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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Finger sich sanft auf seine Stirn legten, um zu prüfen, ob die schreckliche Hitze ihn wieder quäle.

Er lag wieder ruhig gleich einem Schlafenden; er hatte den Muth nicht, die Augen aufzuschlagen.

Sie ging von ihm fort an das Fenster. „Frau Dora,“ hörte er sie leise rufen, „wissen Sie nicht, wann der Herr Doktor zurückkehrt? Ich hab’ heute ganz vergessen, zu fragen.“

„Ei, der wird schon pünktlich sein; es wär’ das erste Mal, daß er nicht wie die Stunde selbst käme, Frau Jussnitz. S’ ist erst in acht Minuten Sieben. – Da ist er ja schon!“ rief sie dann.

„Gottlob!“ flüsterte Antje.

Dem Kranken auf seinem Lager drang dieses „Gottlob!“ plötzlich wie ein spitzes Eisen in die Wunde. Er fühlte, wie ihm das Blut zu Kopf stieg; das alte ärgerliche Gefühl packte ihn, wie es ihn früher ergriff, wenn Maiberg neben Antje saß. Abermals stöhnte er auf, und als er drunten die Begrüßung zwischen der Försterin und dem Freunde hörte und Antje sich auf den Zehen aus der Stube schlich zu seinem Empfang, da starrte er ihr bei ihrem Wiedereintritt entgegen mit finsteren Blicken.

Aber der Arzt sah doch gleich, daß das Bewußtsein wiedergekehrt war; er trat zum Bette und sagte laut und herzlich: „Ei, grüß Gott, Leo, da haben wir Dich ja! Na, es war auch die höchste Zeit, alter Freund.“

Antje stand am Fußende. Sie verharrte da wie aus Stein gemeißelt, den Kopf etwas in den Nacken zurückgebogen, mit einem müden traurigen Ausdruck im Gesichte.

„Wünschst Du augenblicklich etwas, Leo?“ fragte sie leise.

„Nein!“ antwortete er.

„Ich bin unten in der Stube des Försters, falls Du mich brauchst,“ sagte sie und ging hinaus.

„Maiberg, ist das Deine ganze Kunst, daß Du Leuten, die gern sterben wollen, das Leben ein wenig verlängerst?“ fragte Leo mit Anstrengung.

„Ein wenig? Ich hoffe – recht lange, wenn Du vernünftig bist, mein Alter.“

„Ich kann unter diesen Verhältnissen nicht leben.“

„Unter welchen?“

„Mein Gott, Du wirst ja wissen – – “

„Das heißt, ohne Deine Frau, Leo, kannst Du nicht leben!“

Des Kranken Antlitz ward dunkelroth. „Behandle mich nicht, als sei ich ein dummer Junge! Sie wird Dir doch getreulich geklagt haben, weshalb ich – den Revolver nahm –“

„Auf Ehre, Leo, ich verstehe kein Wort von dem, was Du redest.“

„Antje hätte Dir nichts erzählt?“

„Nein!“

Leo schloß die Augen und lag still. „Dann hast Du auf andere Weise erfahren, daß ich – –“

„Ich weiß buchstäblich nichts, nur gedacht habe ich mir mein Theil. Aber – rege Dich nicht auf.“

„Was hast Du gedacht?“ fragte Leo matt, „ich bitte Dich!“

„Deine thörichte Leidenschaft für Hilde –“

Ein leises verächtliches Lachen erscholl.

„Nicht, Leo? Sag’s ehrlich, – oder sag’s lieber nicht, es ist ja nicht mehr von Belang.“

„Man macht seinem Leben kein Ende einer Weiberlaune wegen, wenigstens ich nicht,“ sprach der Kranke. „Es muß schlimmer kommen, man muß erst alle seine Hoffnungen in Trümmern erblicken, ehe – – laß es Dir erzählen von ihr, von Antje.“

„Wenn sie mir das hätte anvertrauen wollen, hätte sie es längst gethan. Ich will Dir einen Rath geben – schlafe!“

„Gieb Du mir lieber das Versprechen, mich wieder auf die Beine zu bringen, mich leidlich gesund zu machen, so etwa, daß ich Holz hacken kann oder dergleichen. Betteln gehen, das ist nicht eben jedermanns Sache, und zu weiter langt’s nicht mehr.“

„Du wirst ganz gesund werden, wenn Du vernünftig bist.“

„Bestelle, bitte, meiner Frau, daß sie sich nicht mehr um mich bemüht; sie versäumt Wichtigeres darüber.“

„Mensch, bist Du denn noch immer in Deiner alten gräßlichen Verblendung über diese Frau?“ wollte Maiberg rufen, aber er unterdrückte es, Leo war noch zu krank. Er zuckte nur die Schultern und trat ans Fenster; er ärgerte sich, daß er so schon erregter gesprochen hatte, als gut war.

Drunten ging der Werkführer mit Antje im Gespräch langsam auf und ab. Der alte Herr kam gewissenhaft einen um den andern Tag herausgefahren, Bericht zu erstatten über den Gang der Geschäfte. Sie saßen dann, das blecherne Schreibzeug des Försters zwischen sich, an dem mit Wachstuch bezogenen Tische in dem WohnstÜbchen unten und „regierten“, wie der alte Herr es nannte.

