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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Der Kommissar nickte, indem er den Namen aufschrieb.

„Kennen Sie den Mann?“

„Gewiß, er arbeitet seit längerer Zeit für mich.“

„Halten Sie ihn für ehrlich?“

Der Kommissar blickte bei dieser Frage dem Bankier fest ins Gesicht.

Wieder die schwüle Pause! Die Musik von oben drang gedämpft herab, wie aus unendlicher Ferne.

Stefanelly zuckte die Achseln.

„Ich kenne ihn weiter nicht, auch nicht seine Lage. Der Anblick des vielen Geldes hat ihn vielleicht verführt, für unmöglich halte ich es nicht,“ sagte er in festem Tone.

Christian hätte aufschreien mögen; wie Bergeslast wälzte es sich auf seine Brust, es flimmerte vor seinen Augen, er sah nur noch, wie der Kommissar eine Aufzeichnung machte, dann sank er ohnmächtig in die Arme seines Sohnes.

„Eine schlechte Luft hier,“ bemerke der Kommissar, „ich will Sie nicht länger aufhalten, meine Herren, ich bin fertig.“

„Bringen Sie Ihren Vater nach Hause,“ flüsterte Stefanelly Theodor zu, „die Sache hat ihn doch angegriffen, und ich möchte jedes neue Aufsehen bei meinen Gästen vermeiden.“

„Das glaube ich Ihnen,“ erwiderte Theodor in einem Ton, der Stefanelly stutzig machte. Dann führte er seinen nur mechanisch sich bewegenden Vater, dessen kummervolles Antlitz an seines Sohnes Schulter lehnte, mit Hilfe des Raths langsam hinaus.

Im Saale tanzte man noch, aber es war niemand mehr Ernst damit: eine drückende Stimmung herrschte, eine gewitterschwüle Ahnung wie vor irgend einem gewaltsamen Naturereigniß. Da unter ihren Füßen bereitete sich irgend ein dunkles Zerstörungswerk vor, vielleicht brannte schon die todbringende Lunte.

Die Freude ließ sich nicht mehr gewaltsam festhalten, der festliche Schein erhöhte nur das bange Gefühl. Man wollte möglichst rasch den unsicheren Grund verlassen, so heiter und sorglos auch Stefanelly schien, so dringend die Hausfrau auch bat, doch die herrliche Bowle über der unliebsamen Geschichte nicht zu vernachlässigen.

Es war noch nicht zwei Uhr, und schon lag das Palais Stefanelly finster und schweigend da wie eine böse That. Zwei Polizisten gingen vor der Front auf und ab, ihre Schritte hallten laut durch die Nacht.

Die Brennbergs hatten den Saal nicht mehr betreten. Stefanelly selbst theilte der in peinlichster Spannung harrenden Bertha das Unwohlsein ihres Schwiegervaters mit und ließ sie durch Hans an den Wagen geleiten, vor welchem Theodor bereits ihrer harrte. Sie stiegen ein zu dem matt, mit geschlossenen Augen, in der Ecke lehnenden Vater; nur in wenigen leise geflüsterten Worten sprach Theodor über die Ereignisse im Keller. Endlich athmete Christian schwer auf, blickte durch die Fenster auf die Straße und machte eine Bewegung, als wollte er halten lassen.

„Nicht wahr, sie können ihn nicht verurtheilen lassen, diesen Schlosser?“ fragte er plötzlich. „Ohne allen Beweis, nur weil er dort gearbeitet hat – einen ehrlichen Mann – sage, Theodor, können sie es?“

„Das wohl nicht, Vater, aber verhaften werden sie ihn, vor Gericht ziehen, und wenn sie keinen andern Thäter finden – wer weiß, – jedenfalls ist sein ehrlicher Name befleckt, geschändet –“

Christian stöhnte auf.

„Aber sie werden den wahren Thäter finden, und zwar wirst Du selbst ihn nennen, ehe ein Unschuldiger leiden muß.“

Bertha sprach diese Worte im Tone der vollen Ueberzeugung.

Christian sank vom Polster herab auf die Kniee und vergrub sein Antlitz in Berthas Schoß.

„Ja, ja, das wirst Du – was es auch koste!“ stimmte Theodor bei.

Der Wagen hielt vor der Brennburg.

Christian stieg ohne Hilfe aus, ging ohne Hilfe, festen Trittes die Treppe hinauf, begleitet von seinen Kindern.

„Du kennst also den wahren Thäter?“ fragte er, im Wohnzimmer angelangt, mit fester Stimme seinen Sohn.

„Stefanelly selbst!“ erwiderte dieser.

