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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Während drüben am andern Ende des Saales „irgend jemand“ am Flügel saß und „irgend etwas“ spielte, ließ sich hier behaglich träumen. Auch heute hatte sich Claudius eben zu diesem Genuß zurechtgesetzt, als er plötzlich die Stimmen von Else und dem Lieutenant in seiner Nähe hörte.

„Ich weiß schon, wo das Tuch liegt, Walter, ich danke Dir – Mama vergaß es auf dem Flügel,“ sagte das Mädchen. „Und nun muß ich noch einmal hinauf, das Beruhigungsmittel für Mamas Nerven zu holen. Sie fürchtet, durch das Knallen beim Feuerwerk –“

„Laß einen Augenblick das Beruhigungsmittel und das Knallen, Else, ich bitte Dich! Unser Thema ist noch keineswegs erledigt.“ Die Stimme des Offiziers klang erregt. Weder er noch Else schienen den Doktor zu gewahren; während dieser noch überlegte, ob es nöthig sei, die jungen Leute durch ein plötzliches Hervortreten zu erschrecken und in Verlegenheit zu setzen, erklang schon in etwas erregtem Tone die Antwort:

„Ich habe Dir alles der Wahrheit gemäß berichtet, Walter, wozu mich doch gewiß kein Mensch zwingen konnte, und daraus siehst Du am besten, wie ich mit diesem Doktor Claudius stehe, wie unbegründet wieder einmal Deine Eifersucht ist.“

„Ganz gut! Ich sage Dir aber, daß mir der Mann im höchsten Grade mißfällt und daß ich Dich nicht länger mit ihm unter einem Dache wissen mag! Er macht Augen an Dich hin! Vorhin hat er’s wieder gethan! Er – nun kurz und gut, eines von Euch muß aus diesem Hause! Du könntest Mama veranlassen –“

„Ich kann gar nichts, Walter, als höchstens dem Doktor Claudius im Vertrauen mittheilen, daß wir heimlich verlobt sind.“

„Mit Ihrer gütigen Erlaubniß, mein gnädiges Fräulein – er weiß es bereits!“

„Aber Herr Doktor! Sind Sie denn als ein zweiter ‚Hans Heiling‘ aus der Erde aufgestiegen?“

„Keineswegs, gnädiges Fräulein. Ich möchte mich sehr dagegen verwahren, von Ihnen und Ihrem Herrn Verlobten als finsterer Dämon angesehen zu werden, der Ihren Herzensbeziehungen feindlich gesinnt ist; ich möchte vielmehr Sie beide bitten, von der Aufrichtigkeit meiner Theilnahme, von meiner Freude über diese zufällige Enthüllung fest überzeugt zu sein!“

Claudius hatte diese Worte mit freimüthiger Herzlichkeit gesprochen. Else, die erst sehr verlegen war, reichte ihm jetzt lächelnd die Hand und der Freiherr folgte nach kurzem Zögern ihrem Beispiel.

„Wir danken Ihnen, Herr Doktor,“ sagte er mit einiger Befangenheit in Blick und Stimme. „Ich muß gestehen, daß ich mich in Ihnen geirrt habe, vergessen Sie, bitte, meine unzutreffenden Worte von vorhin.“

„Jene Worte waren ja nicht für mein Ohr bestimmt, Herr von Grollmann, und wie ich denke, auch nicht buchstäblich zu nehmen.“

„Dessen dürfen Sie versichert sein, Herr Doktor. Wäre mein Urlaub nicht morgen schon zu Ende, so würde ich es Ihnen gern durch die That beweisen.“

„Auch ich reise morgen ab, dringende Geschäfte rufen mich nach Hause. Wollen Sie mir gestatten, diesen letzten Abend in Ihrer Gesellschaft –“ ein lauter Knall schnitt dem Doktor die Rede ab.

„Das Feuerwerk beginnt!“ rief Else erschrocken, „und Mama sitzt ohne Tuch und ohne ihr Nervenmittel im Kurgarten am Weiher!“

„So laß mich mit dem Tuche vorangehen, Else. Du holst wohl indessen die Tinktur und folgst – unter dem Schutze des Herrn Doktors.“

Claudius verstand den jungen Offizier sofort. „Ich danke Ihnen,“ erwiderte er einfach, „eine schönere Genugthuung konnte mir nicht werden.“

Als Claudius und Else allein den Weg zum Kurgarten einschlugen, waren beide doch ein wenig befangen und schweigend schritten sie neben einander her.

