Seite:Die Gartenlaube (1891) 590.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Als das Spiel zu Ende war, ergoß sich ein unabsehbarer Menschenstrom hinunter nach Brunnen, das mit der Schwesterstadt Schwyz wetteiferte an Schmuck und freudiger Stimmung. Dampfer und Boote aller Art harrten am Ufer, denn nun begann die Fahrt nach dem jenseitigen Gestade, zur Rütli-Feier.

Als die Ehrengäste den steilen Aufstieg überwunden hatten, der vom Urner See her zu jener denkwürdigen Wiese emporführt, wo einst der Schwur der Eidgenossen stattfand, da hatte sich das Volk schon ringsum an der Halde gelagert. In der Mitte der Wiese stand eine mächtige Schar von Sängern aus den benachbarten Städten, und hier im Angesicht der Berge, die ebenso groß und schweigend vor Jahrhunderten auf die Gründung des Bundes niedergeschaut haben, begann jetzt die Gedenkfeier mit einem gewaltigen Männerchor. Dann bestieg als Vertreter der Bundesbehörden der Präsident des Ständeraths, Dr. Göttisheim, die Rednerbühne. Er pries den deutschen Dichter, welcher die Ideale des Volkes in unvergleichlicher Weise zum Ausdruck gebracht habe; eindringlich mahnende Worte knüpften sich an ein in kräftigen Zügen entworfenes Bild des heutigen allgemeinen Interessenkampfes, der schließlich auch die ältesten Einrichtungen untergraben und die bestgefügte Ordnung erschüttern könne. Ihm antwortete, den Gruß der Urkantone entbietend, der Urner Landammann Dr. Schmid.

„Der Rütlischwur“, eine dramatische, von Direktor Arnold in Musik gesetzte Scene nach Worten aus Schillers „Tell“, fügte als würdiger Abschluß sich an. Bei bedeutungsvollen Stellen ging eine begeisterte Bewegung durch das versammelte Volk, so als in machtvollen Tönen die Worte erklangen:

„Hört, was mir Gott ins Herz giebt, Eidgenossen!
Wir stehen hier statt einer Landsgemeinde
Und können gelten für ein ganzes Volk –“,

so als Stauffacher sang:

„Wisset, Eidgenossen,
Ob uns der See, ob uns die Berge scheiden
Und jedes Volk sich für sich selbst regiert,
So sind wir eines Stammes doch und Bluts,
Und eine Heimath ist’s, aus der wir zogen.“

Ein Stück vom Geist der ersten Eidgenossen war an diesem Tag auf dem Rütli zu spüren; jenes tiefe Gefühl für das Vaterland, das schon beim Festspiel ergrauten Männern Thränen ins Auge gelockt hatte, es waltete auch hier. Und wenn so die Seele des Volks, in ihren Tiefen bewegt, in ihrer lichten Seite sichtbar wird, dann ist der Höhepunkt eines Nationalfestes gekommen. So war es auch dort auf dem Rütli. Was nachher noch sich anschloß, als die Nacht hereinsank in die Thäler: die Beleuchtung der Ufer des Urner Sees und seiner Berge, das war schön und stimmungsvoll, allein an jene weihevollen Stunden des Nachmittags reichte es nicht heran.

Und nun ist der Festjubel verrauscht, die Arbeit ist wieder in ihr Recht getreten. Möge gerade dieses ruhige Wirken des Alltags von der Erinnerung an die Feier gehoben, von dem Gedanken getragen werden, daß die wahre Einheit eines Volkes in dem beruht, was es mit Anstrengung seiner geistigen und materiellen Kräfte leistet für den Fortschritt an innerer Bildung, für den Sieg edler Menschlichkeit in allen seinen Einrichtungen.




Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Die Kamerunerin.

Eine romantische Geschichte von H. v. Götzendorff-Grabowski.

(Schluß.)

Das Wohnzimmer des Lindenhauses trug ein ganz eigenartiges Gepräge. Es war ein saalartiger, heller Raum. Durch geschickte Anordnung der altmodischen, dunkeln Möbel zerfiel er in zwei selbständige, obschon ungleiche Hälften, von denen jede ihr eigenes, ausdrucksvolles Gesicht hatte. Die linke und größere bildete wohl das Reich der Frauen, denn hier gab es orientalische Sitzplätze und Teppiche; in vergoldetem Ringe schaukelte sich ein buntfarbiger Vogel und daneben stand in einer tiefen Fensternische friedlich ein echt deutsches Nähtischchen.

