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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Gluth sein muß, so ist eine wirkliche Ersparniß an Kohle nicht vorhanden, dagegen ein Verlust von 20 Prozent. Die Darstellung des sogenannten Wassergases hat andere Zwecke, deren Erklärung hier aber zu weit führen würde.

Nicht besser liegt die Sache beim Wasserstoff, dessen Anwendung unsere Leser wohl schon beim Drummontschen Kalklichte kennengelernt haben, bei welchem Wasserstoff und Sauerstoff verbrennen und durch die entwickelte große Hitze ein Stückchen Kalk zu heftigem Glühen und Leuchten bringen. Vor der Erfindung des elektrischen Lichtes diente das Drummontsche Kalklicht bei mikroskopischen Schaustellungen.

Zur Zeit benutzt man zur Zersetzung des Wassers in Wasserstoff und Sauerstoff vorwiegend den elektrischen Strom. Wir dürfen aber wohl verrathen, daß bisher die Kosten des Verfahrens sehr hoch waren. Doch sind auf diesem Gebiete die besten Kräfte mit regem Eifer thätig, und es ist die Hoffnung wohl berechtigt, daß diese eigentlich erst 15 Jahre alte Technik etwas Entscheidendes zur Lösung der Kohlenfrage leisten wird. Ist erst, wie es bei der vorliegenden Frage der Fall ist, die Aufgabe klar erkannt und liegt sie nicht außerhalb der durch die physikalischen Gesetze gezogenen Grenze der Möglichkeit, so ist die Lösung fast mit Sicherheit zu erwarten. Eine einzige glückliche Entdeckung kann den Keim der Losung in sich tragen und damit eine Umgestaltung der ganzen Kraft- und Kohlenfrage herbeiführen. Hat doch vor kurzem schon Gülcher gezeigt, daß man einen kräftigen elektrischen Strom direkt aus der Gasflamme gewinnen kann. Das Ziel würde sein, die großartigste, ja genau genommen einzige Kraftquelle, die Sonne, unmittelbar dienstbar zu machen. – Doch davon später!

„Aber,“ werden unsere Leser weiter fragen, „wozu ist denn die Druckluft nach Popps System da?“ Die „Gartenlaube“ hat darüber ja selbst eine eingehende Schilderung gebracht. Luft ist doch überall umsonst zu haben, wenn auch nicht immer von der besten Sorte?“ – Das ist recht schön; aber Luft ist noch lange keine Druckluft, und um die gewöhnliche Luft in Druckluft zu verwandeln, dazu sind wieder große Einrichtungen erforderlich. In Paris sind zu diesem Zweck Dampfmaschinen mit mehreren Tausend Pferdekräften vorhanden, welche die hinter ihnen liegenden Luftpumpen betreiben. An Kohle wird nur dadurch gespart, daß jetzt eine große Kesselanlage zu speisen ist, während sonst jeder Abnehmer seinen eigenen Dampfkessel zu heizen gezwungen wäre; dafür läßt er sich die Druckluft von der Centralstelle zuführen. Also ohne Kohle geht’s auch nicht.

Ganz dasselbe Verhältniß gilt für den elektrischen Maschinenbetrieb, bei welchem ebenfalls an einer Centralstelle ein Motor, bisher gewöhnlich eine Dampfmaschine vorhanden ist, welche mittels Dynamomaschinen den elektrischen Hauptstrom erst hervorbringen muß. Dieser geht durch die Kupferdrahtleitung nach auswärts und betreibt hier die elektrischen Aufzüge, die Straßenbahnen, die Drehereien, die Bogen- und Glühlichter und wie die Verwendungen alle heißen mögen. – Also Kohle, Kohle und immer wieder Kohle!

Nun giebt es auf der Erde aber doch noch andere Kräfte, die von der Kohle unabhängig sind, so z. B. die Anziehungskraft des Mondes und, als deren Wirkung, Ebbe und Fluth. Eine große Fluthwelle bildet sich etwas nach Durchgang des Mondes durch die Mittagslinie eines Ortes, allerdings vielfach beeinflußt durch die Küstenbildung. Diese Schwankung des Meeresspiegels hat man nun in folgender Weise benutzt: Denken wir uns das Meer von einem festen Damm begrenzt, hinter welchem ein Teich liegt, der mit dem Meere durch einen geeigneten Durchlaß verbunden ist. In den Durchlaß legen wir ein Mühlrad oder eine Turbine. Bei beginnender Fluth sucht das Meer in den Teich einzudringen und treibt die Mühle. Bei Ebbe ist der Meeresspiegel niedriger als der Teich, somit strömt aus letzterem das Wasser ab und treibt wiederum das Mühlrad. Sehr schöne einschlagende Pläne sind vor kurzem in Frankreich gemacht worden.

Ungleich größern Einfluß als der Mond hat die Sonne auf unsere Verhältnisse. In der That ist sie die erste und letzte Ursache alles Lebens auf unserem Planeten. Ihr Einfluß bewirkt das Wachsen der Pflanzen, ihre Strahlen erwärmen die Luft und locken die Dünste des Meeres zum Himmel empor, wo sie mit Flügeln des Windes weiter geführt werden, um als befruchtender Regen sich wieder zur Erde zu senken.

