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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

blieben die Herren stehen, ihre Begleiterin jedoch, die Baronin, trat aufs neue ins Licht, in das Zimmer des Prinzen. Sie verneigte sich tief. Als sie wieder aufrecht stand, vornehm und schlank in ihrer schlichten schwarzen Kleidung, als sie den Kopf erhob und ihm das blasse Gesicht, die dunklen lodernden Augen zuwandte, da dachte der Prinz nicht im entferntesten mehr an die unverletzliche Allgewalt des Rechts, sondern bot ihr, nicht ohne Verwirrung, mit ritterlicher Artigkeit einen Stuhl an.

„Nach den Andeutungen Herrn von Imhofs,“ begann der Fürst, welcher Ida gegenüber Platz nahm, „nach seinen allerdings sehr unbestimmten Andeutungen ist die Veranlassung, die Sie zu mir führt, eine traurige.“

„Eine traurige, Hoheit; aber ich habe niemals einen Gang freudiger und zuversichtlicher gethan als diesen. Ich vertraue zu der Güte Eurer Hoheit; Hoheit sind der einzige, der meinen Mann trösten, aufrichten und der Welt und mir wiederschenken kann!“

Der Prinz blickte die Sprecherin erstaunt an. „Ich will nur hoffen,“ fiel er ihr dann kalt ins Wort. „daß unsere Auffassungen nicht zu weit auseinandergehen. Nach den Mittheilungen Imhofs machte sich Ihr Gemahl eines Vertrauensbruches schuldig!“

„Hoheit,“ sagte Ida und faltete flehend die Hände. „Wenn mein Mann aus allzu großer Nachsicht gegen mich einen Fehler begangen hat, so wird derselbe durch seine Bravheit, durch das Vorher und Nachher aufgeschluckt wie ein Sandkorn vom Meer. Ich im besondern danke Gott für den einen schwarzen Tag, denn ohne den hätte es in meinem beschränkten Kopf nie getagt, hätte ich nie erkannt, was für einen Schatz ich an meinem Mann habe und wie stolz ich auf ihn sein muß.“

Sie selbst, dachte der Prinz, die Unglückliche! „Eine Frage, Frau Müller: Wandten Sie sich mit Wissen und Willen Ihres Gemahls an mich?“

„Bewahre!“ versetzte sie treuherzig. „Er erhielt meinen aufklärenden Brief so spät, daß er mich nicht mehr zurückhalten konnte. Denn eigensinnig ist auch er wie jeder Mann, er will sich mit Gewalt für mich opfern. – Aber ich dulde es nicht und Eure Hoheit müssen ihm den Kopf zurecht setzen. Darum bin ich hier und darum rede ich. Die Sache ging nämlich folgendermaßen zu …“

Prinz Rüdiger verwandte keinen Blick von der Erzählerin. Imhof hatte recht, das war der Ton der Wahrheit, so reihte sich Ereigniß an Ereigniß, so wurde ihr Gatte schuldig ohne verbrecherische Absicht, so wurde ein begreiflicher Leichtsinn zum Vergehen, ein begreiflicher Leichtsinn!

Während er kein Wort verlor, zuckten ihm die Gedanken wie Blitze durch den Kopf. Was würde er, Prinz Rüdiger, an des Richters Stelle gethan haben, wenn ihn diese Lippen, diese Augen gebeten hätten?

Er athmete mit der Baronin auf, als sie die Wende schilderte, die Befreiung vom Alp, die Bewahrung vor der Schande. Er war gerührt und erschüttert. als sie ihm bekannte, wie sie ihres Mannes freien Entschluß erst nicht begriff, dann für Wahnsinn hielt, endlich doch bewundern mußte.

„Aber so groß das Gefühl ist, das meinen Mann leitet, es darf nicht gehen, wie er will – nach dem strengen Recht. Wenn es darauf ankäme, müßte ich mindestens die doppelte Strafe erhalten. Das werden wieder die Richter nicht wollen. Denn mich schützt meine Einfalt. Im Mund einer Frau ein spaßiges Wort! Und doch ist’s wahr. Wie wurde ich, wie werden Hunderttausende erzogen? Ein bißchen Französisch und Klavier, ein bißchen allerhand. Und dann schau, daß Du unter die Haube kommst, denn das ist die Hauptsache! Was die albernen Menschen eigentlich zusammenhält, vom Staat, vom Recht, vom Handel und Wandel, von der Wirthschaft im Großen und Kleinen hat man mir soviel wie nichts gesagt. Und darum begriff ich auch meinen Mann so lange nicht. Erst das Ich, dachte ich, und dann das Recht. Allein dann wurde es licht in mir, ich sah ihn so gut, so rechtlich, so wahrhaft adelig, und ich fühlte, daß in meinem leeren eitlen Herzen, die echte Liebe Einzug hielt. Und mit dieser Liebe wie mit einem Mantel schütze ich ihn gegen die kalte Welt!“

„Die kalte Welt!“ wiederholte er leise.

