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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

im Grunde sehr glücklich, daß man sie gezwungen hatte, denn sie wünschte brennend seit Jahren, Kohlhütte einmal betreten zu dürfen.

Raimar mußte nun einen Eilbrief an Römpker verfassen und diesen bitten, die etwaige Weihnachtskiste für die Damen jedenfalls nach Kohlhütte zu senden. Dabei kam er sich wie ein ungemein schlauer Ränkeschmied vor.

Hatte er ja doch außerdem gegen Rahel geäußert: „Wir werden natürlich unter uns sein“, was diese in der Annahme bestärkte, Lüdinghausen werde zu seinem Vater reisen. Daß Raimar aber in den Begriff „unter uns“ Lüdinghausen gerade mit einbezug, davon hatte das Mädchen natürlich keine Ahnung.




12.

Daß von einem Tannenbaum auf Kohlhütte nicht die Rede sein konnte, verstand sich von selbst. Raimar dachte wohl daran, aber er wagte nicht, davon zu sprechen. Christel würde doch bloß sagen: „Für solchen Kinderkram sind wir zu alt.“ Er selbst hatte keine Vorstellung davon, wie man so ein Ding herrichtet, sonst hätte er es allein versucht. Für Christel bestand jegliche Festvorbereitung, mochte das Fest nun heißen, wie es wollte, ausschließlich in bedeutenden Kuchenleistungen. Und weil im Winter die Menschen mehr essen können als im Sommer, wurden an Weihnachten noch einmal so viel Kuchen gebacken und Gerichte gekocht als zu Pfingsten. Die sonst etwas geizige Christel sah es über die Weihnachtszeit als das Recht aller ihr unterstellten Dienstboten an, von morgens bis abends zu schmausen.

Daneben hielt Christel darauf, daß von ihrer eigenen Person an bis herab zum Kuhjungen jeder Einwohner von Kohlhütte in den Festtagen einmal zur Kirche ging. Hierüber stellte sie förmlich einen Plan fest, damit die Arbeit nicht gestört werde und doch jeder zum Kirchenbesuch Zeit finde.

Von Poesie war demnach keine Rede bei dem Heiligen Abend auf Kohlhütte. Ebensowenig kannte man dort einen Aufbau von Geschenken; Raimar als Junggeselle verstand sich nicht auf Frauenzimmerbedürfnisse, und so bekamen alle Dienstboten zu ihren Kuchen und Nüssen, Aepfeln und Feigen Geld. Reichlich und doch so kahl war diese Art von Bescherung.

Nun hatte Raimar den herzlichen Willen gehabt, diesen Abend die arme Rahel nicht im öden Elternhaus zu lassen. Zudem versprach er sich Großes davon, wenn er sie mit Lüdinghausens Anwesenheit überrasche. Aber als jetzt bestimmt war, daß sein Plan sich verwirklichen solle, war er in großer Verlegenheit. Er mußte doch für seine Gäste ein wenig Weihnachtszauber herbeischaffen.

Sonst ließ er sich aus Berlin zum Fest jedes Mal drei „Aufmerksamkeiten“ für die Damen kommen und überreichte sie bei Römpkers unter dem Tannenbaum. Ein alter Freund in Berlin besorgte ihm das, und dieser wählte blindlings die immer kostbaren, indessen häufig recht thörichten Gegenstände.

Das ging doch diesmal nicht. Der Gaben mußten mehr sein, und er hatte für Dinge zu sorgen, die gerade für Rahel paßten. So eine ordentliche kleine Bescherung sollte es werden, wie ein Vater sie der Tochter giebt, denn Raimar sah sich durchaus als „Pflegevater“ an.

Bei Christel fand er keinen Rath, sondern nur Unwillen. Sie hatte es gleich gesagt, daß es ein Unsinn sei und daß Damen bei solcher Gelegenheit nicht hierher paßten, weil man sich nicht auf solche Geschichten verstehe.

Endlich fuhr er in die Stadt und klagte Lüdinghausen sein Leid.

Erasmus Lüdinghausen hatte keine Schwester gehabt und in seinem Leben wenig mit Frauen verkehrt. Aber er erinnerte sich gut der Weihnachtsgabentische für seine Mutter. Ohne weiteres glaubte er, daß man Rahel ganz die gleichen Sachen schenken könne. Jedenfalls fühlte er sich viel verständiger in diesen Fragen als Raimar, und da er ohnehin – wie er betonte – in diesen Tagen noch nach Berlin reisen wolle, bot er sich an, alles zu besorgen. Daß er sich plötzlich zu der Reise entschloß, nur um das wehmüthige Glück zu haben, etwas Freundliches für „sie“ zu thun, ließ er natürlich nicht merken.

Und so fuhr Lüdinghausen denn am Nachmittag des Festabends mit einer großen Kiste auf seinem Schlitten bei Raimar an.

