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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

aus! – ich hatte manchmal eine fast schmerzliche Sehnsucht danach.“

Allein Lida lachte nicht. Seine Rede ging ihr zu Herzen. Wenn es sich nur geschickt hätte – wie gern wollte sie ihn einmal Heinrich nennen! Da das nicht wohlanständig war, suchte sie ihn wenigstens auf freundliche Gedanken zu bringen. „Aber Sie lebten doch in fröhlicher Gemeinschaft mit anderen Kindern?“

Es zuckte seltsam um seine Lippen, als er erwiderte: „Ja, wir waren unser viele, die ihr Leben pünktlich nach der Uhr zubrachten. Nur in den Vakanzen wurde es unregelmäßiger. Dann eilten alle meine Kameraden zu ihren Eltern, wenn es auch manchmal nur zu einer verwitweten einsam lebenden Mutter war, und ich mußte mich zusammennehmen, daß ich den Lehrern und Dienstleuten nicht lästig fiel. Die Ungeduld war den geplagten Präzeptoren und Dienern nicht zu verargen, sie wollten auch einmal frei aufathmen.“

Lidas Augen schimmerten feucht.

„O, man lernt sich schmal machen, wenn man überflüssig ist,“ beruhigte er mit sanfter Stimme.

„Aber jetzt?“ fragte sie, und ihr Blick glitt über seine glänzende Uniform.

Er lachte harmlos. „Jetzt besitze ich als Heimath ein Stübchen, so kahl und eng, wie es der Sold eines Lieutenants erschwingen kann.“

Das Mädchen athmete erlöst auf. Gott sei Dank, er lachte doch! „Und wie selten werden der Mansieur darin weilen,“ scherzte sie schelmisch. „In der Residenz giebt es Komödien, große Tafeln, Bälle, um die jungen Offiziers für ihre kahlen Stübchen zu trösten.“

Eine Wolke flog über seine Stirn. „Wenn der Trost nur nicht noch schlimmer wäre als das Leid,“ entgegnete er fast finster.

Seiner Zuhörerim wurde es beklommen zu Muth, sie lenkte ab. „Da oben winkt Lottchen mit einer Serviette,“ sagte sie und erhob sich. „Ist’s gefällig?“

Er stand rasch auf und nahm ihr galant den Glaskrug ab. „Ich werde doch nicht stören?“ fragte er noch einmal bedenklich.

Lida schüttelte den Kopf. „O nein, meine Schwester hat ja die Sache in die Hand genommen.“

„Aber Dero Herr Papa und Frau Mama?“ forschte er weiter.

„Meine Mutter sieht Gäste gern und mein Vater wird nicht viel davon gewahr werden. Er hat einen wichtigen Prozeß zu entscheiden; da schenkt er niemand Attention,“ beruhigte sie ihn.

Als die beiden durch den weiten Hausflur gingen mit seinen Steinbänken und dem großen Kamin in der Ecke, wo sich die vor das Amt Geladenen wärmen durften, öffnete Lotte die Thür der Wohnstube und komplimentierte den Gast herein, während Lida sich verschämt hinter ihr zu verstecken suchte.

Hier war nichts zu merken von der alten Burgeinrichtung als die tiefen gemüthlichen Fensternischen. Doch auch sie wurden durch lichte weiße Vorhänge zu heiteren Plätzchen umgewandelt. Die dicken Steinwände bekleidete eine helle Glanztapete; auf einer geschweiften, kunstvoll ausgelegten Kommode stand eine schnörkelige Vase, mit Schneeglöckchen und Leberblümchen gefüllt, und auf dem gedeckten Tisch funkelte reiches Zinngeschirr.

Der Justizamtmann sah seinem Gast höflich, aber etwas zerstreut entgegen und drehte bedächtig eine silberne Dose zwischenden Fingern.

Der junge Offizier verbeugte sich tief. „Mit des Herrn Justizamtmann Permission erlaube ich mir, mich vorzustellen: Lieutenant von Altendorn.“

Der Justizamtmann reichte ihm die Hand. Die Frau Amtmännin, die dem Gast zu Ehren eine Dormeuse mit einer Hopfenblüthe auf der Spitze aufgesetzt hatte, bat, fürlieb zu nehmen; dann sprach Lida leise das Tischgebet. Sie hatte schon Amen gesagt und noch blickte sie der Gast mit gefalteten Händen andächtig an. Man setzte sich zu Tisch. Der Hausherr schenkte den ehrlichen Frankenwein ein, die Hausfrau nöthigte, wie es schicklich war.

Lida sah so verklärt aus, als speise sie Ambrosia der Götter statt des kräftigen Schwarzbrotes, und der junge Gast bewies, daß er gelernt hatte, wie man in Gesellschaft sich anmuthig unterhalte.

Von dem Kompliment, welches er der älteren Schwester für die Zubereitung der aus Amerika eingeführten Erdäpfel machte, wußte er überzugehen auf die Welthändel, und da er darunter als Offizier hauptsächlich die Kriege verstand, so theilte er Nachrichten mit über den Kampf in Amerika, wo sich die Kolonien von England loszulösen strebten.

