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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Fassade, welche die Gesetze der Schwere aufzuheben scheint und wie ein zarter Spitzenschleier wirkt, der herrliche Hochrenaissancebau der neuen Universität, der stolze hellenische Tempelbau des Parlamentsgebäudes, die heitere französische Renaissance, welche sich im Justizpalais darstellt, das neue Burgtheater mit seinen schimmernden Marmorsäulen, seinem reichen figürlichen Schmuck und seinen mit unglaublichem Prunk ausgestatteten Innenräumen, das alles zusammen giebt ein Bild von überwältigender Schönheit.

Im großen Prunksaal des neuen Rathhauses finden allwinterlich die Rathhausbälle statt, welche unter die glänzendsten der Wiener Saison zu zählen sind. An schönen Sommerabenden aber spielt auf dem Platze vor dem Rathhause eine Militärkapelle und stets drängt sich eine zahlreiche Menge aller Gesellschaftsklassen zu diesen Volkskonzerten.

Am Ausgang des Franzensringes empfängt uns der weite Platz vor der Votivkirche, einem ungemein zierlichen gothischen Bau, von Meister Ferstel ersonnen. Anmuthige Gartenanlagen nehmen den Raum vor der Kirche ein. Hier ist ebenfalls ein überaus lebhafter Verkehr; denn die wichtigsten Verkehrsadern, welche die Verbindung mit stark bevölkerten Vorstädten und Vororten herstellen, treffen auf dem Platze vor dem ehemaligen Schottenthor, von dem sich noch ein Stück mit einem Basteirest erhalten hat, zusammen. Ein starker Wagenverkehr, das fortwährende Pferdebahngeklingel, das Auf- und Abwogen der Menschen, welche aus der inneren Stadt, vom Franzensring und Schottenring, aus der Alser- und Währingerstraße herkommen, giebt dem Treiben einen weltstädtischen Anstrich.

Der Schwarzenbergplatz.

Am Schottenring beginnt das Geschäftsviertel: die Börse und zahlreiche Warenhäuser und Niederlagen drücken diesem Stadttheile ihr Gepräge auf. Von hervorragenden Gebäuden fällt uns hier zunächst das großartige, von Hansen mit einem Kostenaufwande von vier Millionen Gulden erbaute Börsengebäude auf. Linker Hand fesselt den Blick das kaiserliche Stiftungshaus, ein Werk Meister Schmidts in zierlichen gothischen Formen, auf der Unglücksstätte des abgebrannten Ringtheaters durch kaiserliche Schenkung errichtet. Das Gebäude der Polizeidirektion war im Weltausstellungsjahre das Hotel Austria. In der verlängerten Wipplingerstraße befindet sich das umfangreiche Gebäude des k. k. Staatstelegraphenamtes. Die weitausgedehnte Rudolfskaserne, ein Rohziegelbau von mächtiger Massenwirkung, wird vom Deutschmeisterplatz dem Auge sichtbar.

Der Franz Josefs-Quai, in welchen der Schottenring einmündet, bietet das Bild des lebhaftesten Geschäftsverkehrs, der sich seit Jahren von der Leopoldstadt und anderen Bezirken auf dieses elegante Viertel mit den hohen, hohen Zinspalästen zusammengezogen hat. Eine schmale Parkanlage, vom Volksmund mit dem Spottnamen „Beserlpark“ belegt, trennt die Straße vom Donaukanal. Der schönste Theil des Quais ist der Platz vor dem Hotel Metropole. Noch eindrucksvoller dürfte sich aber in Zukunft das Stück bei der Adlergasse entwickeln. An dieser Stelle, gegenüber der Ferdinandsbrücke, hören die Neubauten der Stadterweiterung plötzlich auf. Der mächtige Riegel der Franz Josefs- Kaserne hat hier die bauliche Entwicklung gehindert. Die Tage dieses in gesundheitlicher Hinsicht unpraktischen Baues sind übrigens gezählt; denn eine starke Bewegung im Gemeinderath und in der Bevölkerung strebt die Aufhebung der Kasernen im Stadtgebiete und Verlegung derselben vor die Linienwälle an und die Staatsverwaltung zeigt sich diesem Gedanken nicht abgeneigt.