Dieser empfing ihn mit knabenhafter Freude. Eine Sendung, welche der Postbote vormittags gebracht, hatte sein unbändigstes Vergnügen erregt. Es waren Blumen, lauter wunderbare frische Blumen, und dabei die Karte von Lüdinghausen, der diese kostbare Blüthenspende als Festgruß an seinen Freund Raimar schickte.

Christel hatte es einfach „verrückt“ gefunden, so viel Geld für „so was“ auszugeben.

Raimar schüttelte sich vor Lachen. „Als ob ich eine junge Dame wäre, Lüdinghausen, und Sie in mich verliebt!“ sagte er.

Der Landrath wurde etwas befangen.

„Ich meine, einmal bemerkt zu haben, daß es Sie freut, Ihre Tafel geschmückt zu sehen, und besonders heute abend …“

Raimar schlug ihm auf die Schulter.

„Verstehe, verstehe,“ rief er. „Und nun packen wir aus und bauen auf!“

Da erwies es sich aber, daß die beiden Männer recht hilflos waren. Als sich ein ganzer Berg eingewickelter Gegenstände auf der braunen Tischdecke im Wohnzimmer häufte, meinte Lüdinghausen, es sehe sehr häßlich aus. Bei seiner Mutter habe alles auf weißem Damasttuch gelegen und sei fein säuberlich ausgebreitet gewesen.

So schwierig hatten sie sich beide die Geschichte nicht vorgestellt.

Und während sie erregt und ungeschickt hantierten, ward ihnen beiden so eigen und so weich ums Herz.

Sie fühlten, daß da im Haus etwas fehle, ein lebensvoller Zauber, eine Anmuth, die Wärme bringt. Es schien ihnen dunkel und unwirthlich. Der Kuchenduft – wenn’s gleich Duft und kein Dunst war – so gasthausmäßig! Niemand lachte geheimnißvoll, keiner horchte und lauschte. Da waren keine neugierigen Augen, vor denen es etwas zu verbergen gab.

Auf dem Schreibtisch in der Stube, wo sie kramten, stand eine Reihe weiß eingewickelter Geldrollen in abgestufter Reihenfolge, der Größe nach geordnet. Sonst sah es aus wie alle Tage, nur auf dem Sofatisch und den Lehnsesseln daneben war ein greuliches Durcheinander von Einwickelpapier, leeren Schachteln und bunten Gegenständen, die sich auf keine Weise von den Männerhänden in zierliche Ordnung bringen ließen.

Wunderliche Gedanken weiteten dem alten Mann das Herz und machten ihn stumm; sein junger Freund war schon lange still.

Alle guten und traulichen Stunden, die sie einst unter Mutteraugen an solchem Tag erlebt hatten, kamen ihnen ins Gedächtniß. Und beide erinnerten sich, wie die Frau des Hauses der Mittelpunkt gewesen war, wie von ihr alles Licht, alle Freude, alle Familienfröhlichkeit auszugehen schien; wie ihre Hände den Baum mit Lichtern geschmückt, wie ihre Gestalt umstrahlt war vom Kerzenschein und umweht vom Tannenduft; und wie märchenhaft es gewesen war, daß Wünsche, die man kaum oder nie ausgesprochen hatte, dennoch Erfüllung fanden durch ihre sanften Segenshände.

Raimar warf plötzlich mit kühnem Wurf einen Ballen zusammengeknüllter Papiere und Bindfäden durch den ganzen Raum in die Richtung des Papierkorbes.

„Es scheint wahrhaftig, daß ein Frauenzimmer und ein Tannenbaum zum Fest gehören,“ sagte er mürrisch.

Lüdinghausen glättete mit sorglichen und liebkosenden Händen einen Seidenstoff und schwieg.

„Zum Donnerwetter, Freund,“ brach Raimar ungeduldig los, „machen Sie’s besser als ich!“

„Das steht nicht bei mir allein,“ erwiderte Lüdinghausen mit etwas unsicherer Stimme.

Christel kam mit der Lampe und war außer sich über die vielen theuren und unnützen Sachen. Sie behauptete fest, daß Fräulein Rahel sich höchstens ärgern werde und das meiste gar nicht brauchen könne. Dadurch nahm sie den armen Männern den letzten Rest von Vorfreude.

Zweifelhaft sahen sie auf den Tisch voll Gaben nieder. Lüdinghausen fand, daß er sehr unglücklich eingekauft habe, und jetzt fielen in seinen erinnernden Blick allerlei andere schönere Dinge, die gewiß besser gewesen wären.

Raimar schlug vor, lieber den „ganzen Kram“ schnell zu verstecken, denn die Damen konnten jeden Augenblick eintreffen.

Aber Lüdinghausen fiel ihm in die Arme. Nein, jede Kleinigkeit hatte er lange in seinen Händen gehalten, jeder Gegenstand war ihm theuer geworden, weil er ihr Besitz werden sollte. Ihm war es, als müsse alles in ihren Händen ihr ein wenig von der Wärme mittheilen, die er empfunden hatte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_464.jpg&oldid=- (Version vom 4.9.2023)