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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

alles zu verrathen; aber davor hütete sie sich doch, es stand für sie dabei zu viel auf dem Spiele.

Man wartete jetzt nur noch auf Herrn Lieutenant von Brennberg, welcher allein imstande war, nähere Auskunft zu geben. Daß er kam, war ja außer allem Zweifel, er wäre ja ein Thor gewesen, hätte er sich einen solchen Ausbund von Schönheit und Reichthum wegkapern lassen.

Und er kam, ahnungslos, seine Bertha als schüchterne Balldebütantin an der Seite der Frau Räthin vermuthend, absichtlich etwas später, um keinerlei Abmachung ahnen zu lassen. Wie erstaunte er aber, als er das entzückende Geschöpf erblickte, voll Anmuth, mit jener Sicherheit, die Schönheit und Geist verleiht, umschwirrt von Herren, die sich in Schmeicheleien erschöpften.

„Haben Sie die Westindierin schon gesehen – die Amerikanerin? Großartig! Ein Millionenweib!“ riefen ihm die einen zu; „jetzt müssen Sie heraus mit der Sprache, wir haben auch ein Recht darauf! Wer ist sie? Woher? O, Sie wissen alles, Sie täuschen uns nicht länger!“ drängten die andern.

Einerseits war es ihm peinlich, so wider seinen Willen in den Mittelpunkt der Gesellschaft gerissen zu sein; er hatte sich das Zusammensein mit Bertl heute abend ganz anders gedacht. Anderseits genoß er aber den Triumph Berthas mit, seinem Stolz war geschmeichelt und er war selbst hingerissen, bezaubert von der überraschenden Erscheinung.

Bertha war trotz aller Gewandtheit doch noch zu sehr Neuling auf diesem Boden, um, wie es sich gehört hätte, das mächtige Aufwallen ihres Herzens bei Theodors Anblick zu verbergen; sie las ihren Erfolg, ihren stürmischen Sieg in seinen Augen, und so traten sich beide mit verrätherischen Blicken, unter einer mächtigen Bewegung ihres Innern entgegen, welche die ganze Umgebung mitfühlte wie sich entladende Elektricität. Und das erregte Aufsehen, fast Anstoß.

Im Ballsaal ist jede Wahrheit, jedes echte Gefühl verboten. Und wenn es sich schon der feinen Sitte zum Trotz regt in einer Brust, so verlangt man doch wenigstens, daß keine Blutwelle es verräth. Man rümpfte die Nase. „Echt amerikanisch! Er wenigstens hätte sich mehr beherrschen sollen.“ Man fühlte sich überflüssig neben diesen beiden und zog sich zurück.

Bertha achtete nicht darauf, und sie lief Gefahr, im Sturm ihrer Leidenschaft sich ganz zu verrathen.

Der Tanz begann und nahm sie mit ihm auf seine Wogen – seliges Schweben, trunkenes Vergessen!

Ihr Auge leuchtete, ihr ganzer Leib athmete Lust; ja sie gab sich so sehr dem Vergnügen hin, daß es unangenehm auffiel, es fehlte ihr die gemessene Ruhe, die wohleingeschulte mädchenhafte Zurückhaltung ihrer Genossinnen, welche die im Innern angefachten Gluthen mit kühler Beherrschung bedeckt.

Jetzt zweifelte man erst recht nicht mehr an ihrem Ausländerthum, wie man schon den sonderbaren Empfang Herrn von Brennbergs auf diese Rechnung geschriebeu hatte; sie meinte es gewiß nicht so ernst, die Südländerinnen sind einmal so; man gewann wieder Hoffnung und war begierig, diese leidenschaftliche Tänzerin auch einmal im Arme zu haben, so eine Gelegenheit gab sich auf dem Beamtenballe lange nicht mehr.

Und Bertha war nicht spröde in ihrem Wonnegefühl, sie fand gar keine Zeit mehr, zu ihrer Beschützerin, der Frau Räthin, zurückzukehren, welche ihren Freunden und Verehrern gegenüber nicht verhehlte, wie sehr sie es bereue, in ihrer Gutmüthigkeit dieses Fräulein in die Gesellschaft eingeführt zu haben. Die Eltern seien brave anständige Leute, aber Parvenüs, die nicht hereinpaßten.

„Parvenüs!“ Da hatte man es ja: irgend ein steinreicher Pflanzer, ein Minenbesitzer, der einst als armer Teufel ausgewandert und jetzt goldbeladen zurückgekehrt war und seine alten Tage in Ruhe verleben wollte; es gelang der Räthin auch auf diesem Wege nicht, den Nimbus, der sich um Bertha gebildet hatte, zu zerstören. Die Tochter eines fraglichen Abenteurers, der an irgend einem Weltende durch irgend welche zweifelhafte Mittel sich Reichthum erworben hatte, erregte kein Bedenken, die „Gärtnerstochter aus Haching“ aber hätte einen Schrei des Entsetzens hervorgerufen, und diese drei Worte durfte die Frau Räthin um ihrer selbst willen nicht sprechen, so sehr sie ihr auf der Zunge brannten.

