glas der wohlwollendsten Mutter! Also, auf einen kleinen fröhlichen Magenkatarrh Deiner Söhne, Irene, zur Schonung Deiner Nerven!“

Die Baronin stieß an. „Ein fröhliches Wiedersehen, meine Herren, am Weihnachtsabend auf Barrenberg!“ rief sie. „Ich werde die weiße Frau bitten, mit uns zu plaudern; ich wette, sie erzählt uns die schönsten Geschichten.“

Der Rittmeister war aufgestanden und hatte sich ritterlich der jungen Hausfrau mit seinem Glase genähert. „Darf ich hoffen, gnädige Frau, daß auch Sie meine Einladung nicht verschmähen?“

„Sie entschuldigen mich gewiß, Herr von Barrenberg, ich bleibe am Heiligen Abend bei meiner Mutter und meiner Kleinen,“ erwiderte sie sehr bestimmt und sehr kühl.

Er verbeugte sich zurücktretend und suchte seinen Platz auf. Leos Augen sahen unruhig von seiner Frau zu dem Rittmeister hinüber.

„Ein Korb, Jussnitz, ein regelrechter Korb von Ihrer Frau Gemahlin.“

„A bah!“ erwiderte der Hausherr scheinbar leichthin, „wenn ich ihr zurede, kommt sie schon mit – nicht wahr, Antje?“

Aber diese schien es nicht gehört zu haben; sie saß bereits wieder ganz theilnahmlos da und sah auf ihr Glas, in dem der Champagner schon lange keine Perlen mehr trieb.

Achselzuckend wandte sich Jussnitz seiner Nachbarin zu; die Baronin war schon wieder mitten in einer lustigen Geschichte.

„Aber ich versichere Sie, diese Brillanten –“ sie deutete auf die blitzenden Steine des Armbands, das wahrscheinlich Jussnitz bewundert hatte, „haben schon einmal elf Jahre lang in einem Grabe gelegen. Wünschen Sie das Nähere zu erfahren, meine Herren? Es ist ein Gegenstück zu Chamissos Lied von der Weibertreue.“

„Das muß interessant werden – also bitte, erzählen Sie!“ rief man von allen Seiten.

„Sie haben gewiß alle von meinem verstorbenen Onkel Wittelstein einmal gehört?“

„Natürlich, von dem mit den sieben Frauen!“

„Bitte sehr – nur vier! Uebertreiben Sie nicht, Osten!“ tadelte sie. „Also, besagter Onkel wurde in seinen jungen Jahren schon zweimal Witwer; dann, nachdem er drei Jahre seine Letzte betrauert hatte, verlobte er sich abermals. Seine jeweilige Braut oder Gattin war in seinen Augen stets die schönste, die er besessen hatte. Diese Dritte fand er einfach überirdisch, und als sie ihm nach einem Jahre wieder entrissen wurde, war er vor Schmerz so außer sich, daß er ihr ein kostbares Brillanthalsband, welches sie sehr geliebt hatte, mit in die Gruft gab.“

„Diesmal,“ fuhr die Baronin fort, „blieb er elf Jahre lang Witwer, dann aber lernte er eines Tages ein junges Mädchen kennen, gegen das alles, was er bisher gesehen hatte, verblich. Er verlobte sich mit ihm, und natürlich hegte er den Wunsch, die abgöttisch geliebte Braut zu schmücken und zu beschenken. Der eingesargte Brillantschmuck ging ihm dabei sehr im Kopfe herum; weshalb sollte er auch neue Steine kaufen? Die Todte würde ihm nicht zürnen. Heimlich schickte er seinen alten Leibjäger und den Gärtner in das Erdgewölbe. das an einer düstern Stelle des Parkes erbaut war, mit dem Befehl, den Sarg der letztverstorbenen Baronin zu öffnen und den Schmuck zu bringen. – Am andern Morgen stand der alte Jäger vor dem Bette seines Herrn mit niedergeschlagener Miene. ‚Herr Baron,‘ stotterte er, ‚in dem Sarge ist nur noch ein Häuflein Staub.‘

‚Aber die Steine, die Steine!‘ forderte mein Onkel ungeduldig.

‚Die gnädige Frau Baronin sind ganz in Asche zerfallen,‘ entschuldigte sich der alte Mann, ‚ich – –‘

‚Nun, zum Henker, so siebt die Baronin durch!‘ schrie der zärtliche Witwer, ‚und zwar auf der Stelle !‘“ –

Die Erzählerin nahm bedächtig eine kandirte Orange, wählte ein paar Konfitüren und vollendete dann: „Und so wurde meine gute Tante gesiebt!“ Sie sagte das letztere unter dem ihr eigenthümlichen ansteckenden Lachen, und die heitere Gesellschaft – man war schon beim Nachtisch – stimmte lebhaft mit ein.

„Und dies sind die Steine!“ Sie hielt den schönen Arm empor und ließ die Spange blitzen. „Jussnitz,“ bemerkte sie dann, zu ihrem Nachbarn gewendet, „dieses Armband müssen Sie nothwendig auf meinem Bildniß verewigen – wenn Sie vielleicht wieder einmal Zeit finden sollten, einige Striche daran zu thun. Ich bescheide mich natürlich und trete vor so wichtigen und zugleich reizenden Arbeiten, wie Sie augenblicklich vorhaben, gern zurück. Sie wissen, ich bin immer rücksichtsvoll gegen meine Freunde.“

„Was malen Sie jetzt, Jussnitz!“ riefen zugleich mehrere Herren.

„Ein Porträt,“ erwiderte er. Die Wendung des Gespräches war ihm offenbar unangenehm.

„Eine Studie, aber was für eine!“ erklärte Frau von Erlach. „Ich sage Ihnen, weine Herren, diese junge Spanierin ist geradezu bezaubernd; wenn ich nur erfahren könnte, wo das Urbild zu finden ist, ich lüde sie mir ein, nur um auch einmal mich nach Herzenslust an ihrer Schönheit satt sehen zu können. Beiläufig, Frau Jussnitz, sind Sie nicht eifersüchtig – gar nicht?“

Antje erhob sich in diesem Augenblick, ein Zeichen, daß die Tafel beendet sei. Die Herren schnellten von den Stühlen empor und ließen die halbgeleerten Gläser und Flaschen im Stich; die Baronin warf einen spöttisch erstaunten Blick auf die junge Frau, aber das Gesicht Antjes war blaß und ruhig, während sie die Verbeugungen der Herren mit einem leichten Kopfneigen erwiderte und die Herrschaften bat, in den gelben Salon zu treten, um dort den Kaffee zu nehmen.

Bald plauderte man wieder ebenso heiter wie vorher. Die Baronin rauchte eine Cigarette im Kreise ihrer Bewunderer; Antje

wurde von dem alten Maler über eine Kopie nach Watteau unterhalten; das Original befinde sich in Pillnitz, erklärte er ihr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_086.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)