„Ein höchst verwickelter Rechtsfall,“ meinte der Justizamtmann. „Die Amerikaner erlassen Erklärungen über Menschenrechte, von denen in keinem Gesetzbuch etwas steht. Nach ihnen hat jeder Staatsbürger auf Freiheit, Leben, Eigenthum seiner Regierung gegenüber ein unveräußerliches Recht; nur nach Gesetzen, in die jeder eingewilligt hat, kann darüber verfügt werden. Eine bedenkliche Sache!“

„Und doch machen sie Fortschritte,“ sagte Altendorn. „Sie haben einen tüchtigen Befehlshaber, einen gewissen Washington, der seiner Vaterlandsliebe sogar das Opfer bringt, daß er ohne Sold dient.“

Lotte setzte den Schinkenteller, den sie herum bot, erstaunt nieder. „Umsonst? Der ist ja noch schlimmer als der Inspektor mit seinen Erdtoffeln.“ Dann wurde sie rot und duckte den Kopf, weil sie sich verschnappt hatte; allein es achtete niemand darauf. Der Amtmann folgte überhaupt nur seinen eigenen Gedankengängen, und seine Gattin drückte, wie kluge Mütter thun, in diesem Falle, wo es sich für Lotte um einen so annehmbaren Freier handelte, zwar nicht ein Auge, aber beide Ohren zu.

„Vom Krieg habe ich genug gehabt in den ersten sieben Jahren meiner Ehe,“ sagte sie. „Die Lotte hat ein Pandur laufen gelehrt, die Lida ein Franzose gewiegt. Gott sei Dank, daß das Meer zwischen uns und dem Krieg liegt!“

Ihr Mann nahm bedächtig eine Prise. „Wenn irgendwo ein Feuer aufgeht, wissen wir nicht, ob nicht vielleicht ein Brand auch in unser Haus fliegen wird.“

Einverständniß suchend sah Lotte ihre Schwester an. Da war einmal wieder die gräßliche juristische Umsicht, die allezeit Unheil witterte.

Der alte Richter nahm indeß selbst seinen Unkenruf nicht schwer; geruhig fuhr er fort: „Ich denke, jeder muß das Seine besorgen. Die Engländer mögen die Amerikaner bekriegen; ich habe meinen Prozeß zu entscheiden.“ Er hatte damit nach dem von ihm ersehnten Ziele hingelenkt, jetzt konnte er sich absentieren.

Mit einer kurzen würdigen Gebetsformel hob er die Tafel auf, bat, sich nicht stören zu lassen, murmelte noch etwas vom Corpus juris, in dem er nachschlagen wolle, und kehrte zu seinen geliebten Akten zurück.

„Es ist wegen des Holzbirnbaums,“ erklärte die Frau Amtmännin, während man sich „gesegnete Mahlzeit“ wünschte. „Der steht auf der Grenze zweier Grundstücke, und die beiden Bauern streiten sich so hitzig und lange darum, daß der Verlierende seinen Hof mit hingeben muß für die aufgelaufenen Kosten.“

Mit diesen Worten folgte sie ihrem Eheherrn, um die Studierlampe anzuzünden.

Altendorn griff nach Hut und Degen; aber es war, als werde es ihm schwer, zu gehen. Er blickte sich noch einmal um in der behaglichen Stube.

„Das sind wohl die Fenster der Damen?“ fragte er.

In der einen Nische befand sich ein großer Arbeitskorb, und auf dem Sims lag das neue Kochbuch mit dem aufgeschlagenen Rezept: „Wie Erdäpfel mit süßem Rahm und Muskatblüthen zu stofen sind.“

„Hier hause ich,“ erklärte Lotte.

„Und das hier ist Mademoiselle Lidas Platz?“ fragte er leise, als betrete er ein Heiligthum. Ein Filetzeug lag auf dem Fensterbrett neben dem „Messias“ von Klopstock. Ein kleines Spinett war dicht herangeschoben.

„Ah, Mademoiselle spielen das Spinett,“ sagte er überrascht. „Würden Sie uns nicht einen kleinen Ohrenschmaus geben? Ich möchte wohl wissen, was Ihr Lieblingslied ist.“

„Errathen Sie es nicht?“ fragte Lida lächelnd. „Giebt es ein zweites, das so viel und so aus tiefstem Herzen gesungen würde?“ Und indem sie sich auf dem hochlehnigen Stuhl vor dem Instrument niederließ, legte sie ein Notenblatt auf das kleine geschnitzte Pult. Ihre Finger berührten kaum die schwarzen Tasten, und schwirrend ließen diese die Melodie ertönen: „Guter Mond, du gehst so stille!“ Dann schloß sich allmählich ihre zarte Stimme an, leise wie der süße Ton des Rothkehlchens. Bei der Stelle:

 „Durch die Abendwolken hin“

fiel Lotte ein:

„Gehst so ruhig“ –
„Und ich fühle, daß ich ohne Liebe bin,“

sang eine weiche Tenorstimme mit. Jetzt schwiegen die beiden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_626.jpg&oldid=- (Version vom 28.9.2023)