„Hier hausen wir, Tante Seraphine und ich – drüben regiert Papa,“ erklärte Martina dem Gaste. „Es läuft also keineswegs auf eins hinaus, ob sich der Besucher beim Eintritt nach links oder rechts wendet. Hier wird nur Kaffee oder Thee verabreicht und je nachdem bürgerlich kleinstädtisch oder über Dinge der Kunst Unterhaltung gemacht, während drüben, jenseit des Striches“ – den „Strich“ bildete ein geöffneter, mit Notenblättern bestreuter Flügel – „Weltumsegler und andere Menschenkinder, die für ‚hohe‘ Wissenschaft etwas übrig haben, ungestört mit dem Vater ihre Kreise ziehen dürfen.“

In der That begann „jenseit des Striches“ eine andere Welt. Da hingen statt der Gemälde Landkarten jeder Art und Größe an den Wänden, da gab es einen Schrank mit Büchern, einen zweiten voller Erinnerungsschätze, eingesammelt auf gefahrvollen und mühseligen Wanderungen – schließlich unweit des malerischen alten Kaminofens einen von hochlehnigen Stühlen umgebenen großen Tisch, auf welchem sich alle zu des Professors Arbeiten erforderlichen Dinge um einen mächtigen Globus geschart hatten.

„An diesem Tische empfing ich als Kind den ersten Unterricht,“ sagte Martina, während ihre Hand liebkosend über den abgenutzten, schwarzen Wachstuchbezug glitt. „Vater selbst ertheilte ihn mir. An seiner Hand durchwanderte ich im Geiste die Welt und lernte ihre Wunder kennen und schätzen. – Doch da kommen die Meinen,“ unterbrach sie sich, die Augen zur Thür wendend. „Ich brenne darauf, endlich Ihre Geschichte zu vernehmen, aus welcher hoffentlich auch hervorgehen wird, woher Sie meinen doch zum mindesten ungewöhnlichen Vornamen wissen.“

Nicht lange danach saß die kleine Gesellschaft „diesseit des Striches“ – in gemüthlicher Unterhaltung beisammen.

Der Professor war ein überaus liebenswürdiger, schlichter alter Herr, dem die Jahre sein einstiges lebensfrohes Kindergesicht nur mit einigen Falten durchzogen, aber nicht zu nehmen vermocht hatten. Tante Seraphine, die runde kleine Dame mit dem spiegelglatten Silberscheitel, den apfelfrischen Wangen und den blanken, lustigen Schlehenäuglein kam dem Doktor vor wie das vollendete Bild eines freundlichen Hausgeistes. Er sagte ihr das auch in seiner einfachen Art, der man die Wahrhaftigkeit anmerkte, und versprach der vor Freude ganz jugendlich Erröthenden, wenn, wie er sicher hoffe, demnächst die Familie Ronald in Hermannsthal einen Besuch mache, so werde sie auf einem meisterhaften alten niederländischen Gemälde ihr Ebenbild erblicken!

In diesem Augenblicke, in dem sich der Doktor behaglich zum Erzählen zurechtsetzte, verschwand die Sonne am Horizont, im Scheiden noch eine Fülle von Purpurrosen über das Lindenhaus hinstreuend.




7.0 Wer hätte das gedacht!

Es versetzte ganz Kronfurth in eine unbeschreibliche Aufregung, daß der Hermannsthaler das Innere der Drachenburg urplötzlich, ohne ersichtliche Veranlassung, durchweg auffrischen und verschönern ließ; nicht verständnißlos, so daß nur neue Möbel an Stelle des angestammten behaglichen Hausrathes gesetzt worden wären, sondern mit liebevoller Schonung des Alten. Nur das verschwand, was der Wohnung bisher da und dort einen nüchternen Junggesellenanstrich gegeben hatte.

„Der Herr Doktor Claudius richtet sich ein wie ein Hochzeiter,“ erklärte der Kronfurther Tapezier jedem, der ihn über den wichtigen Gegenstand ausfragte, „und es eilt ihm mit dem Fertigwerden, als sei das erste Aufgebot bereits heraus!“

In der That strebte Claudius mit fieberhaftem Eifer dem ersehnten Ziele zu.

„Ich muß den Kronfurthern mit der vollbrachten That entgegentreten, bevor sie ihre Nasen in mein zur Zeit noch verborgenes Lebensglück gesteckt haben,“ sagte er zu dem getreuen Gerlach, welcher sofort nach seiner Rückkehr von ihm ins Vertrauen gezogen worden war.

„Ganz meine Meinung,“ entgegnete der junge Direktor. „Versichern Sie sich nur Ihres ‚Dornröschens‘, alles andere wollen wir dann schon so schnell und heimlich besorgen, daß die große

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 590. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_590.jpg&oldid=- (Version vom 16.9.2023)