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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Inzwischen war in einer dem Thatorte nahegelegenen Mühle ein dreifacher Raubmord verübt worden, ohne daß man den Thäter entdecken konnte. Unter den dieser That Verdächtigen wurde auch ein gewisser Johann Adam Dauth genannt, der Pathensohn eines Schuhmachermeisters Hauch; zu diesem Hauch äußerte nun eines Tages der Schuster Assold aus Neustadt, er könne den Dauth wegen einer andern Sache unters Richtbeil bringen. Derselbe habe ihn bewegen wollen, eins der Wärterhäuschen am Walde auszuplündern. Er sei aber nicht darauf eingegangen. Hauch zeigte die Sache an; das Gericht nahm eine Haussuchung bei Dauth vor und fand bei ihm die dem Nacke gehörige Uhr, welche dieser seit der Unthat vermißte. Dauth wurde verhaftet, leugnete anfangs, gestand aber dann zu, die Frau Nacke thatsächlich gemordet und bei dem Mann dasselbe beabsichtigt zu haben, und zwar, wie die Untersuchung weiter feststellte, aus schnöder Gewinnsucht. Er hatte nämlich erfahren, daß an jenem 3. Juni Nacke sein Monatsgehalt als Bahnwärter ausgezahlt erhalten hatte. Daß dieser letztere dem Tode entgangen, war nach Angabe der Aerzte auf den Umstand zurückzuführen, daß der Mörder dem in der niedern Thür stehenden Manne mit dem großen achtzehn Pfund schweren Hammer nicht recht hatte beikommen können. Rührend war es dabei, wie Nacke trotz seiner schweren Kopfwunde noch seinen Dienst bei dem herankommenden Eisenhahnzuge verrichtet, seiner verwundeten Frau Umschläge gemacht und sich dann bluterschöpft ins Bett gelegt hatte.

Dauth wurde wegen Raubmords zum Tode verurtheilt; ein Urtheil, das er kalt und ohne eine Miene zu verziehen entgegennahm. –

Viele Angeschuldigte sehen sich angesichts der auf sie eindringenden Verdachtsumstände auf die Führung des Beweises ihres „Alibi“ beschränkt, d. h. auf den Nachweis, daß sie sich zu der Zeit, als die That geschah, irgendwo anders als am Orte der That befanden, also dieselbe unmöglich begehen konnten. Dieser „Alibibeweis“, der in den Untersuchungen eine große Rolle spielt, ist immer schwer zu führen, da die Zeugen fast nirgends mehr irren und sich widersprechen als da, wo es sich um die Angabe der Zeit und deren Feststellung nach Stunden und Minuten handelt.

So wurde ein vor dem Schwurgerichte zu Naumburg anfangs der fünfziger Jahre verhandelter Fall in der Fachpresse viel besprochen.

Am 23. Mai 1852, einem Sonntage, begab sich der Förster Ollermann von seiner einsam im Forste gelegenen Behausung mit Tagesgrauen – also gegen vier Uhr morgens – ins Revier, um Wilddieben aufzulauern. Zwölf Stunden später wurde er in einem längs des Fußweges sich hinziehenden Graben, eine Viertelstunde vom Forsthause entfernt, erschossen aufgefunden. Neben der Leiche lag außer Mütze und Tabakspfeife ein Notizbuch. In diesem las man mit der noch zwischen den Blättern liegenden Bleifeder geschrieben die Worte: „Seyffert hat mich geschossen; Ollerm –“ und dann noch einmal auf der nächsten! Seite: „Seyffert hat mich gesch–“. Der damit als Thäter Bezeichnete konnte kein andrer sein als der wegen Wilddieberei bereits bestrafte herrschaftliche Schußjäger Bernhard Seyffert in Collenbey. Hatte doch Förster Ollermann demselben vier Wochen vorher in der Schenkstube zu Collenbey zugerufen: „Seyffert, kommen Sie mir nicht wieder zu nahe mit Ihren Consorten!“ Die Handschrift im Notizbuche rührte zweifellos von der Hand des Försters her. Seyffert wurde verhaftet, bestritt jedoch, die Täterschaft und berief sich darauf, daß er am Sonnabend von neun Uhr abends bis zum andern Morgen sieben Uhr zu Hause und bis sechs Uhr im Bette gewesen sei. Es wurde hierauf auch festgestellt, daß er um sieben Uhr früh mit seinem Hausherrn Kaffee getrunken hatte, während seine Hauswirthin bezeugte, daß sie ihn um sechs Uhr früh in seinem Bette aufrecht sitzend bemerkt habe. Sie hatte durchs Schlüsselloch geschaut, um nachzuforschen, ob Seyffert noch nicht aufgestanden sei, nachdem sie unmittelbar vorher auf die Uhr gesehen hatte, um zu erfahren, ob es Zeit sei, den Kaffee zu kochen. Im Laufe des Vormittags war Seyffert zu Hause anwesend; hatte er also den Mord vollbracht, so mußte er nach Vollendung desselben schon um sechs Uhr früh nach Hause zurückgekommen sein, sich ausßezogen und wieder ins Bett gelegt haben. Da nun der Mord nicht vor vier ein viertel Uhr morgens geschehen sein konnte, indem der Förster um 4 Uhr seine Wohnung verlassen hatte und der Thatort von der Försterei noch eine Viertelstunde entfernt war, so hatte Seyffert höchstens anderthalb Stunden Zeit gehabt, um seine Wohnung rechtzeitig, das heißt noch einige Zeit vor sechs Uhr, zu erreichen. Nun betrug aber die Entfernung zwischen dem Orte Collenbey und dem Thatorte zwei bis zweieinhalb Stunden. Gleichwohl wurde Seyffert vom Naumburger Schwurgerichte zum Tode verurtheilt, weil man offenbar das Hauptgewicht auf das in dem Notizbuche von der Hand des sterbenden Ollermann geschriebeite Zeugniß legte, einem alten Erfahrungssatze folgend, daß ein Sterbender angesichts des Todes keine Lüge sage.

