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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Platz unmittelbar am Ufer der Seine umgesehen; er liegt ein Stück der Ringmauer entlang bergab, am Quai de la Gare, wo zwei Riesensäulen von je 50m Höhe das Entstehen gewaltiger Dampfanlagen verkünden. Am 1. Mai d. J. wird diese zweite Station, mit 8000 bis 10 000 Pferdekräften ausgestattet, eröffnet werden, ein gewaltiger Erfolg nach etwa dreijähriger Wirksamkeit des „Systems Popp“ in Paris.

Von Belleville nach den „Egouts“! Das sind die Kanäle von Paris, die Kellerstraßen, die unter den Boulevards sich hinziehen, hoch, geräumig, sauber, daß es ein Vergnügen ist, darin zu wandeln. Diese unterirdischen Kanäle sind in erster Linie allerdings zur Aufnahme der Abwässer der Stadt bestimmt, aber vorsorglich hat man daran gedacht, in diesen Bauten auch Raum für andere Zwecke zu schaffen. Da liegen die mächtigen Rohre der Wasserleitung, an den Wänden befestigt, und neben allerlei Kabeln elektrischer Anlagen die etwa gleich - ungefähr 30 cm - starken Röhren der Gas- und der Druckluftleitungen.


Die Druckluft als Triebkraft der Nähmaschine


Von den Kompressoren der Rue St. Fargeau wird die Druckluft in diese Röhren getrieben und unter der nöthigen Spannung gehalten. Darin zieht sie unter den großen Boulevards durch, bis zum Eintrachtsplatze, um über die Uferstraßen der Seine am Louvre entlang zurückzukehren.

Ueberall sind Anschlüsse. In Bleirohrabzweigungen tritt die Druckluft in die Häuser ein. Ihr Hauptzweck, dem Kleinbetrieb zu dienen, nöthigt sie oft, hoch in die Häuser emporzusteigen; die Bleirohrleitungen folgen gefügig allen Sonderbarkeiten, welche Pariser Korridore und Treppenhäuser darbieten, und als guter Kamerad tritt die Druckluft ebenso ein in die glänzenden Salons des Heilkünstlers in der Rue des Pyramides, welcher Asthmatikern Bäder mit 1 1/2 Atmosphärendruck in prächtigen Kabinen darbietet, wie zu dem Tischler, der im dritten Stock in der Rue Portefoin, an der Ecke der Rue du Temple, aus dem Holze der wilden Kastanie Kruzifixe herstellt. Der Tischler ist nicht so zurückhaltend wie die Geschäftsführerin des Arztes; er ist ein Schweizer und heißt Burkhardt; er begrüßt uns als Landsleute, mit denen er wieder einmal deutsch sprechen kann, und so ist Gelegenheit vorhanden, reichliche Auskunft zu erhalten.

Herr Burkhardt ist einer der ältesten Abonnenten; er ist seit drei Jahren an die Druckluftleitung angeschlossen und hat seinen Entschluß nicht zu bereuen; denn, während er anfangs nur einen Motor von einer halben Pferdekraft besaß, hat er sich bald einen zweiten größeren von einer Pferdekraft angeschafft, dem er seit kurzem einen dritten mit zwei Pferdekräften zugesellt hat. Die erste Anlage nebst dem kleinsten Motor hat 700 bis 800 Franken gekostet, die zweite etwa 1200, der dritte Motor einschließlich der Einrichtung gegen 2000 Franken. Ausbesserungen sind während des gesammten dreijährigen Betriebes nicht nöthig geworden. An Druckluft verbraucht Burkhardt jetzt monatlich für 30 bis 40 Franken in allen drei Motoren, welche natürlich nicht fortgesetzt alle in Betrieb sind. Mit einem gewissen Stolz zeigt er eine besondere Art der Anwendung seiner Druckluftleitung eigene Erfindung! Er läßt über seine besonders feinen, auf Sammet befestigten Erzeugnisse einen starken Strom Druckluft streichen, welcher auch die feinsten Staubtheile entfernt! Wir haben es übrigens hier nicht mit einem Manne zu thun, der besonders kostbare Ware liefert, für den es gleichgültig sein kann, wie theuer sich für ihn die benutzte Kraft stellt; seine Werkstatt ist mehr als einfach und, wie erwähnt, drei steile Treppen hoch gelegen; er zahlt nebenbei bemerkt hierfür sowie für eilte recht bescheidene Wohnung immerhin 1050 Franken Miethe.

