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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Heinz seufzte. „Es bleibt Lotteriespiel, Onkel. Ich kann mich beim Rechnen verrechnen, und ich kann mit meinem bloßen Dummen-Jungen-Gefühl das große Los ziehen.“

„Da haben wir’s wieder“ – der Onkel hob in einer Art von Verzweiflung die Arme weit auseinander.

„So heirathe meinethalben Deine geliebte Edith!“

Heinz schlug langsam die Lider auf und blickte den Onkel ein paar Augenblicke steif an.

„Ich werde sie nicht heirathen, Onkel!“

„Hm – dann hast Du wohl gar irgend einen Privatgrund für Dich… Heraus mit der wilden Katz’!“

„Das allerdings; und es hat dieser Grund den Ausschlag gegeben, wenngleich Erwägungen wie die Deinigen den Hebel angesetzt haben, mich schwankend zu machen. Ich habe mir gesagt, daß nur eine dauerhafte, im tiefsten Wesen gegründete Liebe zu Edith den zureichenden Grund für mich bilden könnte, um dieses Studentenverhältniß mit einer Ehe abzuschließen. Sie ist arm, und sie ist in nichts so außergewöhnlich, daß jedermann um deswillen meine Heirath mit ihr begreiflich finden müßte. Ihr eigener Vater hat uns immer mit Mißtrauen bewacht, weil er ganz ausgesprochen überzeugt war, mit meinem Weggang von hier würde ich Edith aufgeben ...“

„Der Mann gefällt mir,“ schaltete der Onkel ein.

„Als ich von hier zur Mutter ging, war ich entschlossen, die Trennung zu einer Prüfung meiner Neigung auf ihre Echtheit zu benutzen. Ein halbes Jahr ohne jede Verbindung mit dem Mädchen sein, nichts von ihr sehen und hören ... wenn mein Herz nach Ablauf dieser Zeit mich noch zu ihr zwingen würde, ja, dann sollte mich nichts abhalten, unsere Verlobung vor aller Welt zu verkündigen. Dann wollte ich alles dransetzen, auch Dich für den Gedanken dieser Heirath zu gewinnen.“

„Gut! Dann hätte ich am Ende auch die Aussteuer für die Kleine besorgt. – Und mit der Dauerhaftigkeit Deiner Liebe war es nichts?“

Heinz zögerte. „Nein!“ sagte er endlich fest und herb.

„Hat die Kleine denn nicht ein einziges Mal schriftlich angefragt, was Dein Schweigen zu bedeuten habe? Oder hattet Ihr die Prüfung mit einander verabredet?“

„Keines von beiden. Zu Anfang quälte mich die leidenschaftlichste Sehnsucht nach ihr, plagte mich die Erinnerung an die Vergangenheit dieser Liebe … dann wurde das alles über meinen angestrengten Studien blasser und blasser … ich hatte ein Gefühl, als ob ich eine Fieberkrankheit überstanden hätte und in der Genesung wäre. Eine gesunde Nüchternheit überkam mich, mir wurde so hell zu Muth, als wäre mir die Welt um mich herum neu geschenkt, nachdem sie mir eine Zeit lang genommen gewesen. Nur ganz vereinzelt überfiel mich eine Stunde der Sehnsucht und Reue – bald darauf war das wie weggeblasen. Und heute kann ich völlig ruhig an sie denken – das einzige, was mich noch peinlich berührt, ist die Möglichkeit, ihr zufällig zu begegnen. Ich wehre den Gedanken daran mit beiden Händen ab. Du siehst, ich habe höchst vernünftig gehandelt, und ich bin dahin gekommen, daß ich es für ein Verbrechen an dem Mädchen halten müßte, sie aufs neue an mich zu ziehen.“

„Richtig, richtig, ganz meine Meinung. Famos, Heinz, das hast Du großartig gedeichselt … dafür mußt Du mal eine Frau kriegen, die sich gewaschen hat … Prosit auf die zukünftige Frau Doktor!“

Heinz trank ohne sonderlichen Enthusiasmus. „Und doch –“ sprach er halb für sich.

„Na – und doch?“

„Ich wollte, es wäre anders gekommen. Das Mädchen dauert mich, ganz frei von Gewissensbissen bin ich nicht.“

„Ach, Unsinn …“

„Ja, wenn ich wüßte, daß sie ebenso denkt wie ich, innerlich ebenso frei ist … schließlich habe ich ihr doch etwas weisgemacht und habe sie sitzen lassen.“

„Junge, das sind Jugendthorheiten, das wird alles überwunden. Sei froh, daß Du glücklich drüber weg bist … Weißt Du, komm mit, ich gehe noch ein paar Stündchen ins Kasino, wir feiern Deine Genesung mit einem Partiechen.“

Der behagliche kleine Mann erhob sich; aber Heinz blieb sitzen.

„Laß mich hier, Onkel; ich bin etwas schlaff nach der Aufregung von heute früh und werde mich lieber zeitig hinlegen.“

„Wie Du willst!“

Der junge Doktor blieb einsam am Kamin sitzen. Das Feuer sank zusammen, blaue und goldene Flämmchen tanzten auf der Asche und verschwanden wieder. Dann und wann sauste ein Windstoß durch den Schlot hernieder …

„Im Sommer blank,
Im Winter krank,
Im Frühling begraben – –“

murmelte Heinz vor sich hin und dachte an seine Studentenliebe. Er war nicht zufrieden mit sich, aber er hatte abgeschlossen, fest und bewußt!

Morgen ist Ostern …

*  *  *

„Weißt Du, nun laß endlich den Unsinn!“ Der Musikus Sonnemann, ein mittelgroßer Mann mit auffallend blutlosem, doch vollem Gesicht und starkem blonden Schnurrbart, brummte es verdrießlich. Er saß am Tisch in dem kleinen bescheidenen Stübchen mit dem alten dünnen Urväterhausrath und hatte seine Posaune zwischen die Kniee geklemmt – eben tauchte er den Putzlappen frisch in den Napf auf dem Tische und rieb an dem Instrument weiter.

Die Mutter auf dem Sofa, eine kleine gealterte Frau, ließ den Strickstrumpf sinken. „Gott, das kannst Du doch dem Mädchen nicht verdenken, jetzt, wo sie weiß, daß Tausing in der Stadt ist. Das rührt doch natürlich wieder alles bei ihr auf. Er geht schlimmstenfalls schließlich fort und dann ist’s gut. Sie wird sich schon wieder fassen.“

Edith lehnt in einem hochlehnigen Korbstuhl abseits vom Tische, wohin das Licht der grünschirmigen Lampe nur mit schwacher Dämmerung dringt. Der Korbstuhl knarrt, wie sie hastig das Taschentuch hebt und über die Augen fährt.

„Der Vater hat recht, Mutter. Heinz ist die Thräne nicht werth. Der Vater hat in der ganzen Sache recht gehabt.“

Sie ist ein schlankes, feingliedriges Mädchen, mit einem jener blassen Gesichter, welche die Dämmerung verschönt. Sie ist sicherlich auch sonst hübsch, ohne Dämmerung.

„Ich hatte selber gehofft, er würde nun kommen und sein Schweigen aufklären,“ meinte die Mutter nach einer Pause. „Ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_217.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)