Die Hinrichtung des Seyffert, der beharrlich die Thäterschaft in Abrede stellte, wurde bereits vorbereitet, als die Nachricht kam, daß der Nachfolger des Försters Ollermann auf demselben Revier, nur etwa 70 bis 100 Schritte weiter vom Forsthaus, ebenfalls von einem Wilddieb erschossen worden sei. Jetzt wurde die Vermuthung laut, daß beide Mordthaten wahrscheinlich von einer und derselben Person verübt worden seien. Bevor aber der neue Mörder, den sein eigner bei der That anwesender Sohn verrathen hatte, weiter über diese Frage vernommen werden konnte, endete er sein Leben durch Selbstmord. Es fehlte sonach an einem neuen Beweismittel, das nöthig war, um die Wiederaufnahme der Untersuchung zu begründen. Man sah nur unter diesen Umständen von einer Vollziehung der Todesstrafe ab und wandelte dieselbe in lebenslängliches Zuchthaus um. Da aber Seyffert ich Zuchthause die Betheuerung seiner Unschuld hartnäckig fortsetzte und Spuren einer Gemüthskrankheit zeigte, so wurde nach Verlauf einer fünfjährigen Strafzeit seine Entlassung aus dem Zuchthause bewilligt und dabei von dem befürwortenden Gerichte die Unklarheit seiner Schuld ausdrücklich anerkannt.

Aus diesem Falle geht auch recht eindringlich hervor, mit welcher erdrückenden Belastung ein Zeugniß wirkt, das als letztes Wort eines Gemordeten in die Gerichtsakten kommt. Dies ist die Form, in welcher eine falsche Anschuldigung in den meisten Fällen jeder Berichtigung spottet. Im Falle des ermordeten Försters Ollermann, wo das Zeugniß des Sterbenden schriftlich erfolgte, blieb die Möglichkeit ausgeschlossen, daß der wirkliche Mörder, seines Opfers Handschrift nachahmend, die Denunziation selbst in das Notizbuch geschrieben hätte. Aber konnte nicht der Sterbende im Zwielicht der Morgendämmerung das Opfer einer optischen Täuschung geworden sein? Wenn wir uns vergegenwärtigen, daß Ollermann den Seyffert, dem er das Wildern legen wollte, erst wenige Wochen vorher verwarnt hatte, daß er diesem gerade in jener Morgenfrühe aufzulauern im Begriff gewesen, so gewinnt diese Erklärung eine hohe Wahrscheinlichkeit.

Daß ein Mann von seiner eigenen Frau fälschlich als Mörder bezeichnet wird mit jener Unwiderruflichkeit der letzten Worte eines Sterbenden, dürfte sich wohl als der Gipfelpunkt einer erdrückenden Anklage der hier geschilderten Art erweisen. Dieser Fall hat sich in neuerer Zeit in Elberfeld ereignet. Er hat auch sonst Aehnlichkeit mit dem vorher erzählten. In der Zeitschrift „Nord und Süd“ hat er erst kürzlich von seiten des vielgenannten Rechtsanwaltes Dr. Fr. Friedmann in Berlin, welcher die Ermittelung unschuldig Verurtheilter sich zur besondern Aufgabe gemacht hat, eine nähere Beleuchtung erhalten. Wir meinen den Fall Ziethen-Wilhelm. Zwar paßt derselbe in sofern nicht unter die von uns gewählte Ueberschrift, als die Unschuld des verurtheilten Ziethen nicht durch Richterspruch erwiesen ist. Aber dieser Fall bestätigt in ganz besonderer Weise die Schwierigkeit der Feststellung der Schuldfrage, die Unsicherheit des menschlichen Urtheils, die Gewalt des Zeugnisses von sterbenden Lippen. Wir glauben deshalb, daß eine gedrängte Wiedergabe des Thatbestands unsern Lesern nicht unwillkommen sein dürfte, wobei wir stenographischen Aufzeichnungen aus der Hauptverhandlung und dann dem oben angeführten Artikel folgen.

Der Barbier Albert Ziethen besaß in der Bachstraße in Elberfeld ein Haus, worin er das Barbiergeschäft und zugleich eine Restauration betrieb. Am 25. Oktober 1883 war er nach Köln gefahren, wie er das in letzter Zeit an jedem Donnerstage in der Woche zu thun pflegte. Er kehrte dann gewöhnlich mit dem Abendzuge um elf Uhr drei Minuten wieder heim. An dem genannten Tage hörte der im Hause wohnende Handelsmann Frenzel, wie Ziethen etwa um 11 Uhr. 20 Minuten die Treppe herauf kam und das auf demselben Stockwerk wie Frenzel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_139.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)