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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

von Großbetrieben, welche die Druckluft mit großem Vortheil benutzen, so die Druckerei des „Petit Journal“, welches seinen an alle Giebel geklebten Anzeigen nach eine Million Exemplare täglich absetzt. In den Kellern der Rue du Exemplare treibt ein Motor von 50 Pferdekräften die zwölf Druckpressen des gedachten Blattes.

Noch größere Motoren, bis zu 400 Pferdekräften, sind an den Stationen tätig, welche die Dynamomaschinen zur elektrischen Beleuchtung einiger Stadttheile von Paris treiben; die interessanteste, äußerlich nicht bemerkbare Anlage aber ist in den Kellern der Getreidebörse (bourse de la Commerce) angebracht; sie ist bemerkenswert wegen der zweckmäßigen Anwendung eines Nebenerzeugnisses der Druckluft, der Kaltluft! Die Druckluft tritt beim „Auspuff“, nach Abgabe ihrer motorischen Kraft, in einen Seitenraum, welcher durch einen Mittelgang in zwei Reihen von Kältekammern zerlegt ist. Diese Kammern sind an Handeltreibende der nahen Centralmarkthalle vermietet, welche dort ihre Vorräthe an Fleisch, Geflügel und Wild aufbewahren.

Anschluß der Druckluftleitung an den Betrieb.

Man muß schon sein Halstuch umnehmen, wenn man hinabsteigt; ein Markthelfer mit einem Spieß voll Wachteln erscheint und öffnet seinen Raum, nicht ohne vorher denselben durch den Druck an einen Knopf elektrisch beleuchtet zu haben. Da hängen sie, die Hasen, Fasanen und Rebhühner, steif gefroren, denn der Thermometer zeigt 10 Grad Kälte!

Auch in kleineren Verhältnissen findet sich diese Doppelanwendung der Druckluft; so stellt sich der Wirt des Restaurants Cog d'or in der Rue Montmartre sein elektrisches Licht im Keller selbst her und benutzt in einem noch darunter liegenden Raum „Auspuffluft“ zur Eisbereitung.

„Einen Chartreuse, Garcon!“ hören wir einen Gast rufen.

Das Gewünschte erscheint, dazu eine Karaffe mit Wasser, in welcher sich ein Eiskrystall befindet, groß wie ein Kinderkopf. Wie mag der durch den Flaschenhals hineingekommen sein? Sehr einfach! Der Wirt hat die ganze Karaffe, zusammen mit einer ganzen Batterie anderer, in seinen Gefrierkeller gebracht; zehn Minuten genügen, um im Inneren den Eiskloß zu bilden; denn dort unten zeigt der Thermometer – 35 Grad Celsius! Damit übrigens die Drucklust dort, wo sie Kälte nicht erzeugen soll, nicht lästig fällt, wird sie durch einen Vorwärmer, einen kleinen Heizapparat geleitet, welcher indeß bei Klein Motoren nicht erforderlich ist.

Auch Bacchus hat sich neuerdings an Aeolus gewandt. Am Quai St. Bernard nahe beim Jardin des Plantes liegen die gewaltigen Weinlager von Paris, die Halles aux vins. In den Kellern und darüber lagern unendliche Mengen großer und gewaltiger Fässer; selbst der berühmte Zwerg Perkeo und seine Heidelberger trinktapferen Nacheiferer würden angesichts dieser Vorräte klein beigeben. Hier rechts beim Hause Herteaux wird gerade umgefüllt. Schläuche führen an der Kellerdecke entlang; jetzt wird ein Faß von 130 Litern Inhalt herangerollt und mit einem größeren, von welchem aus die Füllung erfolgt, verbunden, indem die Metallspitze des von demselben herabhängenden Schlauches in sein Spundloch gesteckt wird. Ein Hahn an der Wand wird geöffnet, die Druckluft beginnt zu wirken und der Küfer muß sich mit seinem Schlegel beeilen; denn während er an den Dauben des Fasses heraufklopft, hat sich die Füllung schon vollzogen. Bis 200 Liter füllt er mit Hilfe der Druckluftzuleitung in einer Minute um. Die Druckluft wirkt hier, ebenso wie bei der Hebung von Wasser aus Brunnen, direkt, ohne daß es der Einschaltung einer Pumpe bedarf, indem jeder unter Druck eintretende Kubikcentimeter Luft ein entsprechendes Quantum der zu hebenden Flüssigkeit durch das Steigerohr treibt.

Doch nun hinaus vor die Thore der Riesenstadt! Vom Bastilleplatz führt die Eisenbahn in die östlich belegenen Vororte; da alle Viertelstunden ein Zug abgeht, so haben sich die Vororte Vincennes, Nogent u. s. w. stark bevölkert, wie der rege Verkehr auf dem Bahnhofe beweist.


Wasserversorgung durch Druckluft.

An die Eisenbahn schließt sich eine Straßenbahn, welche in Vincennes beginnt, durch Nogent hindurch mit einer Abzweigung ins Marnethal bis Ville Evrard hinausführt. Die Strecke von 11 Kilometern wird in einer knappen Stunde zurückgelegt. Nicht Dampf, nicht Elektrizität, sondern Druckluft ist die bewegende Kraft, welche die großen Wagen, deren oft drei aneinander gehängt sind, vorwärts bewegt. Mitunter sind solchen Zügen auch kleine Lokomotiven, welche die bewegende Kraft in einem großen Kessel mitführen, vorgespannt; sonst befindet sich die Druckluft unter dem Boden des Wagens in Cylindern aufgespeichert, während neben dem den Kutscherplatz einnehmenden Wagenführer ein Messingkessel sichtbar wird, welcher mit stark erhitztem Wasser gefüllt ist. Die Straße selbst enthält nichts als die gewöhnlichen Pferdebahnschienen. Die Druckluft soll eine Spannung von fünfunddreißig Atmosphären erhalten; dies hat zu Bedenken Veranlassung gegeben. Indeß hatten sich im Betriebe keine Anlässe zur Besorgniß gezeigt, da Störungen in den achtzehn Monaten vom Beginn der Fahrten bis zu unserem Besuche nicht vorgekommen waren. Der Preis für Pferd und Kilometer stellt sich in der Umgegend von Berlin beim Pferdebahnbetrieb auf 1 Mark, bei der Drucklust-Straßenbahn in Nogent jedoch dieselbe Leistung auf 85 Centimes, trotz der hohen Kohlenpreise in Frankreich, sodaß auch beim Straßenbahnwesen für die Druckluft in allen größeren Städten und deren Umgebung ein weites Feld offen steht.

In Mal-Tournée, etwa in der Mitte der Strecke, befindet sich die Centralanlage, in welcher die Luft komprimiert wird. Die Wagen fahren ein; an der Wand der Wagenhalle zeigen sich zwei Hähne, über welchen sich die Inschriften „air“ (Luft) und „eau“ (Wasser) befinden. Nach Herstellung der Verbindung des Wagens mit den Füllstellen wird dem ersteren die zur Zurücklegung einer Elfkilometertour erforderliche Energie binnen einer Viertelstunde mitgeteilt. Der Wagen verläßt wieder den Schuppen und tritt unmittelbar darauf in Thätigkeit.

Wie die Druckluft in die Stadt Paris durch Popp eingeführt ist, so ist sie nach Nogent durch Mekarski, auch einen Ausländer, gekommen.

Nicht unerwähnt darf bleiben, daß längs der ganzen Bahnstrecke

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_111.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)