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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Herr und die Frau Margold auch nicht nein sagen. Was meinen’s dazu, Fräulein Therese? Gar fein ist es freilich nicht da drunten, aber es wäre doch auch eine kleine Faschingsfreude, meinen Sie nicht, Fräulein Therese?“

„Von Herzen angenommen, wenn die Mutter nichts dagegen hat,“ erwiderte Therese unter allgemeiner Zustimmung.

Bertl fühlte eine Regung des Mitleides: Therese, die mehr Berechtigung hatte als sie, diesen Ball zu besuchen, mußte sich mit der Einladung zu einer Tanzbelustigung in der Werkstatt begnügen! Wie hart doch das Schicksal ist! Bertl warf Therese einen bedauernden Blick zu.

„Trösten Sie sich,“ sagte sie, „ich werde der Frau Räthin keine Ruhe lassen, das nächste Mal müssen Sie mit.“

„Ich danke Ihnen,“ erwiderte diese. „Ich habe gar kein Bedürfniß danach, im Gegentheil, so zufällige gesellige Unterhaltungen im Haus sind mir viel lieber als glänzende Feste, wo ich doch als Fremde betrachtet werde. Sie würden der Frau Räthin nur lästig fallen damit.“

Georgs Antlitz leuchtete vor Vergnügen bei diesen Worten und er warf dem Mädchen einen dankbaren Blick zu.

Die Frau Räthin schickte herüber, es sei Zeit zur Abfahrt. Begleitet von der Schar der bewundernden Hausgenossen schritt Bertl über den Hof zur Räthin.

Diese konnte ihre unangenehme Empfindung nicht verbergen beim Anblick der in Schönheit strahlenden Bertha. Wie mager und kümmerlich nahm sich doch, mit Bertl verglichen, trotz der reichen Toilette ihre Irma aus. Der Rath verschwand neben seiner stattlichen Frau, deren schweres crêmefarbiges Stoffkleid ihre noch immer tadellose Figur vortheilhaft hob; nur das breite rothe Ordensband mit einem Kreuz in weißem Email und Gold, das er an seinem Halse trug, lenkte das Auge auf die schwarze unscheinbare Gestalt. Er hatte sofort das Unpassende in dem Antrag der Frau Margold erkannt, nachdem derselbe aber einmal angenommen war unter den obwaltenden Verhältnissen weiter nichts zu machen. Als er jetzt Bertha in der Fülle blühender Jugend erblickte, da schweifte sein Auge bekümmert hinüber zu Irma mit dem blutleeren Antlitz, dem krankhaft nervösen Zug um den kleinen zierlichen Mund und, was ihm am wehesten that, dem nüchternen kalten Blick gegenüber dem lebensvoll strahlenden, freudeerregten Berthas. Dort eine strotzende lachende Frucht, vollgereift am gesunden Stamm durch freie Sonnenkraft, hier eine früh kränkelnde, in erschlaffender Treibhauswärme aufgezogene Blüthe – und welche Opfer hatte er gebracht!

Endlich hatte die Frau Räthin die letzte Hand an ihre Toilette gelegt. Man stieg in den Wagen. Vom Hofe her tönten Accorde einer Zither, welche gestimmt wurde – das war Bartl, der Zitherspieler, der sich für den Abend rüstete. „Arme Therese!“ dachte Bertl wieder.

Der Rath sah nur noch mit dem Kopf aus den Wolken heraus, in welche seine drei Göttinnen ihn hüllten, selbst das rothe Band war begraben.

Frau Räthin gab unterwegs Verhaltungsmaßregeln, zupfte an Irma herum und besprach mit ihrem Manne, unter welchem Titel Bertha eingeführt werden sollte; man beschloß, sie als die Tochter eines wohlhabenden Gutsbesitzers auszugeben, der sein Anwesen mit einem Hause in der Stadt vertauscht habe und jetzt hier lebe. Die Mutter sei leidend, der Vater menschenscheu, ein zurückgezogenes Leben gewohnt.

Bertha empfand eine tiefe Scham bei diesen Auseinandersetzungen; das Bewußtsein eines häßlichen Betruges, der hier gespielt wurde, des Verrathes an ihren Eltern, an sich selbst, kam ihr und ein augenblicklicher Ekel erfaßte sie, Ekel an dieser verlogenen Welt, der sie entgegenfuhr. Ihre ehrliche Abkunft wurde wie ein Schandfleck durch eine Lüge verhüllt, dieser schon ergraute. gutmüthige Ehrenmann mit dem schönen Orden um den Hals fuhr mit seinem festlich gekleideten Weib zu einem Ballfeste und nahm das tief unter ihm stehende Gärtnerkind mit, um einen Aufschub seiner dem Vater schuldigen Miethe zu erreichen.

Lüge! Nichts als Lüge! Und im Dunkel des Wagens tauchte vor Bertl das kleine Häuschen an der Landstraße auf, der wohlgepflegte Garten, ihre Blumen, die einfache Mahlzeit an dem runden Tisch im Kreise der Ihren, die so vortrefflich schmeckte nach arbeitsvollen Stunden.

