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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Jahre ein Krankenhaus zu erbauen, die Schule zu erweitern, sowie einen Arzt für die Arbeiterschaft der Hütte anzustellen. Sie hat letzterem ein standesgemäßes Wohnhaus anzuweisen. Sie hat ferner das Alteleutehaus auszubauen und mit gesundheitsgemäßen Einrichtungen zu versehen. Ich habe das Vertrauen zu meiner Tochter, daß sie diesen meinen letzten Willen, den sie zugleich als den ihres Vaters zu betrachten hat, ehren und höher stellen wird als etwaige gegentheilige Wünsche von irgend einer Seite.

4) Wollte und könnte aber meine Tochter auf diese Bedingungen nicht eingehen, so ernenne ich, in Uebereinstimmung mit dem Willen meines seligen Mannes, an ihrer Stelle ihre Tochter, Leonie Jussnitz, derzeit drei Jahre alt – oder sollte meine Tochter Anna Clara Jussnitz später noch mehrere Kinder haben, diese ihre sämmtlichen Kinder zu Erben, mit dem Beding, daß, sind es nur Töchter, meine älteste Enkelin, Leonie Jussnitz, ausschließlich Besitzerin des Werkes bleibt, wenn aber Söhne vorhanden, der älteste Sohn die Hütte übernimmt. Der event. Besitzer hat die Geschwister baar auszuzahlen nach amtlicher Schätzung des Werthes des Werkes, es soll denselben aber auch unbenommen bleiben, das Kapital auf dem Gewerk stehen zu lassen, wo es ihnen mit vier vom Hundert verzinst werden soll.

Zum Administrator bis zur Mündigkeit des event. Besitzers ernenne ich in dem Falle, daß meine Tochter auf obige Bedingungen unter 1 bis 3 nicht eingeht, meinen Neffen, den Ingenieur Herrn Ferdinand Frey. Derselbe hat meiner Tochter jährlich 18000 (achtzehntausend) Mark, als zur Führung ihres Hausstandes nothwendig, in vierteljährlichen Raten auszuzahlen. Er selbst, Herr Ferdinand Frey, erhält 9000 (neuntausend) Mark für seine Mühwaltung. Er ist gehalten und hat sich zu verpflichten, alle andern Bedingungen so zu erfüllen, wie ich sie von meiner Tochter – falls diese meine Erbin würde – gefordert habe. Er hat den Ueberschuß an Gewinn zu Gunsten meiner Enkelin Leonie Jussnitz, bezhw. meiner Enkel oder Enkelinnen, in soliden Papieren oder in Grundbesitz anzulegen; er hat für Verbesserungen im Betriebe zu sorgen; er ist verpflichtet, Forderungen meiner Tochter oder ihres Ehemannes, die über die Summe von achtzehntausend Mark jährlich hinausgehen, aufs bestimmteste zurückzuweisen.

Ist der zur Besitzergreifung berechtigte meiner Enkel mündig geworden, so werden diese Anordnungen insofern hinfällig, als das Hüttenwerk sodann in seine Hände übergeht. Derjenige, der es übernimmt, hat, falls er gewillt ist, das Geschäft selbst zu leiten, dem bisherigen Administrator, Herrn Ferdinand Frey, eine Pension auf Lebenszeit von jährlich 4500 (viertausendfünfhundert) Mark zu zahlen.

5) Ich ernenne zu meinem Testamentsvollstrecker meinen Rechtsbeistand, Herrn Justizrath Klein, und mache demselben zur besondern Pflicht, die pünktliche Erfüllung aller meiner Anordnungen zu bewirken und meiner Tochter darin beizustehen, daß sie das schwere Amt und Erbe, das ich ihr hinterlasse, antritt und sich durch keine Hindernisse, von welcher Seite sie auch kommen, in der Befolgung des letzten Willens ihrer Eltern beirren läßt.

Insbesondere lege ich meinem Testamentsvollstrecker die Pflicht auf, darüber zu wachen, daß die alleinige Verfügung über das Erbtheil und über die Einkünfte meiner Tochter nur dieser zusteht, indem ich deren Ehemanne jedes Recht der Verwaltung von Kapital und Zinsen meines Nachlasses entzogen haben will.

Das gilt auch für den Fall, daß nicht meine Tochter, sondern deren Nachkommen meine Erben werden sollten.

6) Ich mache ferner meinen Erben und meinem Testamentsvollstrecker zur Pflicht, alle diejenigen Legate, welche ich zu Gunsten dritter Personen und zum Besten von Kirchen, Schulen und Armenanstalten bestimmt und in einem besonderen, von mir unterschriebenen Verzeichnisse aufgezählt habe, pünktlich auszufolgen.

7) Vorstehendes enthält meinen wohlüberlegten, letzten Willen, den ich eigenhändig niedergeschrieben und mit Unterschrift und Siegel versehen habe.

Ich bitte Gott, daß er alles zum Besten wenden möge. Er helfe, daß ich das Rechte erwählt habe!

So gegeben am 28. März 18 ..

