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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Die Gräber unsrer großen Musiker in Wien.

Von La Mara.


Die großen Tonmeister, die in Wien lebten und starben, fanden ursprünglich in den Friedhöfen der Vororte, welche die alte Kaiserstadt umgeben und nun mit ihr vereint das neue Groß-Wien bilden werden, ihre letzte Ruhestätte. Gluck, der Reformator der Oper, wurde im Matzleinsdorfer katholischen Friedhof, Haydn, der Begründer der modernen Instrumentalmusik, im Hundsthurmer, Mozart, der Beherrscher des Opernreichs, im St. Marxer, Beethoven, der Vollender der klassischen Kunst, gleich Franz Schubert, dem romantischen Meister des Liedes, im Währinger Friedhof in die kühle Erde gebettet. Dort ruhten sie Jahrzehnt um Jahrzehnt in ungestörtem Schlummer. Erst die Entstehung des Centralfriedhofs, der sich als ungeheure Todtenstadt eine Stunde entfernt von den Thoren der Lebendigen hinzieht und Ersatz für die allmählich in Wegfall kommenden alten kleinen Friedhöfe gewähren soll, legte den Gedanken nahe, die Reste der großen Tonkünstler, die zu den ruhmreichsten der entschlafenen Söhne Wiens gehören, dahin zu übertragen, damit sie in den Ehrengräbern, die man für sie bereit hielt, beisammen lägen, eine Größe neben der andern.

Nicht vollzählig mehr konnte man sie freilich hier versammeln. Auf Haydns Asche hatten die Fürsten Esterhazy, denen er dreißig Jahre lang als Kapellmeister treue Dienste geleistet, Anspruch erhoben. Sie war im Jahre 1820, elf Jahre nach des Künstlers Tode, nach Eisenstadt in Ungarn übergeführt worden. Und Mozarts Asche, wer wußte sie zu finden? Hat es doch ein wunderlich Schicksal gefügt, daß niemand mit Bestimmtheit die Stätte kennt, da der Schöpfer des „Don Juan“ den letzten Schlaf schläft! Als Mozart starb und sich bei Tausenden von Schulden nur sechzig Gulden in seinem Nachlaß vorfanden, sparte van Swieten, der Freund, welcher der erkrankten Witwe seinen Beistand lieh, den Luxus eines eigenen Grabes: eine Massengruft, die fünfzehn bis zwanzig Särge zu bergen pflegt, nahm die sterbliche Hülle des unsterblichen Meisters auf. Mit einem Kondukt dritter Klasse beerdigte man sie und zahlte dafür 8 Gulden 36 Kreuzer, dazu noch 3 Gulden für den Todtenwagen. Mutterseelenallein ging der große Mozart den letzten Gang. Kein Freund geleitete ihn, als man ihn vor nun fast hundert Jahren, am Nachmittag des 6. Dezember 1791, unter Regen und Schneesturm hinaustrug auf den fernen St. Marxer Friedhof. Einige wenige, die, wie Salieri, van Swieten, Süßmayr – der Vollender des „Requiems“ – und andere, der Einsegnung in der Stefanskirche beigewohnt hatten, kehrten des Unwetters wegen an der Kirche oder am Stubenthor um. Als die Witwe nach ihrer Wiedergenesung das Grab besuchen wollte, vermochte ein mittlerweile neu eingetretener Todtengräber ihr die Stelle nicht mehr anzugeben. Sie war und blieb bis auf den heutigen Tag unbekannt.

Im Widerspruch mit dieser als feststehend geltenden Thatsache befindet sich die neuerliche Mittheilung eines vielgelesenen Wiener Blattes, derzufolge der Todtengräber von St. Marx, ein Verehrer Mozarts, der diesen begrub und nach gethaner Arbeit, wie es heißt, die Grabstelle in seinem Kalender verzeichnete, zehn Jahre später bei Ausschachtung des Massengrabes den Schädel des Meisters, als letzten in der Reihe der darin Geborgenen, an sich genommen und als Reliquie aufbewahrt haben soll. Sein Amtsnachfolger schenkte den Schädel samt Kalender, so heißt es weiter, nachmals dem Kupferstecher Hyrtl in Wien, von dem ihn sein Bruder, der berühmte Anatom Hofrath Professor Hyrtl, erbte, während der dazu gehörige Kalender leider verloren ging und im Nachlaß vergebens gesucht wurde. In Hyrtls Hause in Perchtoldsdorf bei Wien befindet sich gegenwärtig der fragliche Schädel, und der Besitzer, welcher denselben der Stadt Salzburg testamentarisch vermacht hat, zweifelt nicht an der Echtheit desselben, wie er d. Verf. in einem Briefe vom 14. Februar dieses Jahres bestätigte. Laut letzterem brachte jenes Wiener Blatt ganz wortgetreu alles, was Professor Hyrtl von seinem Bruder über den Mozartschädel weiß.