Die Verwendung des Windes als segelschwellender Kraft ist seit grauer Vorzeit gebräuchlich. Ebenso ist die Windmühle seit Jahrhunderten bekannt und wird gern benutzt; insbesondere findet sie jetzt in der seit 15 Jahren eingeführten verbesserten Form der „Windräder“ vielfach Abnehmer. Die technische Verwendung der Kraft des Windes wird allerdings durch die sprichwörtliche Unbeständigkeit dieser Urkraft erschwert, aber wer hindert uns, die kostenlos dargebotene Kraft zu gelegener Zeit anzusammeln, sei es unter Zuhilfenahme von Wasser in geeigneten Behältern oder mittels der Elektricität in Sammlern (Accumulatoren), und sie dann nach Bedarf und Gutdünken zu verwenden.

Besser geht’s schon mit dem Wasser, da dasselbe leicht in Teichen aufzustauen ist, um jederzeit zur Verfügung zu stehen. Die Wasserkraftmaschinen sind mit allen Mitteln der Wissenschaft und Technik ausgebildet und haben einen hohen Grad technischer Leistungsfähigkeit erreicht.

Wir sind gewohnt, nur das für großartig zu halten, was sich uns äußerlich aufdrängt. Das stille Walten der Naturkräfte wird gar leicht übersehen. So entspricht z. B. die Wärmemenge, welche das Aufsteigen der Wasserdünste aus dem Meere bewirkt, nach Schleiden der ungeheuren Summe von 10 Billionen Pferdekräften, so daß auf jeden Morgen Landes eine Kraft von 79 Pferden entfällt. Wie groß die im fließenden Wasser aufgespeicherte Kraft ist, mag dadurch veranschaulicht werden, daß sämmtliche Flüsse Europas die stattliche Leistung von 300 Millionen Pferdekräften darstellen.

Allein der Fall des Niagara könnte, technisch vollständig verwerthet, gegen 15 Millionen Pferdekräfte liefern. Jetzt ist man damit beschäftigt, 120 000 Pferdekräfte zu Betriebszwecken abzuzweigen. Bemerkbar wird diese Ableitung jedoch keineswegs werden.

Aber wozu in die Ferne schweifen? Der Rhein schickt in jeder Sekunde an der deutschen Endstation Emmerich annähernd 2700 Kubikmeter Wasser dem Meere zu. In Bingen liegt der Wasserspiegel 60 Meter höher; es würde also der Rhein mit seinen Einläufen auf seinem Wege allein durch die Rheinprovinz die respektable Zahl von 21/2 Millionen Pferdekräften entwickeln können. Nach den statistischen Ermittelungen vom Jahre 1889 beträgt die Leistung der gesammten Maschinen des Königreiches Preußen 1 773 454 Pferdekräfte. Es könnte mithin der Rhein die sämmtliche Maschinenkraft Preußens ersetzen und noch auf 28% zur Vorsicht und für Betriebsverluste verzichten.

Nun sind aber Weser, Elbe, Oder u. s. w. auch nicht zu verachtende Ströme.

Gehen also die Steinkohlenvorräthe zu Ende, so nutzen wir diese Kräfte aus. Sie werden am besten durch Turbinen aufgenommen, mittels Dynamomaschinen in elektischen Strom umgewandelt und als solcher mit Hilfe starker Kupferdrahtleitung in alle Welt geschickt und nach Bedarf vertheilt.

An Ort und Stelle werden die elektrischen Ströme, ebenfalls mittels Dynamomaschinen, wieder in mechanische Kraft verwandelt und treiben Arbeitsmaschinen aller Art, Drehereien, Druckereien, Sägen und wer weiß was alles. Oder die elektrischen Ströme werden unmittelbar zum Schweißen und Schmelzen, zur Verhüttung der Metalle, zur Beleuchtung als Bogenlicht oder Glühlicht, zum Erwärmen der Zimmer und zu allen erdenklichen Zwecken benutzt. Ein Versuch mit der Uebertragung von 300 Pferdekräften auf größere Entfernung wird wohl im Laufe dieses Jahres bei Gelegenheit der elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main gemacht werden, da das Ausstellungskomitee diese Kraft in einer etwa 175 km langen Leitung von Lauffen am Neckar beziehen will.

Schiffahrt ist nach Einführung einer so gründlichen Ausnutzung der Wasserläufe allerdings nicht mehr möglich, ist aber auch ganz überflüssig, da die elektrischen Bahnen das alles viel besser und billiger besorgen. Wer demnach noch eine Rheinfahrt mit dem Salonboote machen will, darf sich sputen.

Also nur Muth: die Elektricität in Verbindung mit der Kraft des Windes und des Wassers wird uns zur Zeit schon aus der Noth helfen. Dann kommt das Alte wieder zu Ehren und wieder heißt es:

„In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad.“




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_208.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)