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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

er alles und damit auch, daß er sich über die Lage Stefanellys nicht getäuscht hatte.

„Ein Verbrecher! Der alte Herr von Brennberg! Wie ist denn das möglich? Hat ihn denn der Stefanelly so weit –“

„Ich darf Dir das Nähere gar nicht sagen,“ jammerte Bertha, „ja, ich habe Dir in meiner Todesangst schon zu viel gesagt. Er wird sterben an der Schmach, und Theodor – und ich – und mein Kind – –“

Sie brach in lautes Schluchzen aus.

Margold stand regungslos, wie erstarrt. „Meine Ahnung, meine Ahnung!“ rief er endlich. „Kannst Du Dich noch erinnern, Bertl, als Du damals spät in der Nacht zurückkamst aus dem Café Arnold mit Hans, vor dem ich mich fürchte, wenn ich ihn ansehe – kannst Du Dich noch erinnern, was ich damals gesagt habe: ‚Ein Spiel ist es, das den Unterschied bald verwischt zwischen Recht und Unrecht, das ins Zuchthaus führt‘?“

Bertha schrie auf bei den Worten des Vaters.

„Ich dachte damals an den Hans, nicht an den Herrn von Brennberg, den ehrenhaften alten Herrn von Brennberg,“ schloß er mit dumpfer Stimme.

„Aber es ist doch auch nicht an ihn zu denken,“ rief Bertha in qualvoller Erregung, „nur Du hast mich so ängstlich gemacht. Es handelt sich ja nur um einige Wochen. – Oder weißt Du einen Rath? Aber ich darf ja nicht sprechen – Gott, das ist hart!“

„Du brauchst nicht zu sprechen,“ entgegnete Margold ruhig, „ich weiß alles, und ich habe nur einen Rath – ein offenes Bekenntniß – man wird ihn dann milder beurtheilen. Aber den Rath wird er freilich nicht annehmen, er ist ein Spieler geworden, er wird auf einen glücklichen Zufall rechnen und alles verlieren. Nur um eines beschwöre ich Dich, Bertl; wenn der glückliche Zufall eintritt, um den ich jetzt Gott anflehe, wenn es auch vielleicht ein Unrecht ist an tausend andern, die noch länger getäuscht werden, dann tritt Du ein und reiß’ ihn zurück vom Abgrund und werde das, was man von Dir gehofft hat, seine Retterin! Sein Vermögen ist so wie so verloren, wie ich annehmen muß. Laßt es verloren sein, für die Noth bin ich da, dem unser Herrgott noch zu rechter Zeit die Augen geöffnet hat. Aber die Ehre seines Namens kann dann wenigstens noch gerettet werden.“

„Das will ich, das schwöre ich Dir!“ rief Bertl begeistert. „Den ganzen Glanz will ich von mir werfen und wieder arbeiten wie eine Magd, wenn nur diese furchtbaren Wochen vorüber sind. – Leb’ wohl, Vater, Du siehst mich nicht mehr, bis ich mit guter Botschaft kommen kann, und dann sollst Du erkennen, daß ich noch Deine alte Bertl bin.“

Voll qualvoller Unruhe eilte sie hinaus aus dem Hofe auf die Straße; es trieb sie förmlich zu dem Bankhaus Stefanellys.

Wirklich glaubte sie eine besondere Erregung in den Gesichtern der desselben Weges Gehenden zu bemerken, ein auffallendes Hasten und Drängen nach dieser Richtung. Jetzt kam sie auf den Platz, wo das Gebäude lag. Ueberall standen erregte Gruppen, vor dem Bankhause drängte sich eine dichte Menge. Es ging also doch etwas Besonderes hier vor, aber die weitgeöffneten Flügelthüren, durch welche das Volk ein- und ausströmte, machten auf sie einen beruhigenden Eindruck; etwas Freimüthiges, offenes lag für sie darin, eine großherzige Einladung: „Kommt alle, ihr Mißtrauischen.“

Sie näherte sich den Gruppen, um da und dort ein Wort zu erhaschen, der neugierigen Blicke nicht achtend, die man der schönen vornehmen Dame mit dem sonderbaren Benehmen zuwarf. Es gelang ihr nicht, und so trat sie vor das hohe Auslagefenster, drängte sich mitten unter das Volk, dessen Blicke gierig die Scheiben durchdrangen, an dem blitzenden, gemünzten und ungemünzten, zu kleinen Hügeln aufgehäuften Gold, an den verheißungsvollen bunten Papieren hafteten, aus denen der Name „Brennberg“ wie mit feurigen Buchstaben geschrieben Bertha entgegenleuchtete.

Eben trat ein Bauer, seinen schweren Ledergurt festschnallend, aus dem Haus unter die Menge, welche lachte, spottete, fragte.