Bis hierher hatte Herr Hainfelder seinen Gast geführt, demselben die Sehenswürdigkeiten in der oben geschilderten Weise erklärend, manchmal auf eine bedeutende Firma aufmerksam machend oder ein Wort über ein beliebtes Kaffeehaus oder ein berühmtes Restaurant einfügend. Nun fuhr er fort: Wenn Sie müd’ sind, Herr von Werner, so steigen wir in einen Tramwaywagen ein und fahren in den Prater. Jetzt finden wir noch Platz genug. Aber in zwei Stunden ist jeder Wagen so gedrängt voll, daß darin keine Stecknadel auf den Boden fallen kann. Ueber die Aspernbrücke geht nämlich der Weg in den Prater. Wenn ein schöner Frühlingstag ist oder ein Wettrennen in der Freudenau, da müssen Sie mit mir hinunter; da sieht man noch ein Stückl von der alten Wiener Fröhlichkeit. Freilich war das noch ganz anders zu meiner Zeit. Der Glanz der Praterfahrten hat bedeutend abgenommen, denn ein großer Theil der Aristokratie ist jetzt in Budapest oder in Prag. Aber ’s Volk läßt sich deshalb die Freud’ nicht vergällen, und wenn auch fünfzig Personen auf einmal in ein’ Pferdebahnwagen eingepökelt werd’n, bleiben s’ doch fidel und gutmüthig. Da fällt’s keinem ein, zu protestieren, wennn noch ein Rudel Leute sich in den schon vollen Wagen hineinzwängt; jeder duldet’s ohne Murren, wenn der Nachbar auf seinen Hühneraugen Csardas tanzt. Die Tramwayüberfüllung ist eine Spezialität von Wien. So ’was kann man nur hier seh’n. Ganze Bibliotheken sind schon d’rüber g’schrieb’n word’n, die Behörde hat in jedem Wagen Tafeln anbringen lassen: Platz nur für 4 Personen auf der vorderen und für 6 Personen auf der hinter’n Plattform. Nutzt alles nichts. Die Tramwayverwaltung lacht sich ins Fäustchen und die Leute vertragen sich prächtig und trösten einander mit schlechten Witzen. Das ist ein Zeichen für die noch immer nicht ausgestorbene Gutmütigkeit des Volks, das für die angenehme Beförderung fast ausnahmslos dem Kondukteur noch zwei Kreuzer Trinkgeld zahlt.“

„Wenn Sie nichts dagegen haben, Herr Hainfelder, so setzen wir für heute lieber unsern Rundgang fort und sparen uns den Prater für ein andermal.“

„Mir auch recht, Herr von Werner,“ entgegnete der freundliche Führer. „Also weiter! Hier ist der Stubenring. Der Theil um die Franz Josefs-Kasern’ schaut ziemlich öd’ aus, nit wahr? Linker Hand hab’n s’ vor kurzem ein Gebäude für die freiwillige Rettungsg’sellschaft errichtet. Das Institut ist nach dem Ringtheaterbrand gegründet worden und wirkt mit großer Selbstverleugnung und Menschenlieb’ unglaublich viel Gutes. Aerzte und Verwaltung stellen ihre Kräfte unentgeltlich zur Verfügung.

Hinter dem freien Platz vor der Kaserne ist noch ein Rest von der alten Dominikanerbastei; die Dominikanerkirche giebt mit dem Häuserviertel, das sich hinter der Rampe aufbaut, ein hübsches Bild. Der weitgesrreckte Rohziegelbau links ist das österreichische Museum für Kunst und Gewerbe, von Heinrich Ferstel erbaut. Dort finden jährlich mehrere Ausstellungen statt, unter denen die Weihnachtsausstellung besonders gern besucht wird, weil sie wunderschöne Sachen des Kunstgewerbes und der Industrie bietet. Das Gebäude ist auch im Innern sehr schön ausgestattet mit Figuren von Melnitzky, König, Pokorny und Malereien von Eisenmenger und Laufberger. Das riesige Mosaikbild der Minerva in der Verbindungswand ist ein Geschenk aus der Weltausstellung. Unsere Slovaken und Rastelbinder halten sie aber hartnäckig für die Mutter Gottes und bekreuzen sich betend vor dem Bilde.

Hinter dem Kunstgewerbemuseum ist die Großmarkthalle und der Platz des Wiener Eislaufvereins, wo es im Winter hoch hergeht. Kostümfeste, Promenadenkonzerte mit elektrischer Beleuchtung, Wettläufe ziehen ein großes Publikum an, das der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_231.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)