Da hielt der Wagen an einer elektrisch beleuchteten Halle. Ein reich galonnirter Diener öffnete den Schlag, mit einem raschen Sprung war Bertl draußen, die Vision verschwunden, vor ihr hob sich die breite teppichbelegte Treppe in strahlendem Licht wie die Jakobsleiter, von der sie gelernt hatte in der Schule zu Haching, und hinauf wallten plaudernd, lachend Damen in hellen Ueberwürfen, langen geheimnißvoll rauschenden Schleppen, Herren mit besternten Fräcken, in strahlenden Uniformen; schwere Wohlgerüche strömten herab, alles Licht, Duft, Glanz! Ein Zittern durchschauerte ihren Leib: dort oben hinter der riesigen Flügelthür, welche sich lautlos öffnete und schloß, wartete ihrer der Geliebte, um sie zu empfangen in seiner Welt, der sie einst auch gehören sollte.

Die Spiegelwände zu beiden Seiten strahlten ihr Bild zurück. War das wirklich sie, die Bertl Margold? Nein, sie war es nicht mehr, wie der bunte Falter die ärmliche Raupe nicht mehr ist, aus der er auferstanden.

Die Flügelthür schloß sich auch hinter ihr; ein Gewoge von Farben, Stoffen, Tönen und Düften nahm sie auf. Aber ihr Blick forschte nur nach ihm, nach Theodor. Warum empfing er sie nicht am Eingang des Paradieses?

Die Räthin und Irma waren sogleich von Bekannten umschwärmt, sie trafen von allen Seiten prüfende, fragende Blicke; sie sah die Paare, die Damen untereinander flüstern; eine beschämende Angst befiel sie: gewiß hatte man sie erkannt, „die Bertl vom Stande Nummer sieben“, und gleich wird eine an sie herantreten und sie hinausweisen aus diesen Räumen, in welche sie sich eindrängte.

Doch im Gegentheil: die Herren, welche ihr die Räthin zugleich mit Irma vorstellte, indem sie die unterwegs getroffene Abmachung Wort für Wort einhielt, waren überaus freundlich und galant gegen sie, ja, es entging ihr nicht, daß Irma um ihretwillen jetzt schon vernachlässigt wurde. Die Frau Räthin war bald von älteren Herren so in Anspruch genommen, daß sie die Jugend sich selbst überlassen mußte, der Herr Rath stand festgebannt in gekrümmter Linie vor einem Herrn, der einen großen glitzernden Ordensstern vorn an der Brust trug und mit Excellenz angeredet wurde. So befand sich Bertha auf einmal allein in dem eigenthümlich rauschenden, nur von gedämpften Lauten durchtönten Gewühle, aber sie fühlte sich durchaus nicht verlassen, sie dachte nicht mehr an die Vergangenheit wie im dunkeln Wagen; nur kam ihr jetzt plötzlich der komische Gedanke, alle diese geschmückten, geputzten Menschen hätten am Ende ihre Miethe nicht bezahlt wie die Räthin. Auch an Theodor dachte sie für den Augenblick nicht. Jede Befangenheit schwand, sie war sich bewußt, daß sie mit keiner Bewegung sich etwas vergab.

Unter den Herren herrschte große Aufregung. Einige hatten Bertha als die neue Schönheit erkannt, mit welcher Herr von Brennberg in Beziehung stand, zugleich erinnerte man sich aber auch der Auskunft, die er über sie gegeben hatte: ein reiches Bürgermädchen von tadellosem Rufe. Das klang sonderbar zurückhaltend; man fragte die Frau Räthin, mit welcher die Dame gekommen war, und auch ihre Erklärung machte den Eindruck des absichtlichen Verbergens. Warum kam das Mädchen nicht mit seinen Eltern? Die Ungewißheit schlug zu ihren Gunsten aus; ihrem Aeußeren, ihrem ganzen Wesen nach konnte man unmöglich auf die wahren Gründe ihres etwas geheimnißvollen Erscheinens kommen.

Der Name Margold klang zwar vielen bekannt, manche kannten das Mädchen selbst vom flüchtigen Sehen, doch in einer Großstadt wie M ... hatte dies nichts zu sagen. Man suchte schließlich in ihr etwas ganz Besonderes, eine reiche Erbin, die unerkannt bleiben wollte. Weiß Gott in welcher Ecke fielen die Worte: „aus Westindien, Amerika“ – wohl von einem Spaßvogel ausgesprochen – und im Nu machten sie die Runde; „etwas Ausländisches“ war den meisten „gleich an der Dame aufgefallen“.

Bertha hatte gewonnenes Spiel. Jede allenfallsige Unschicklichkeit, jedes ungehörige Wort, jede auffallende Gebärde, Dinge, die ja trotz ihres gesellschaftlichen Talentes nicht zu vermeiden waren, galten jetzt als pikant, echt westindisch oder amerikanisch.

Die Frau Räthin war empört über die unerwartete Wendung der Dinge. und in ihrem Aerger darüber war sie nahe daran,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_162.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)