„Na. wenn ich den erwisch’, der mir den Bären auf’bunden hat, daß es schief geht da drinnen!“

Er hob drohend den Ziegenhainer unter dem schallenden Gelächter der Umstehenden.

„Grad überlaufen thun alle Kästen vor Gold und Silber – Na, wenn ich den – –“

Er verschwand unter dem Haufen, welchen das beim Oeffnen der Thüren hörbare metallene Rauschen zu bannen schien.

Da drängte sich in wilder Hast ein ärmlich gekleidetes Weib nach dem Eingang, tödliche Besorgniß im Antlitz; sie achtete weder auf die Scherzreden noch auf die ermuthigenden Zurufe der Menge. Es dauerte eine Weile, dann aber trat sie selig lachend, mit feuchtem Auge heraus.

„Na, war’s nicht so, Frauchen, hat’s noch gelangt?“ fragte man sie.

Sie brach in helle Thränen aus.

„O, das ist schändlich, den braven Mann so zu verleumden! Gelangt? Noch nie habe ich so was gesehen von vielem Gold; und er hat es wieder behalten, auf meine Bitte, ‚weil ich eine arme Witwe bin‘, sagte er.“

Ein beifälliges und zugleich drohendes Gemurmel verbreitete sich. Wer war der Verleumder?

Irgend ein Konkurrent, ein Bankier, der gekaufte Schreier herumschickte! – Der Name Anspacher wurde auch genannt.

Bertha schlug das Herz mächtig vor Freude. Als die arme Frau erzählte, konnte sie es sich nicht versagen, mit einstimmen in das Lob Stefanellys, so daß die Leute umher, die größtentheils dem Arbeiter- und Handwerkerstande angehörten, überrascht auf die vornehme Dame blickten.

Waren es wirklich die vierhunderttausend Mark, welche diese massenhaften Auszahlungen ermöglichten, so hatte der Schwiegervater ja ein vortreffliches, edles Werk gethan, als er einwilligte, sie zur Beruhigung der augenblicklichen Aufregung zu verwenden; die Freudenthränen der armen Witwe allein wuschen in ihren Augen allen Makel von seiner Handlungsweise. Ehe der Tag verging, würde die Krisis vorüber sein, der Name Stefanelly höher stehen als je, das Doppelte, was jetzt herausgetragen wurde, trug man sicher morgen wieder hinein. Stefanelly würde die Summe zurückerstatten und Brennberg zu ewigem Danke verpflichtet sein. Bereits reute Bertha der Schwur, den sie ihrem Vater eben abgelegt hatte: Brennberg zu retten von dem Abgrunde, wenn die Krisis glücklich vorüber sei. Aber der Abgrund war ja dann nicht da, das mußte auch der Vater einsehen, und damit fiel ihr Versprechen in sich zusammen.

Sie wäre jetzt am liebsten selbst hineingegangen und hätte Stefanelly, dem kühnen, verleumdeten Mann, die Hand gedrückt, um das Unrecht ihres Vaters einigermaßen wieder gut zu machen. Doch er hatte jetzt gewiß keine Zeit für sie, und es zog sie auch nach Hause, wo Theodor in trostloser Unruhe wartete. Rasch eilte sie heim, sie konnte ihrem Gatten ja gute Nachrichten bringen.




8.

Zwei Tage dauerte trotz der fortgesetzten ungesäumten Auszahlungen der Sturm auf die Bank Stefanellys. Wie ein Feldherr stand er von früh bis spät unter der Schar seiner Beamten, sein Antlitz verrieth nicht die geringste Erregung. Unerschöpflich floß der Goldstrom aus dem Gitterfensterchen der Hauptkasse; viele bereuten bei diesem Anblick ihr Mißtrauen und wollten das Geld nicht in Empfang nehmen; aber Stefanelly drängte es ihnen auf, weigerte sich, es zu behalten, spielte den Beleidigten, der sich zu rächen weiß. Die Beträge, die eilig zurückgefordert wurden, waren größtentheils keine; die vierhunderttausend Mark des Reservefonds hielten, das wußte der Bankier, schon noch eine Woche Stand, während die Menschenmasse, die den Tag über sich hereindrängte, das unbetheiligte Publikum auf Unsummen schließen ließ, welche hier anstandslos ausbezahlt wurden. Man sprach von einer, von mehreren Millionen, und dagegen vermochten die Stimmen der besorgten Warner nicht aufzukommen. Glänzender konnte sich Stefanelly nicht rechtfertigen. Er war jetzt der unschuldig Verleumdete, seine Anhänger hoben stolz das Haupt und lachten über das blöde Volk, das sich von jedem blinden Lärm schrecken ließ. Die Aengstlichen schämten sich und fürchteten, von Stefanelly von nun an zurückgewiesen zu werden.

Am dritten Tage herrschte Todtenstille in der Bank, niemand kam mehr, um Einlagen zurückzufordern, nur die guten Freunde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_235.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)