Doch treten wir noch bei einem anderen Tischler ein in der Rue St. Augustin; er verfertigt lediglich Kisten zum Versenden von Waren; ein Keller ist seine Werkstatt, unter der Treppe hat er seinen Motor von nur zwei Pferdekräften angebracht. Fünf Gesellen schaffen ziemlich stetig; eine Kreissäge, eine Hobelmaschine sind im Gange, die Schleifsteine werden ebenfalls vom Motor aus in Bewegung gesetzt. Unser Mann bezahlt durchschnittlich 30. Franken monatlich für die benutzte Druckluft und ist augenscheinlich stolz darauf, daß er den Werth derselben für sein Gewerbe erkannt und sich seit etwa achtzehn Monaten angeschlossen hat.

Ganz dasselbe Ergebniß lieferte die Besichtigung einer Fabrik von Elfenbeinwaren in der Rue St. Denis, in welcher früher eine Lokomobile von sechs Pferdekräften die grobe Arbeit zu verrichten hatte. Noch liegt der Kessel am Boden, aber seitdem die Maschine, übrigens ohne erhebliche Kosten, für den Drucklustbetrieb eingerichtet worden ist, blieb er unbenutzt. Das Elfenbein wird hier geschnitten gebohrt und gedreht; alle hierzu erforderlichen Maschinen sind fortwährend im Gange. Der bedeutende Betrieb erfordert monatlich etwa für 240 Franken Druckluft. Ebenso wie Holz und Elfenbein wird Eisen in anderen Werkstätten gedreht und gelocht; auch das Löthrohr, mit Gas und Druckluft versehen, scheint wesentliche Vortheile dem Klempner zu bieten. Neben den harten Stoffen zeigt der Betrieb eitler Wäschefabrik (Akar & Co. in der Rue Cléri), daß sich auch Leinwand 48 Schichten über einander gelegt - mittels einer Bandsäge, welche ein Druckluftmotor von nur einer halben Pferdekraft treibt, bequem und geschwind zu den ausschweifendsten Halskragen zerschneiden läßt. Der Motor steht im selben Raume wie die Schneidemaschine, ohne daß dadurch die Sauberkeit des Linnens beeinträchtigt würde; vier Nähmaschinen im Nebenraume vollenden später das Werk, jede hat am Fuß ihren kleinen Motor; sie verrichten dieselbe Arbeit wie fünf Kolleginnen mit Fußbetrieb.

In welcher Weise sich die Druckluft in Bewegung umsetzt, das macht die schematische Zeichnung aus Seite 111 deutlich. Die Druckluft tritt auf der durch die Pfeile bezeichneten Bahn durch den unteren Zutrittskanal in den Kolben (dort durch Schraffirung angedeutet), drückt den Schieber nach aufwärts, wodurch eine Kurbelstange in Bewegung gesetzt wird, während die über dem Schieber befindliche kraftlose Luft durch das Austrittsrohr entweicht. Sobald nun der Schieber am obersten Ende des Kolbens angekommen ist, wird durch eine in unserer Zeichnung nicht sichtbare, am Schwungrad angebrachte Vorrichtung die Stange, deren Ansatz wir rechts erblicken, nach abwärts gedrückt; der untere Zutrittskanal wird für die Druckluft geschlossen, der obere geöffnet. Sie strömt nun oben ein, drückt den Schieber nach unten, kurz, der ganze Vorgang wiederholt sich in umgekehrter Reihenfolge. Bei den eigenartigen „Druckluftwerkzeugen“, wie sie der Arbeiter auf der Abbildung Seite 109 handhabt, vollzieht sich derselbe Vorgang des Vor und Zurückstoßens innerhalb des kleinen Stahlcylinders, aus welchem das eigentliche Werkzeug, Feile, Meißel, Säge, Stichel oder dergl., herausragt und welcher die Druckluftzuleitung vermittels eines Gummischlauches erhält.

Neben den zahllosen Kleinbetrieben giebt es auch eine Menge

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_110.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)