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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 24.   1891.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt.Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf. In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf. In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Lea und Rahel.

Roman von Ida Boy-Ed.

(7. Fortsetzung.)


8.

Wortlos saßen Raimar und Lüdinghausen nebeneinander. Es wurde Raimar zwar etwas schwer, seine Lebhaftigkeit zu unterdrücken, aber er sagte sich, daß die Aussprache ja erfolgen werde und müsse und daß es taktvoller sei, keine Fragen an Lüdinghausen zu richten.

Man fuhr eine kleine Stunde von Römpkerhof nach Kohlhütte. Eine Stunde Schweigsamkeit für einen Mann wie Raimar – es war in der That eine schwierige Fahrt.

„Donnerwetter,“ dachte er, „hat der Mann ein unheimliches Talent zum Schweigen!“

Als man endlich vor dem langgestreckten, einstöckigen Gutshause hielt, war er ordentlich glücklich. Er konnte sich zunächst Luft machen durch lautes Schelten, denn nirgends brannte Licht, man mußte warten, ehe überhaupt jemand kam.

Seine alte Christel gab ihm, als sie dann erschien, die Schelte gründlich zurück: wenn er anstatt, wie man habe erwarten müssen, spät nachts, schon um halb zehn Uhr nach Hause komme, sei es natürlich dunkel, denn den ganzen Abend unnütz die Räume zu beleuchten, sei Gott sei Dank nicht ihre Angewohnheit; er freilich halte bekanntermaßen nie auf Ordnung und Sparsamkeit.

Sie trug in der Hand eine Dielenlampe mit einem Blechblender, so daß ihr rothes, derbes Gesicht im Schatten blieb. Eine weiße Haubenkrause rahmte ihre Züge ein, eine große weiße Schürze deckte ihr graues Gewand. Christel war von hoher, breiter Gestalt, und ihren derbstapfenden Schritten, mit welchen sie den Herren voranging, merkte man keine Altersschwäche an.

Während sie in Raimars Wohnzimmer, wo es stark und schlecht nach kaltem Cigarrendampf roch, die Lampe anzündete, fragte sie mit der größten Unbefangenheit:

„Was ist denn los, daß Sie schon wiederkommen? Und noch dazu mit einem andern Wagen?“

Ihr Ton war strafend. Sie war es seit fünfzig Jahren gewöhnt, für Raimar zu sorgen, und sah in ihm noch immer ein erziehungsbedürftiges Wesen.

Sicherlich würde er morgen jedes Wort, das gefallen war, mit Christel durchsprechen. Aber in Lüdinghausens Gegenwart war das nicht gut möglich, obendrein wußte er ja den Zusammenhang selbst noch nicht. Raimar hatte in seinen vier Wänden recht wenig zu sagen, er war der Sklave seiner alten Dienstboten. Er fürchtete, Christel zu erzürnen, weil er auf ihre Fragen keine Antwort geben konnte, und bat schmeichelnd um heißes Wasser. Und dabei gab er ihr heimlich einen kleinen Knuff, womit er ihr andeuten wollte: „Sei doch still in Gegenwart des Landraths!“

Christel ging übellaunig


Elisabeth Leisinger als Frau Fluth in den „Lustigen Weibern von Windsor“.
Nach einer Photographie von J. C. Schaarwächter in Berlin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_389.jpg&oldid=- (Version vom 24.8.2023)