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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Ruhm seines Namens und gefesselt durch die Mannigfaltigkeit der Kenntnisse und Erfahrungen, die er in die Unterhaltung brachte.

Sicherlich besaß er ein Talent für Sprachen, aber er selbst wollte nicht viel davon wissen. Ihm lag mehr daran, zu zeigen, wie er die vielen Sprachen gelernt habe, um aus seinem Beispiele abzuleiten, wie man überhaupt Sprachen lernen müsse. In der Selbstbiographie, die er seinem Werke „Ilios“ vorgesetzt hat, spricht er sich darüber ausführlich aus, und es dürfte gerade jetzt, wo die Frage der Reform des höheren Schulunterrichts in den Vordergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit getreten ist, doppelt gerechtfertigt sein, auf seine Darstellung hinzuweisen. Ihm war es viel mehr darum zu thun, die Güte seiner Methode zu rühmen, als mit seinen Anlagen zu prunken. Es war dieselbe Stimmung, die ihn zu der These führte, daß sein Gedächtniß eigentlich schlecht gewesen sei, daß er es aber durch systematische Uebung zu der Sicherheit und dem Umfange entwickelt habe, wodurch er später alle Welt in Erstaunen setzte. Man darf wohl sagen, daß er seine Anlagen unterschätzte, aber man kann ihm zugestehen, daß er als Autodidakt durch Methode und eisernen Fleiß die verschiedensten Sprachen bemeisterte und sich einen Reichthum von stets bereiten Worten sammelte, der ihn befähigte, in allen Lagen des Lebens schnell und bequem sich zu verständigen.

Es ist bekannt, mit welcher Leichtigkeit Kinder schon in den ersten Jahren des Lebens zwei und mehrere Sprachen verstehen und gebrauchen lernen, ohne eigentliche Lehre, nur durch Uebung. Schliemann war als Kind nicht in der Lage, mehr zu lernen als ein wenig Lateinisch, und er behauptet, daß er dieses sehr bald vergessen habe, als die Entsetzung seines Vaters von dem Pastorat die Familie in große Noth gestürzt und ihn selbst gezwungen hatte, Kaufmannslehrling zu werden und auf jeden weiteren Fortschritt im Wissen zu verzichten. Darüber verging ein Jahr nach dem andern. Er war 19 Jahre alt, als er nach Holland kam und hier zuerst in den täglichen Gebrauch einer fremden Sprache eingeführt wurde. Das Holländische haftete darum so fest in seinem Gedächtniß, daß er noch bis in seine letzten Jahre immer nur in dieser Sprache zählte. Wenn auf Hissarlik die Stunde der Lohnzahlung kam und die griechischen und türkischen Arbeiter hereintraten, so zählte ihnen Schliemann auf Holländisch ihre Beträge vor.

Damals in Amsterdam begann Schliemann inmitten der niedersten Beschäftigungen, zuerst als Laufbursche, dann als Buchhalter, seine sprachenbemeisternde Laufbahn. Er lernte sehr bald Englisch, und dann in kaum 5 Jahren Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch und Russisch Wie er es machte, ist in dem genannten Werke „Ilios“ zu interessant von ihm beschrieben, als daß ich es mir versagen könnte, hier ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen. Als besonders zeitgemäß will ich erwähnen, daß er stets damit begann, ein gutes Buch auswendig zu lernen, und daß er dann sofort versuchte, kleinere Aufsätze in der fremden Sprache zu schreiben und aufzusagen. Von Grammatik wollte er, abgesehen von der Deklination und Konjugation, nicht viel wissen; er zog die Praxis vor und machte es unbewußt ebenso wie die kleinen Kinder. Dabei ist es für das Verständniß seines Vorgehens nicht unwichtig, zu wissen, in wie praktischer Weise er sich über die Erlernung der Vokabeln hinweghalf. So benutzte er den „Telemach“ von Fénelon, der ihm als Lesebuch für das Erlernen des Französischen gedient hatte, in einer russischen Uebersetzung für das Selbsterlernen der russischen Sprache. Seiner Erzählung nach ist es ihm sogar gelungen, durch zweimaliges, genauestes Durchlesen der neugriechischen Uebersetzung von „Paul und Virginie“, dessen französischen Text er Wort für Wort wußte, ohne Lexikon den Sinn der griechischen Worte herauszubringen und dabei Neugriechisch zu lernen. Das brachte er als 34 jähriger Mann zuwege.