„Doch meine Liebe richtet gegen seine unerbittlichen Entschlüsse nichts aus. Da verfiel ich auf Eure Hoheit. Wenn ihm sein Fürst verzeiht, wenn Hoheit ihm mit einem Händedruck sagt: ‚Genug! Du bist ein braver Mann!‘ dann, hoffe ich, muß er gehorchen. Macht soll nicht vor Recht gehen, allein es giebt eine Macht, die göttlich, die gerecht und gütig zugleich ist. Hoheit, ich bitte um Ihren Schutz, Ihre Gnade für den redlichsten und besten Mann!“

Sie glitt vom Stuhl auf die Kniee. Der Prinz sprang auf, ergriff die flehend ausgestreckten Hände und zog sie empor. Hingerissen küßte er ihre Hände und fühlte davon Feuer in seine Adern rinnen. „Alles, alles ist ihm verziehen,“ rief er. „Er soll in meine Dienste treten – ich will –“ Er eilte in fieberischer Erregung an seinen Schreibtisch, um einen Befehl aufs Papier zu werfen, da fiel ein Buch zur Erde. Bevor er es hindern konnte, hatte sich Ida danach gebückt und überreichte es ihm. Es war der Band Goethes. Und das Buch erinnerte ihn an die vergangene Nacht, an die edlen Gedanken und Vorsätze, an die großen Entwürfe, die ihn nicht schlafen ließen. Gott, was will er thun! Gnade für Recht ergehen lassen aus diesem Grunde? Das Vertrauen und die Dankbarkeit einer treuen Seele gewinnen, um sie zu verderben? Die erste fürstliche Handlung soll Trug sein, die erste Gnade in Wahrheit ein Unrecht bedeuten? Er ließ sich in einen Sessel fallen und senkte die Stirn.

Nach einer Weile sagte er mit veränderter rauher Stimme, ohne Ida anzusehen: „Ich verspreche Ihnen die volle Begnadigung Ihres Gatten. Indessen Sie begreifen – ich muß dem Rechte seinen Gang lassen. Erst der Richter, dann ich. Allein wie auch das Gericht die Schuld Ihres Mannes beurtheilen mag, mein Urtheil steht fest.“

„Ach, Hoheit,“ erwiderte Ida traurig, „ich habe umsonst geredet. Recht, Richter, Schuld! Was Schuld ist, dünkt mich, ist auch dem einfachen Geiste klar. Gott helfe mir – um eine so kleine Schuld kränkt man nicht ein großes Herz!“

Der Fürst erhob sich gerührt. Wahr! dachte er. Wer vor der bürgerlichen Tugend, vor der stillen Größe dieses Richters keine Achtung empfindet, dessen Seele ist todt. Und sie ist dieses Redlichen Weib! Er erinnerte sich an die Worte Goethes. Soll er selbst nicht eben soviel Edelmuth und starken Willen besitzen wie der Dichter, soll nicht auch er imstande sein, ihr, die sich also vor seinen Augen erhob, dieselbe Neigung, aber in einem höheren, uneigennützigen Begriff zuzuwenden?

Nicht die Dauer eines Kampfes bestimmt den Werth des Erfolges. Als der Fürst im nächsten Augenblick abermals Idas Hände ergriff und drückte, that er es mit einer anderen, edleren Empfindung als vorher, und auf seinem Antlitz lag der Glanz des schönsten Sieges.

„Sie haben recht,“ sagte er innig. Er ging zu der offenen Thüre und rief den Minister herbei. „Imhof,“ wandte er sich an den Eintretenden, „ich theile Ihre Meinung über den Stadtrichter Müller in jedem Punkte. Aber zunächst will ich ihn für meine Dienste. Indem ich mich mit rechtschaffenen, erprobten Männern umgebe, nütze ich doch auch dem Staat. Hofrath Hasse tritt in den Ruhestand. Berufen Sie in meinem Auftrage Müller auf diesen Vertrauensposten. Heute noch!“ Er sah in das strahlende Gesicht Idas und setzte hinzu. „Sofort!“

Sie wollte dem Fürsten zu Füßen sinken, er duldete es nicht. Unterdessen war es in der Vorhalle lebendig geworden. Ein glitzernder Schwarm Offiziere erfüllte sie, Säbel und Sporen klirrten. Die Fenster wurden geöffnet und die Klänge einer kriegerischen Musik drangen herein. „Die Wache,“ sagte der Prinz und richtete sich unwillkürlich hoch auf. „Unser Lieutenant ist ja schon eingerückt, Imhof. Wann macht er Hochzeit?“

Der Minister warf einen raschen Blick auf Ida. „Wenn die Eltern der Braut damit einverstanden sind, am Geburtstage Eurer Hoheit.“

„Brav. Ich melde mich zum Brautführer, Baronin. Und wann wird sich mein neuer Hofrath bei mir melden?“

„Wenn Hoheit erlauben, noch heute!“ versetzte Ida lächelnd, während ihr die Thränen über die Wangen liefen.

„Um so besser. Zu jeder Stunde willkommen. Sie haben es gehört, lieber Falkenhorst.“

Die Sporen des Adjutanten klirrten zusammen. Man war in den schwarzen Saal getreten.

„Und nun, meine Gnädige,“ verabschiedete sich der Prinz, „Sie wissen, der Dienst – Keinen Dank! Leben Sie wohl!“ Er berührte ihre Fingerspitzen und trat zu seinen Offizieren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_583.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)