„Das ist unmöglich! Ich ließ ihn keinen Augenblick aus den Augen seit meiner Unterredung mit ihm, und erst dann konnte es geschehen sein; auch ich habe alle Grunde, daran zu glauben, aber die Möglichkeit ist doch nicht ausgeschlossen, daß ein sonderbares Zusammentreffen von Umständen vorliegt, ein wirklicher Einbruch –“

Theodor war freudig betroffen. „Du bist also unschuldig an diesem Betrug, wußtest nichts davon?“

„So wahr mir Gott helfe, ich wußte nichts davon. Stefanelly versprach nur, ein Mittel zu finden, um Zeit zu gewinnen, bis er die Summe zahlen könne, ein Mittel, das niemand Schaden bringen solle, und er bat mich, ruhig zuzusehen.“

„Ja dann – dann ist ja noch Hoffnung!“ jubelte Theodor. „Der Dieb konnte ja nicht wissen, daß die Kasse leer war, und Stefanelly benutzte vielleicht nur die nutzlos gesprengte Kasse – das wäre am Ende verzeihlich. Hans hat auch sein Kartenspiel nicht verlassen, bis kurz vor dem Augenblick, wo er die Nachricht brachte. Wer soll es nun gethan haben, wem konnte Stefanelly sich anvertrauen? Gott, wenn es so wäre – wenn doch dieser Schlosser Bergmann der Thäter – dann wäre es nutzloser Wahnsinn, sich zu verrathen. Bergmann ist ja dann ein Dieb und verdient seine Strafe, ob die Kasse leer war oder gefüllt!“

Ein Strahl der Hoffnung zuckte über beider Männer Antlitz.

„Und Loni?“ fragte jetzt Bertha, die ruhig zugehört hatte.

„Unmöglich, Loni, ein Weib!“ erwiderte Theodor, ärgerlich, in seiner Hoffnung; die in ihm immer mehr zur Gewißheit wurde, gestört zu werden, „außerdem war Loni die ganze Zeit an meiner Seite –“

„Bis sie in die Küche ging, um die Bowle zu bereiten,“ erwiderte Bertha.

„Wohin ich sie begleitete.“

„Das ist möglich; sie blieb aber nicht in der Küche, sondern ging in das Gewölbe. Ich selbst hörte sie dort ihre Arbeit vollbringen, ich selbst sah sie noch beschmutzt davon heraufkommen: Ich suchte Dich – Theodor – und mein Argwohn gegen Dich ward zum Verräther an ihr.“

Dumpfe Stille trat ein. Bertha sah den letzten Hoffnungsstrahl erlöschen auf dem Antlitz des Vaters und des Sohnes und ein qualvoller Kampf begann in ihrem Innern. Er währte lange. –

Christian hatte ihn zuerst überstanden.

„Es muß sein!“ sagte er, sich erhebend. „Gut! Genug der Lüge! Der Name Brennberg soll nicht durch ein neues Verbrechen gerettet werden!“ Dann trat er auf Theodor zu und ergriff seine Hand. „Es muß sein! Verzeih Deinem unglücklichen Vater – und jetzt laßt mich allein! Ich muß Abrechnung halten mit mir und den alten Brennberg von Schönau zusammensuchen: nur der kann vollbringen, was vollbracht werden muß.“ –

Der Morgen rang sich herauf und noch immer brannte Licht in dem Zimmer Brennbergs, – die Abrechnung war noch immer nicht fertig.

Bertha drängte es zu ihrem Vater; sie fühlte, daß bei ihm die Zukunft lag, daß für ihn ein heiliges Amt begann, worauf er sich wohl schon lange vorbereitet hatte. Auch der Verdacht, der auf Thereses Gatten lag, beunruhigte sie.

Sie schlich sich von der Seite ihres von Kummer und Verzweiflung ermatteten Gatten und eilte fort.

Vor dem Hause des Vaters sah sie schon von weitem eine für die frühe Tageszeit auffallende Menschenmenge versammelt; eine böse Ahnung stieg in ihr auf, sie beschleunigte ihre Schritte, sie fragte. was denn da vorgefallen sei, und unwirsch gab man der vornehmen jungen Frau die Antwort: „Verhaftet ist einer worden, soeben haben sie ihn fortgeholt aus dem Bett.“

Wer war der Verhaftete? Bertha bedurfte des Namens nicht, sie wußte ihn und es wankten ihr die Kniee. So rasch schritt das Verhängniß?

Im Hofe standen die Leute Kopf an Kopf, ein wilder Lärm herrschte. Männer schimpften, Weiber kreischten. „Das ist eine Gemeinheit,“ konnte man hören, „der Bergmann ist ein Ehrenmann! Weiß Gott, was dahinter steckt! Natürlich, nur keine Umstände machen, hinein ins Loch mit unsereinem – und nachmittag wieder heraus – was schadet’s dem Kerl!“

Bertha drängte sich durch und die Männer staunten über die kräftigen Rippenstöße einer vornehmen Dame. Was wollte die zu dieser Stunde hier? Einige Weiber erkannten sie und riefen ihr Lästerworte nach.

(Schluß folgt.)




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