Der Eifer, den er bei diesen doch immer nur vorbereitenden Arbeiten entwickelte, würde unverständlich sein, wenn man nicht in Betracht zöge, daß er stets genau vorbedachte, zu welchem Zwecke er die neue Sprache erlernen wollte. In Amsterdam, inmitten des großen Weltverkehrs, dessen Fäden auch in seinem Handlungshause für jeden der Angestellten bemerkbar waren, wurde er sich bewußt, daß die Beherrschung einer fremden Sprache ein starkes Hilfsmittel in dem Kampfe ums Dasein ist. Nicht ohne geheime Freude nahm er, wie er mir öfters erzählt hat, wahr, daß das große Haus B. H. Schröder, in dem er eine untergeordnete Stellung einnahm, umfangreiche Geschäfte, namentlich in Indigo, nach Rußland machte, daß aber kein einziger der Leiter oder Angestellten in Holland auch nur einen russischen Brief lesen konnte. Er schloß daraus, daß sein Prinzipal einen Beamten, der Russisch verstehe, zur Kontrolle der Agenten in Rußland und zur Einleitung direkter Geschäfte mit großem Vortheil werde verwenden können, und sofort machte er sich aus Werk. Seine Spekulation bewährte sich vollständig: als er seine Kenntniß des Russischen nachwies, erhielt er sofort eine bessere Anstellung und sehr bald eine Agentur in St. Petersburg. Aus dieser wußte er dann allmählich ein selbständiges Geschäft zu machen, was ihm um so leichter wurde, als das Vertrauen des Amsterdamer Hauses in seine Redlichkeit und Geschicklichkeit ihm erhalten blieb. Enge persönliche Beziehungen zu dem neuen Chef des Hauses, Baron Henry Schröder in London, haben, wie ich von diesem selbst weiß, bis zu dem Tode Schliemanns fortbestanden. So wurde die sprachliche Schulung die eigentliche Grundlage für die ganze äußere Lebensstellung des Mannes: sie brachte ihm Millionen und damit die Mittel für seine späteren Arbeiten auf ganz neuen Gebieten, Arbeiten von einem Umfange, wie sie kein Privatmann in neuerer Zeit ausgeführt hat, und ohne daß er jemals die materielle Unterstützung einer Regierung gesucht oder erhalten hat.

Vieles voll seinen Erzählungen über das Erlernen der Sprachen klingt uns geschulten Leuten, die wir nach einem neunjährigen gelehrten Kursus auf einem Gymnasium keine einzige fremde Sprache wirklich beherrschen, unglaublich, und doch wüßte ich keinen Grund, an der Wahrheit seiner Angaben zu zweifeln. Möge es mir gestattet sein, eilt Beispiel dafür anzuführen.

Als wir im Frühjahr 1888 gemeinschaftlich eine Nilreise machten, setzte er nicht nur mich, sondern noch weit mehr die Eingeborenen in Erstaunen durch seine Kenntniß des Arabischen. Es wird eine der anziehendsten Erinnerungen für mich bleibend mir die Abende zurückzurufen, die wir damals in Nubien verbrachten. Wir waren am 3. März in einem nubischen Dorfe des linken Nilufers angelangt, um die in der Nähe befindlichen gigantischen Felsentempel des großen Ramses genauer zu studieren. Es war gerade damals der Aufstand der Derwische ausgebrochen, der das ganze rechte Ufer des oberen Nils unsicher machte; unser Schiff war zwei Tage vorher von den Aufständischen beschossen worden, und nur das Zusammentreffen mehrerer glücklicher Umstände hatte uns wohlbehalten aus dem Bereiche der Angreifer entschlüpfen lassen. Die Schiffahrt auf dem Flusse hatte fast ganz aufgehört und wir waren eine Woche lang völlig abgeschnitten, da es eigentliche Landwege in jener Gegend nicht giebt. Die muselmännischen Bewohner von Ballanye - so heißt das Dorf - hatten uns freundlich aufgenommen und jeder Tag brachte uns in engere Beziehungen zu ihnen. Es war bald bekannt, daß ich ein Arzt sei, und meine Praxis mehrte sich schnell. Von Schliemann aber erkannten sie sehr bald, daß er ein gelehrter Kenner des Arabischen sei. In ganz Ballanye gab es nur eine Person, die Arabisch lesen konnte, den Imam. Schliemann aber las nicht bloß, er schrieb auch. Ihm zuzusehen, wie die arabischen Schriftzüge aus seiner Hand entstanden, war ein Schauspiel von dem höchsten Interesse für die Leute, und als gegen Ende der Woche, die wir in Ballanye zubrachten, endlich eine Botschaft durch Bewaffnete von Wadi Halfa zu uns durchdrang und Schliemann einen arabischen Antwortbrief vor aller Augen verfaßte, da betrachteten sie ihn wie einen Wundermann. Seine höchsten Triumphe feierte er jedoch abends, wenn die Nacht plötzlich niedersank und die Sterne über uns zu glänzen begannen, fern über dem Horizont das Kreuz des Südens erschien und außer dem leisen Rauschen des gewaltigen Stromes kein Geräusch mehr hörbar blieb. Dann kamen die Nachbarn herbei und Schliemann recitirte ihnen Abschnitte des Koran.

Das Haus des alten Schechs, der uns gastlich aufgenommen hatte, lag hart um Rande der Wüste, die dort in schnellem Vorrücken begriffen ist. Der Sand drängt mit jedem Jahre weiter gegen den Nil vor. Noch zieht sich ein schmaler Streifen fruchtbaren Ackerlandes, damals gerade mit reifendem Weizen bestanden, längs des Ufers hin, nach dem Lande zu begrenzt van einer mehrfachen Reihe van Dattelpalmen, deren üppiger Aufschlag die Güte des unterliegenden Bodens erkennen läßt. Aber schon berührt der Wüstensand den Fuß dieser Palmen. Dann folgt ein freier Platz

vor dem etwas zurückgelegenen, ziemlich weitläufigen Hause, dessen Vordertheil uns eingeräumt war. Dieser Platz ist eigentlich schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_106.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)