Als sich die Familie des Raths während der Tanzpause zum Essen begab, mußte nach Bertha erst lange gesucht werden; endlich kam sie, von Lieutenant Brennberg begleitet, welcher wohlweislich zuvor einige Touren mit Irma getanzt und so den Unmut über seine hinterlistige Verabredung mit Bertha, deren Werkzeug die Räthin gewesen war, beschwichtigt hatte; der Ansicht der letzteren nach beabsichtigte der junge Baron ja nichts anderes als eine oberflächliche „Liaison“ mit dem Bürgermädchen, nach Art aller Lebemänner, von ernstlicher Absicht konnte keine Rede sein. Ihr moralisches Gefühl war darüber nicht verletzt, und sie hätte ihm das alles gern verziehen, auch für die nächste Zeit ein Auge zugedrückt. wenn er zum Dank dafür ihre Irma zur Frau von Brennberg gemacht hätte.

Die Champagnerpfropfen knallten, die strenge Etikette lüftete etwas den grauen Mantel, und da und dort blitzte es darunter gar schelmisch auf.

Selbst der Herr Rath vergaß seine Sorgen und hörte auf, die Flaschen mit den rothen Köpfen, welche sich vor ihm schrecklich mehrten, zu zählen, selbst für ihn saßen frohe süße Hoffnungsgeister in den aus der Tiefe der Kelchgläser aufsteigenden Perlen und umschwirrten, aus ihrer Haft befreit, sein graues Haupt.

An seinem Tische herrschte das regste Leben. Er fühlte sich jetzt seit langer Zeit zum ersten Mal wieder frei auf der Brust, seine schöne Frau entzückte ihn wieder, er freute sich, sie so gefeiert, umschwärmt zu sehen, und für ein leises Zulächeln, einen Blick, ein Anstoßen vergaß er allen Kummer, den sie ihm bereitet hatte. Auch seine Besorgniß, daß die Mitnahme Berthas ihm Unannehmlichkeiten bereiten könnte, war geschwunden. Unzählige Herren mußte er ihr vorstellen, und die ewig wiederholte Lüge von der Gutsbesitzerstochter kam ihn gar nicht mehr schwer an.

Da tippte ihn plötzlich jemand auf die Schulter – er blickte um und fuhr jäh in die Höhe, sein glückliches Lächeln verschwand, das kümmerliche Amtsgefühl legte sich wieder in die Falten seines Gesichts.

Die Excellenz mit dem Stern, sein Minister, Graf Derwitz, sein höchster Vorgesetzter, stand vor ihm, ein stattlicher Herr mit schneeweißem, stramm gewichstem Schnurrbart; sein dunkles durchdringendes Auge blitzte in heiterer Weinlaune.

„Herr Rath, haben Sie die Güte und stellen Sie mich einmal Ihren Damen vor!“ sagte er, mit einem Blicke auf Bertha, der diese erbeben machte.

Schöpfte er Verdacht, wußte er am Ende alles? Ihn belügen, war gefährlich, ihm die Wahrheit sagen, noch gefährlicher, denn der Minister hielt alles auf die Wahrung des Standesbewußtseins unter seinen Beamten und war durchaus nicht demokratisch gesinnt.

Der Rath warf einen fragenden, verzweifelten Blick auf seine Gattin, als suchte er dort Hilfe. Aber sie achtete nicht auf ihn.

„Excellenz sind zu gnädig! Meine Frau – meine Tochter Irma –“ er machte eine Pause, vielleicht genügte das der Excellenz.

Vergebliche Hoffnung! Der Minister blickte immer noch auf Bertha, er mußte sie vorstellen.

„Fräulein Bertha Margold, eine Freundin meiner Tochter,“ stotterte er.

Die Excellenz ging geradenwegs auf das Mädchen zu, sie interessirte sich offenbar für die Erscheinung.

Bertha hatte keine Ahnung von der Bedeutung dieses Mannes und benahm sich infolgedessen ganz unbefangen. Das schien den Minister nur zu reizen; er nahm mit einer leichten Verbeugung neben ihr Platz, richtete der Form halber einige Worte an die Räthin und zog dann sofort Bertha ins Gespräch.

Der Rath saß wie auf Kohlen; der Orden brannte ihn auf der Brust, er sah ihn schon herabgerissen von diesem Manne mit dem weißen Schnurrbart, sich selbst pensionirt.

Jetzt erkannte auch die Räthin die Gefahr und suchte die Excellenz abzulenken – alles vergeblich.

Der vornehme Herr kehrte immer wieder zu Bertha zurück, drückte ihr seine Verwunderung aus, sie heute zum ersten Male in der Gesellschaft zu sehen, sie sei wohl erst seit kurzem in der Stadt; der Name klinge ihm bekannt.

(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 163. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_163.jpg&oldid=- (Version vom 11.11.2022)