Es ist aber leider – die Autorität des berühmten Gelehrten in gebührenden Ehren! – mit dem, was, wie oben erwähnt, als feststehende Thatsache gilt, nicht in Einklang zu bringen. Denn wenn der Todtengräber von St. Marx wirklich zehn Jahre und länger nach Mozarts Tode noch seines Amtes waltete und dessen Grabstelle genau zu bezeichnen imstande war, wie hätte diese dann, den emsigen Nachforschungen der Witwe des Künstlers, ihres nachmaligen Gatten Nissen und anderer zum Trotz, unbekannt sein und bleiben können? Und wenn der Kalender des Todtengräbers mit Angabe der Grabstätte durch lange Jahre im Besitz des Kupferstechers Hyrtl war, warum hätte sich dieser, während man sich in Wien zu verschiedenen Zeiten, wie in den Jahren 1808, 1841, 1842, 1855 öffentlich aufs angelegentlichste mit der Auffindung von Mozarts Grabe beschäftigte,[1] in ein mit der Pietät für Mozart schwer vereinbares, undurchdringliches Schweigen gehüllt, da dieser Kalender doch allen Kombinationen und Aussagen dritter Personen ein rasches Ende bereiten konnte?

Auf Veranlassung d. Verf. wurden durch gütige Vermittelung des Direktors des Wiener Stadtarchivs, Regierungsrath Weiß, neuerdings umfängliche Nachforschungen angestellt, um den Nachweis zu erbringen, ob der Todtengräber von St. Marx, welcher bei der Beerdigung Mozarts am 6. Dezember 1791 sein Amt versah, thatsächlich (wie Otto Jahn in seiner ausgezeichneten Mozartbiographie und andere anführen) bald darauf durch einen neuen ersetzt wurde, oder ob vielmehr (der Lesart des betreffenden Blattes entsprechend) der damals thätige Todtengräber zehn Jahre danach, also bei Ausschachtung des Massengrabes, und länger noch im Amte war. Leider geben weder die Bücher und Akten der Magistratsregistratur, noch die des Kirchenmeisteramtes von St. Stefan und die Kanzlei des St. Marxer Friedhofs eine Antwort auf diese Frage. Nicht einmal der Name des betreffenden Todtengräbers war daselbst in Erfahrung zu bringen. Dagegen enthalten die Akten des Stadtarchivs über die Säkularfeier der Geburt Mozarts im Jahre 1856 das nachstehende wichtige Protokoll, das vom Magistrat am 25. November 1855 aufgenommen wurde.

Ludwig Rothmayr, Todtengräber am Matzleinsdorfer Friedhofe, giebt an:

Ich wurde im J. 1804 am St. Marxer Friedhofe geboren, woselbst mein Vater Josef Rothmayr Todtengräber war, der im J. 1809 gestorben ist. Ich verblieb daselbst bis zum J. 1828, während welcher Zeit mein Stiefvater Löffler Todtengräber war, und kam dann als selbständiger auf den Hundsthurmer Friedhof.
Von dem Grabe Mozarts habe ich nie etwas Bestimmtes gehört; jedoch kann ich mit Gewißheit behaupten, daß das Friedhofskreuz und die Todtengräberswohnung nie verändert wurden. Die Manipulation mit den allgemeinen Gräbern war von jeher dieselbe.
L. Rothmayr m. p. 

Wann sein Vater auf dem St. Marxer Friedhof angestellt wurde, wußte Rothmayr leider nicht anzugeben. Vierundzwanzig Jahre aber verlebte er, dieser seiner Aussage zufolge, während der Amtsführung seines Vaters und Stiefvaters auf dem St. Marxer Friedhof. Konnte ihm da der nach den erwähnten Mittheilungen angeblich in den Jahren 1801 oder 1802 ausgegrabene Schädel Mozarts, der, wie es heißt, von dem Todtengräber und dessen Nachfolger viele Jahre als „Reliquie“ aufbewahrt wurde, verborgen bleiben, zumal der Kupferstecher Hyrtl, wie er erzählte, bei einem zufälligen, durch ein herbstliches Unwetter herbeigeführten Eintritt in die Todtengräberwohnung dieser Reliquie doch sofort ansichtig wurde? Mußte ferner der Sohn des Todtengräbers nicht auch von der im Hause befindlichen wichtigen Kalendernotiz Kenntniß haben, wenn man dem fremden Gast Hyrtl so bereitwillig Mittheilung davon gemacht haben soll? Genug, an den Thatsachen gemessen, erscheint die


  1. Siehe „Vaterländische Blätter“, Wien, 1808; „Wiener Theaterzeitung“ vom 24. Nov. 1841; „Wiener Zeitung“ vom 6. Dez. 1841; „Wanderer“ vom 27. Jänner 1842; Gräffers „Kleine Wiener Memoiren“ I. Serie, S. 227 (Aloys Fuchs); „Illustr. Familienbuch“, 1852; Ritter v. Lucam, „Die Grabesfrage Mozarts“. Wien, 1856.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 380. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_380.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)