Hütte ‚Gottessegen‘.
Clara Frey, geb. Hansen.“ 

In dem großen Zimmer herrschte eine wahrhafte Todtenstille, nachdem das letzte Wort verhallt war. Jussnitz hatte, die Arme verschränkt, während der ganzen Zeit zum Fenster hinausgesehen, als zähle er jeden Regentropfen, der an den Scheiben hinunterrieselte. Wer ihn sah, der konnte zweifeln, ob er überhaupt ein Wort von dem gehört habe, was hier soeben laut und deutlich gesprochen worden war.

Antje saß und schaute auf die gefalteten Hände in ihrem Schoß, eine Beute tiefster Seelenqualen. Ferdinand Frey ließ keinen Blick von ihr. Sein Gesicht hatte allmählich einen Ausdruck von Mitleid und Aerger angenommen, wie Menschen ihn zeigen, die ein Thier quälen sehen und nicht in der Lage sind, ihm zu helfen. Er war einst seiner Cousine sehr zugethan gewesen und war ihr auch noch heute aufrichtig ergeben, was lag ihm an all dem andern! Er war ein armer Kerl, aber was sollte ihm schließlich das Vertrauen helfen und das stattliche Gehalt, die neue Stellung? Er wußte, in diesen Mauern würde er doch nicht froh werden, denn die Erinnerungen schrieen ihm entgegen aus jedem Winkel.

„Sie haben natürlich einige Wochen Zeit zur Ueberlegung, gnädige Frau,“ begann Justizrath Klein nach einer Pause, „es ist ja alles in den besten Händen unterdessen.“

Antje erhob sich und ging zu dem Tisch hinüber, auf welchem das Testament lag. „Es bedarf keiner Ueberlegung, Herr Justizrath,“ sprach sie laut, indem sie ihre beiden schlanken Hände auf die schwarze Tuchdecke legte, „ich erkläre hiermit, daß ich das Erbe unter sämmtlichen Bedingungen, die meine Mutter vorschreibt, antrete. Ich werde meinen Wohnsitz von nun an hier haben und werde mich bemühen, meine Pflicht als oberste Leiterin des Anwesens so vollkommen zu erfüllen als irgend möglich. Ich glaube damit auch im Sinne des Herrn Jussnitz zu handeln.“

Wiederum eine Pause.

„Sechs Wochen,“ sagte der langjährige alte Rechtsbeistand des Hauses, „sechs Wochen Frist, gnädige Frau.“

„Ich bin fest entschlossen, die Bedingungen zu erfüllen, gewissenhaft zu erfüllen, die meine Mutter mir auferlegt hat,“ wiederholte sie ruhig, aber sehr bestimmt, „und ich wünsche Besitzerin von ‚Gottessegen‘ zu werden. Bitte, nehmen Sie das zu Protokoll noch in dieser Stunde.“ Und sich zu den Anwesenden wendend, fügte sie mit vor Thränen verschleierter Stimme hinzu: „Sie alle werden gewiß im Anfang Nachsicht haben mit mir, die ich vollständig unerfahren, nur mit meinem ehrlichen Willen, das Richtige zu thun, an die Stelle meiner Mutter trete.“

Und sie ging zu ihrem Vetter und reichte ihm die Hand. „Ferdinand, ich weiß, Du verstehst mich!“ Und sie drückte Herrn Kortmer die Rechte. „Nicht wahr, Sie helfen mir?“ Und sie bot dem Pfarrer die Stirn zum Kuß. „Auch Sie, nicht wahr, auch Sie helfen, Herr Pastor?“

Dann, wie von ihrer Bewegung übermannt, schritt sie an ihrem Mann vorüber und verließ das Zimmer.




Sie wußte im Augenblick keinen bessern Platz für sich als das kleine Arbeitszimmer der Eltern; sie war sicher, dort ungestört zu sein. Ueber das, was zunächst geschehen mußte, war sie sich nur in einem klar – Leo durfte nicht hier bleiben! Auge in Auge mit ihm zu unterhandeln, das brachte sie nicht über sich; es widerstrebte auch ihrem Zartgefühl, ihn durch den Notar bitten zu lassen, es möge ihr der Schmerz erspart werden, ihn zu sehen. Sie wollte ihm schreiben, aber sie fand die Worte nicht. Wie sollte man einem Mann schreiben, von dem man im Begriff ist, sich zu trennen? Sie legte die Feder wieder aus der Hand und schaute über den Platz, der in sonntägiger Ruhe dalag. Ach, nur ein Menschenherz, dem sie so recht vertrauen könnte, das ihr den Freundschaftsdienst erwiese, zwischen ihm und ihr die Botschaft zu vermitteln; ihm zu sagen, daß sie entschlossen, unwiderruflich entschlossen sei, ihn von der „Kette“ zu befreien, die ihn so drückte – Nur eines! Nur ein Menschenherz!

Sie richtete sich plötzlich empor und öffnete das Fenster. Doktor Maiberg kam da aus einem der Arbeiterhäuser. Sie rief nicht, sie sah ihm nur entgegen, er aber las wohl eine Bitte aus den traurigen Frauenaugen und trat dicht unter das Fenster. „Wünschen Sie etwas, gnädige Frau?“

„Wenn Sie einen Augenblick Zeit hätten, Herr Doktor!“

„Ich stehe sofort zu Diensten!“ Er erschien nach einigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_262.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)