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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ganze Nachmittage im Walde umher und kam erst gegen Abend zurück, mit glühenden Wangen, einen halb verwelkten Strauß an der Brust und beide Hände voll Blumen, die sie dann stumm vor Antje auf den Nähtisch legte. Und die junge Frau stellte die Blüthen in frisches Wasser, aber sie trug sie in ein anderes Zimmer, wo sie dieselben nicht zu sehen brauchte. Es war ihr immer, als müsse sie die Blumen fragen: „War sie allein, als ihr gebrochen wurdet, oder half Er euch pflücken?“

Der Doktor beobachtete den Verkehr der beiden scheinbar gar nicht, und gegen Hilde hatte er ungefähr einen Ton angenommen, als sei er ihr Vater, halb zärtlich, halb ärgerlich, mehr zu Tadel geneigt als zu Lob.

So saßen beide Damen auch einmal wieder, am letzten Mai war es, im Gartensaal; Hilde mit einem Buch in der Hand, aus dem sie vorlas. Antje hatte sie darum gebeten, um das Qualvolle einer Unterhaltung aus dem Wege zu räumen, denn sie fühlte, wie Hilde heute nach einer Unterredung mit ihr drängte, und sie wollte nicht mit ihr reden – wozu auch? Die Kleine spielte unweit der Veranda auf dem sonnigen Kiesplatz unter Obhut der Classen; Antje hielt die Arbeit müßig im Schoß und hörte kein Wort von dem, was Hilde las. Es war „L'Arrabbiata“ von Paul Heyse.

Das junge Mädchen hatte einen Augenblick innegehalten. Antje, dadurch aus ihren Gedanken aufgeschreckt, wandte wie fragend den Kopf nach ihr, und Hilde las weiter:

„Von meinem Vater wußt’ es auch niemand, wie er zu meiner Mutter war, denn sie wäre eher tausendmal gestorben, als es einem sagen und klagen! Und das alles, weil sie ihn liebte. Wenn es so um die Liehe ist, daß sie einem die Lippen schließt, wo man Hilfe schreien sollte, und einen wehrlos macht gegen Aergeres, als der ärgste Feind einem anthun könnte, so will ich nie mein Herz an einen Mann hängen.“

Sie ließ das Buch sinken und blickte Antje an, furchtsam, mit scheuen bittenden Blicken. Die junge Frau machte sich hastig etwas mit ihrer Arbeit zu thun, dann legte sie dieselbe fort, erhob sich und ging, ihren Schirm aus ungebleichter Leinwand aufspannend, durch den sonnigen Garten ein Stückchen am Fluß hinauf. Dort öffnete sie, an der Mauer angelangt, eine kleine in den Wald führende Pforte und begann langsam den Weg emporzuwandern, der steil an dem mit herrlichen Buchen bestandenen Berge hinaufführte. Es ist etwas Köstliches, ein solcher Waldpfad im Frühjahr. Wie unter einem lichtgrünen durchsichtigen Baldachin, durch den neckende Goldfunken blitzten, schritt sie dahin, schwellendes Moos zu beiden Seiten, junge Farrenkräuter und blaue Blüthen. Und überall rauschte es und tropfte es und rieselte krystallkar über den Pfad dem Thale zu, kleine winzige Bächlein. Im Dickicht verschwand langsam ein Reh, so langsam, als wisse es, daß in dieser wonnigen Frühlingszeit kein Jäger ihm auflauere; sein Kitzlein äugte verwundert nach der Menschengestalt hinüber und sprang der Mutter nach. Aus den Wipfeln klang das Locken der Finken; es war so still und so jubelvoll zugleich in der Natur, so sehnsüchtig und doch so friedlich, es war wie eine Predigt von der ewigen Jugend und Seligkeit, wie ein Lied von Glück und Liebe.

Antje empfand das alles, sie sah alles, aber es that ihr weh. Sie hatte wieder nur den einen Gedanken: Was wird er thun – wie soll es enden? Wie könnte man ihm helfen, ohne ihn zu demüthigen? Sie fühlte sich heute körperlich angegriffen und muthlos dazu. Sie fragte sich, wie es ihr armes Herz ertragen sollte, so weiter zu leben. Und das Schwerste kam ja erst noch. Wie sehr sie litt, verriethen freilich nur ihre blassen Wangen und die trüben Augen.

Was las doch Hilde eben? „Die Liebe verschließt den Mund, wo man Hilfe schreien sollte!“ Ja, lieber Gott, wer hätte ihr denn auch helfen sollen? Sie wußte keine Seele auf der ganzen Welt; die einzige, die sie gehabt, war ja gestorben.

Sie war langsam höher gestiegen. Nun bog sie von dem Wege ab und ging auf schmalem Pfade durch junges Unterholz; die Büsche schlugen hinter ihr zusammen und trennten sie, ein durchsichtiger grüner Vorhang, von dem Wege, den sie eben verlassen hatte. Sie kannte und liebte das Plätzchen, auf dem sie jetzt stand. Ein paar Baumstümpfe waren durch übergelegte Bretter zu einer Bank geschaffen, dicht unter einer mächtigen Buche. Durch einen Aushau in den Bäumen konnte man just hinuntersehen auf das Herrenhaus und den Garten. Obgleich schon ziemlich hoch stehend, erkannte Antje doch deutlich die kleine weiße Gestalt ihres Töchterchens, das mit seinem winzigen Gartengeräth neben der strickenden Wärterin spielte.