Heute setzten sie dies auch beim Umherwandern fort. Der Werkführer schien sehr eifrig, er blieb mitunter stehen und begleitete seine Rede mit lebhaften Gebärden; sie hatte den Kopf gesenkt und hörte zu, und wenn sie sprach, waren es nur wenige Worte.

Maiberg wandte sich um. „Schlafe,“ sagte er noch einmal zu Leo, „grübele nicht; ich habe noch unten zu thun.“

Der Kranke blieb stumm, aber er lächelte bitter. Er konnte dann die Stimme des Freundes draußen hören und einen hellen Schrei, den Dora ausstieß; er klang wie Jubel. Eine Minute später huschte sie in die Stube.

„Ach, ich wollte ja nur sagen, wie ich mich freue, daß Sie wieder bei Verstande sind,“ flüsterte sie. „Himmlischer Vater, es wäre doch ein Elend gewesen, hätten Sie sterben müssen, grad’ jetzt, wo alles so grün wird und soviel Gutes in der Welt ist. Herr Jussnitz, wie konnten Sie nur – – Große Güte, hätten Sie den Jammer gesehen von Ihrer Frau, das Herz hätt’ sich Ihnen im Leibe umdrehen müssen! Geklagt und geweint hat sie ja nicht, aber die Hände hat sie gefaltet, als sie vor das Bett trat und Sie so jammervoll daliegen fand, und ausgesehen hat sie wie die Maria in der Oberroder Kirche unter dem Gekreuzigten – grade so, und Tag und Nacht ist sie auf den Füßen gewesen. Aber sehen Sie, so was thut man auch nur aus purer wahrhaftiger Treue, Herr Jussnitz.“

„Schweigen Sie!“ unterbrach er barsch den Redestrom der Frau.

Sie sah ihn erschreckt an, blieb noch ein Weilchen stehen und schlich dann still aus der Kammer. „Er ist eben doch noch nicht gesund,“ dachte sie, indem sie die Treppe hinunterstieg.

Und der Kranke lag allein. Die Dunkelheit brach allmählich herein und vom Walde her wehte es kühl über seine heiße Stirn. Zuweilen unterbrach ein kurzer Hundeblaff die Stille oder das Rasseln der Kette, mit der die Kuh im Stall festgemacht war; sonst schien das Häuschen wie ausgestorben.

Sie mochten wohl dort unten im Stübchen sitzen und miteinander sprechen, oder Antje war mit Maiberg ein Stück dem Walde zugegangen in der lauen berückenden Frühlingsluft. Er sah sie plötzlich vor seinem geistigen Auge; dicht nebeneinander gingen sie schweigend dahin, die beiden Gestalten, was gab es auch zu sprechen? Jetzt nichts – noch lange nichts – noch athmete er ja. Und plötzlich packte ihn ein zorniges Verlangen, zu sehen, was diese Frau eben jetzt that, die Frau, die leiden konnte wie eine Maria und – und doch so stolz handelte wie eine Königin.

Was wollte sie noch von ihm? Warum ließ sie den Elenden nicht liegen, wo er lag? Er wollte kein Mitleid, er wollte keinen Edelmuth, er haßte sie in dieser Minute ebenso wie früher, da er sie seine Kette genannt hatte.

Horch, knarrte da nicht die Treppe? Leise schlich es herzu und trat in die Thür. Sie war es; in der einen Hand trug sie die Nachtlampe, sie sorgsam mit der andern schützend, damit kein blendender Strahl sein Auge treffe. Nun ging sie an die Kommode, stellte die Lampe so, daß der Schatten des Lichtschirmes auf sein Bett fiel, kam dann herüber und bog sich über ihn, den sie schlafend glaubte. Einen Augenblick verharrte sie so, dann schloß sie die Fenster bis auf eine der kleinen oberen Scheiben, setzte sich schließlich an den spärlichen Lichtschimmer zur Kommode, holte ein Notizbuch hervor und begann zu schreiben.

Er konnte sie deutlich beabachten, und er that es mit einem nie gekannten Verlangen, etwas in ihrem Gebahren zu entdecken, das ihn kränken müsse, das ihm das Recht gebe, sie hinauszuweisen. Mitunter schaute sie auf und strich sich über die Stirn und ihre Augen hatten einen bangen sorgenden Ausdruck, dann rechnete sie weiter. Ein paarmal seufzte sie tief auf; endlich legte sie den Bleistift zur Seite und zog behutsam und leise die Strohmatratze hinter dem kleinen Ofen hervor, breitete sie vor seinem Bette aus, holte von einem Stuhl Decken und Kissen und schickte sich an, ihre Krankenwacht zu halten.

Er richtete sich nach einem Weilchen auf und blickte zu ihr hinunter, die Müdigkeit hatte sie wohl überwältigt, sie schlief scheinbar ruhig und fest. Er blieb schlaflos, sie immer wieder ansehend, bis zum grauenden Morgen; endlich übermannte auch ihn die Mattigkeit.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_320.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2023)