„Wissen Sie, woran ich soeben dachte, Herr Doktor?“ unterbrach Else plötzlich die Stille – „an Ihr plötzliches Auftauchen in Hirschberg. Ihre ganze Art hatte auch dort etwas Absonderliches, Geheimnißvolles an sich; wollen und können Sie mir wohl vor unserm Auseinandergehen den Schlüssel dazu geben?“

„Herzlich gern, Fräulein Else. Befehlen Sie nur, wann!“

„Am liebsten sofort. Ich werde gleich die erste Frage thun: War ich der Gegenstand Ihrer Aufmerksamkeit?“

„Allerdings. Mein beharrliches Anfundabwandern vor Ihrem Hause war dadurch veranlaßt, daß ich Sie in Hut und Mantel am Fenster gesehen hatte und nun Ihr Herunterkommen abwarten wollte.“

„Um mit mir zu sprechen?“

„Zunächst nur, um Sie zu sehen.“

„Geschah das denn niemals vordem bei anderer Gelegenheit?“

„Niemals. Sie waren mir persönlich ganz fremd. So fremd wie Hirschberg, wo ich erst am Morgen jenes Tages angelangt war.“

„Sie haben aber doch Hirschberg nicht um meinetwillen aufgesucht?“

„Nur um Ihretwillen.“

„Da sehen Sie! Ich ahnte es doch gleich, daß dieser sonderbaren Begebenheit ein ungewöhnliches Geheimniß zugrunde liegen müsse. Habe ich recht?“

„Vollkommen. Und jetzt sollen Sie den Schlüssel zu dem Geheimniß empfangen, Fräulein Else. Ich bin Freimuth aus Grützburg!“

Das Wort traf! Claudius sah es im Schein der nahen Gaslampen, wie Else zusammenzuckte und tief erröthete. Auch ihre Stimme klang unsicher, als sie nach einer kleinen Pause entgegnete:

„Das erklärt allerdings viel, aber nicht alles.“

„Was wünschen Sie noch zu wissen?“

„Wer Ihnen meinen Namen verrieth, meine Wohnung nannte!“

Claudius lächelte über die steigende Erregung seiner Begleiterin. „Das machte sich alles ganz einfach,“ sagte er. „Nachdem Sie mir die Möglichkeit abgeschnitten hatten, Sie kennen zu lernen oder auch nur wieder an Sie zu schreiben, wandte ich mich an den Photographen der ,Kamerunerin“ und erbat mir in ganz geschäftsmäßiger Weise Auskunft über den Ursprung des Bildes, das zufällig in meine Hände gelangt sei. Das war nur ein unsicherer Versuch, allein ich hatte Glück. Man schrieb mir sehr artig, daß die photographische Aufnahme nur einmal und zwar für Fräulein Else Heydecker in Hirschberg nach einem im Besitz der genannten Dame befindlichen Buntdruckbildchen gemacht worden sei. Da ich es mir in den Kopf gesetzt hatte, die Verfasserin jener Briefe persönlich kennenzulernen, so wär’ ich am liebsten gleich Mitte Januar in den Reisewagen gestiegen, doch gab es zuvor allerlei geschäftliche ‚Steine des Anstoßes‘ aus dem Wege zu räumen. Als die Bahn frei war, schmolz bereits der Schnee. Ich packte mein Ränzel, marschierte in die Welt hinaus –“

„Und ganz tapfer mitten in den Hirschberger Aprilschmutz hinein, das muß ich sagen!“

Else lachte wieder, der Schreck schien überwunden. „Und dann, Herr Doktor?“ fragte sie, das Köpfchen schelmisch zur Seite neigend.

„Jetzt wissen Sie alles, Fräulein Else, und werden mir gewiß die Berechtigung zugestehen, zuguterletzt auch meinerseits einige Fragen zu thun.“

„Betreffs meiner Person?“

„Allerdings. Sie sollen mir gleichfalls ein Räthsel lösen. Wie erklärt sich die tiefe Verschiedenheit zwischen der ausgeprägten Geistesart, die mir aus Ihren Briefen entgegentrat, und zwischen dem Wesen, welches Sie mir seit unserer persönlichen Bekanntschaft gezeigt haben? Warum finde ich, seit der mündliche Gedankenaustausch an Stelle des brieflichen getreten ist, meine wohlwollende Gegnerin in keinem Worte, keiner Empfindung wieder?“

„Aber lieber Doktor! Wissen Sie denn nicht, daß in jedem Weibe etwas von einer Sphinx steckt, daß jedes eine Art Doppelwesen ist? Des Dichters Wort: ‚Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust!‘ – es paßt vor allem auf unser Geschlecht.“

„Fein pariert! Aber so schnell ergebe ich mich nicht. Gestehen Sie nur, Sie haben mit dem thörichten Herrn Freimuth ein wenig Komödie gespielt, und es macht Ihnen jetzt Vergnügen, zu sehen, wie der Ungeschickte enttäuscht ist, daß die Briefe nur aus einer angenommenen Rolle heraus geschrieben waren.“

„Vergessen Sie nicht, Herr Doktor, daß die ,Rolle‘ in einem einzigen Briefe bestand und damit ein für allemal beendet sein sollte. Alles weitere erzwangen Sie sich, Sie haben also etwaige Enttäuschungen lediglich Ihrem eigenen Vorwitz zu danken.“

„Sehr richtig! Und so können wir denn unsern kleinen, lehrreichen Roman recht passend mit dieser Fibelmoral schließen,“ fiel Claudius heiter ein. Wenn er seinen Traum auch nicht ohne ein gewisses Schmerzgefühl in nichts zerrinnen sah, so sollte doch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1891, Seite 560. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_560.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2023)