Wie schön das gewesen wäre, wenn man hier so zu Zweien hätte sitzen können, um das traute Heim anzuschauen!

Sie lehnte den Kopf gegen den Buchenstamm. Am liebsten hätte sie geweint, so recht inbrünstig geweint, aber es war, als habe sie keine Thräne mehr. – So saß sie lange, bis dicht neben ihr auf dem Wege ein leichter Tritt erklang; durch die Gezweige schimmerte ein helles Kleid, und die junge Frau sah gleich darauf etwas weiter oben Hilde, die, den Gartenhut in der Hand schwenkend, dahin ging. Dann blieb sie stehen, und in Antjes Ohr klang eine ihr wohlbekannte Stimme, die gutmüthig vorwurfsvoll sagte: „Ei, ei, welche Unpünktlichkeit, Hilde! Das mußt Du Dir abgewöhnen.“

Dann ein Kuß und – Maiberg – ja Maiberg war es! – fügte hinzu: „Immer der Erzieher, meine arme Kleine, und nie der nachsichtige Liebhaber! – Wirst Du das ertragen, Hilde?“

Und das Mädchen war eine Weile still und sagte dann klar und innig: „Ich bin so dankbar, daß ich Dich habe! Ich könnte mir gar keinen andern als Bräutigam denken, Wolf, als eben nur Dich.“

Antjes Augen hatten sich fast unnatürlich erweitert, der letzte Rest von Farbe war aus ihrem Gesichte gewichen. Mit schwankendem Schritt ging sie weiter, immer weiter in die grüne Wirrniß hinein, und erst als der Schall jener Stimmen sie nicht mehr erreichte, stand sie still, schlang den Arm gleichsam hilfesuchend um eine Birke und schaute wie abwesend über die Chaussee hinweg, an deren Rande sie, ohne es zu wollen, angelangt war.

Wie war es möglich! Wie war es nur möglich!

Ein paar Holzknechte, die des Weges daherkamen, rückten ihre Mützen – sie sah es nicht. Nach einer Weile erst kam Leben in ihre Gestalt; sie trat auf die Chaussee hinaus und schritt nun eilig in der Richtung nach der Försterei fort. Sie mußte verhindern, daß Leo jetzt von dieser Thatsache erfuhr, er durfte nicht auch noch das Letzte, Schwerste erleben, jetzt, wo er noch nicht ganz gesundet war, wo er kaum begann, sich aufzuraffen; es mußte ihn ja völlig wieder niederwerfen, ihn abermals zum Schlimmsten treiben. Großer Gott!

Sie wollte die Rückkehr Maibergs in Frau Doras Stübchen abwarten, wollte ihn bitten, zu schweigen, bis Leo ganz gesund wäre. –

Rasches angestrengtes Gehen brachte sie nach dreiviertel Stunden schon an das Forsthaus. Die knorrige Eiche davor hatte all ihre Blätter entfaltet unter den Strahlen der heißen Sonne und die Försterin hatte Wäsche aufgehängt. Leos Giebelfensterchen stand weit geöffnet, seine bunten Schlafdecken, die Teppiche, die Antje ihm hinaufgeschickt hatte, lagen auf der Brüstung zum Auslüften. Vor der Hausthür auf dem Sandsteintritt streckten sich die Hunde im warmen Sonnenschein, und auf der Schwelle des Hauses saß Frau Dorchen, ihre rothhaarige Lola im Schoß, und sprach in zärtlich bedauerlichem Tone mit dem Thier.

Antje bot ihr „guten Tag!“ Die Frau schaute auf; sie hatte verweinte Augen. „Herr Du mein!“ rief sie, ohne sich zu erheben, „Sie sehen aus wie ein Geist, Frau Jussnitz! Wären Sie nur früher gekommen, vor einer halben Stunde ist Herr Jussnitz hinunter! Lieber Himmel – – es war, als wenn uns ein Verwandter fortginge, man hat ja auch so Schweres mit ihm durchgemacht.“

„Er ist fort?“ fragte die junge Frau und ihr Antlitz ward noch um einen Schritt bleicher.

Dorchen nickte. Antje aber ging an der hübschen Frau vorüber, welche die Wunden Lolas vom letzten Fuchsgraben her mit Thee auswusch, und stieg die Treppe hinauf zu dem Krankenstübchen; sie war unfähig, vor der Frau ihre Sorge zu verbergen.

Der Raum zeigte alle Spuren der Abreise seines Bewohners; leer, dürftig, kahl sah er aus, die Kommodenschübe geöffnet, ein unbeschriebener Briefbogen auf dem Tische, welke Blumen in den Vasen, ein halbgeleertes Weinglas. –

Sie setzte sich wie erschöpft auf das Bett und betrachtete die Unordnung, als könne sie aus diesen armseligen Ueberbleibseln herauslesen, was ihn fortgetrieben hatte. Aber sie wußte es ja nun, Hildens Untreue war es, Hildens Untreue! „Großer Gott, gieb,

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