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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Sie lugte hinter dem großen selbstgesponnenen Schnupftuch hervor. Jetzt ließ er nicht mehr mit sich fackeln, das sah sie ein. „Ja!“ tönte es kläglich.

„Das ist brav. Und nun will ich Dir auch sagen: nur den Erdäpfeln verdanke ich mein rasches Vorwärtskommen. Ich habe der Frau Herzogin Vortrag thun müssen über mein Vorhaben. Es leuchtete Hochderselben ein. Sie läßt in der Musterwirthschaft, die sie auf ihrem Vorwerk eingerichtet hat, gleichermaßen den Versuch mit der amerikanischen Frucht machen und hat mir in Anerkennung meines Bemühens ein Belobigungsschreiben für meine Uneigennützigkeit zugehen lassen, worin sie mich ihrer Huld und Gnade versichert.“

Lotte trocknete ihre Thränen. „Das lassen wir unter Glas und Rahmen fassen und hängen es in unsere Visitenstube.“

Er lachte laut auf: „Kleiner Prahlhans!“, zog sie in seine Arme und küßte sie auf die rothen Wangen. Dann setzte er ernster hinzu: „Mir ist ein großer Stein vom Herzen, daß ich keine Heimlichkeit mehr vor Deinem Vater zu bewahren habe.“

„Mir auch!“ stimmte Lotte bei. „Aber in Liebessachen ist es einmal nicht anders.“

„Ja, ja,“ gab er zu. „Liebesangelegenheiten bringen vielerlei Molestierungen mit sich, unsere sind noch nicht die schlimmsten.“ Bedenklich setzte er hinzu: „Es ist doch gut, daß der Monsieur aus unserer Nachbarschaft abzieht. Lida und er schauten sich an, als ob sie vergehen wollten.“

„Wer zieht ab?“ fragte sie erschrocken.

„Euer Lieutenant,“ entgegnete er gutmüthig lachend. „Die Botenfrau, die in der Festung war, erzählte, morgen müsse der schöne junge Herr mit seinem Obersten wieder fort. Sie reisen in die Walddörfer, um Aushebungen vorzunehmen. Es ist ein großes Geklag im Land drüben.“

Lotte sah betreten vor sich hin. Was würde Lida sagen? Und doch, wozu konnte die Sache führen? Sie wußte nicht, ob sie Gott danken oder sich sorgen sollte.

Das Kammerfenster der jungen Mädchen blieb heut lange geöffnet. Sie kauerten in der tiefen Steinnische auf der Bank. Das erste Mondesviertel schien herein. Die Fliederbüsche unten im Garten entfalteten ihre Trauben, leise rauschte der Nachtwind in dem jungen grünen Laube.

Lotte hatte die ihr gewordenen Nachrichten, die Freudenbotschaft für sich, die Hiobspost für Lida erzählt.

„Nun kann man sich wieder nicht ordentlich freuen,“ klagte Lotte.

„Freu’ Dich nur!“ entgegnete Lida, „ich sehe ihn wieder.“

„Woher willst Du gar das wissen?“ fragte Lotte, halb weinend, halb lachend.

Ein sanfter Flötenton aus dem Garten unter dem Fenster schien Antwort zu geben. Es war ein rascher Lauf, der über die ganze Skala hinglitt mit dem weichen Ton der guten alten Holzflöte, die nichts von hartem Metall wußte. Dann erklang es schmelzend wie das Lied der Nachtigall: „Guter Mond, Du gehst so stille!“

„Was ist das?“ fragte Lotte.

„St!“ machte Lida ganz verklärt. „Er ist’s.“

Das Flötenspiel ging weiter, silbern glänzte der Mond, Frühlingsdüfte zogen mit dem Nachtwind an dem grauen Haus vorbei, und aus dem verwitterten Steinrahmen bogen sich ein blondes und ein schwarzes Köpfchen lauschend hernieder. Da verhallte das Lied in lang ausgehaltenem Ton. Aus dem Schatten der Hängeweide trat eine schlanke Männergestalt in den Mondschein hinaus, ein Hut ward geschwenkt, an dem die silberne Agraffe blizte.

Lida hob das Nesseltuch, das sie um den Hals geschlungen hatte. Eine Sekunde lang standen sie und der Fremde regungslos; die jungen Augen schienen die Nacht durchdringen zu wollen. In diesem Augenblick begann die Uhr auf dem Thürmchen des Amtshauses mit ihrem alten Räderwerk zu rasseln und zu ächzen und die späte Nachtstunde zu schlagen. Die lichte Erscheinung tauchte in den Schatten zurück, Lida ließ das Tuch sinken. Nach wenigen Minuten klang Hufschlag, der sich in der Ferne verlor.

„Er ist in der Nacht von der Festung herübergeritten und hat Dir ein Abschiedsständchen gebracht,“ flüsterte Lotte athemlos.

Lida lag auf den Knieen, die Hände gefaltet und sah selig und mit Thränen in den Augen zum heiteren Nachthimmel empor.

„Du lieber Gott! Giebt es denn wirklich eine solche Seligkeit auf Deiner schönen Erde? Und womit verdiene ich ein solches Glück?“

„Unberufen! Gott behüt’s!“ fiel Lotte erschrocken ein. „Beschrei’ es nicht! Ja, wenn Du auch den Kopf schüttelst – weißt Du noch, wie Ehrhardts Erbsenfeld so herrlich blühte und die Leute standen und lobten und priesen es? Am nächsten Tag kam das Hagelwetter und schlug alles in Grund und Boden.“

„Wie kannst Du dem gütigen Vater im Himmel so wenig vertrauen?“ sprach Lida vorwurfsvoll.

Lotte legte ihre Stirn in sorgenvolle Falten. „Ich weiß nicht, warum, aber ich weiß: er läßt’s zu. Das mit dem Beschreien ist ein Erfahrungssatz wie der Frost zu Pankraz und Servaz, den auch niemand erklären kann.“




Zu Himmelfahrt wurde in dem Amtsstädtchen stets das sogenannte Rondellfest gefeiert.

In dem Garten des herrschaftlichen Gutes hatten sich von früher einige Anlagen erhalten, welche den Festplatz bildeten. Steifgeschnittene Buchengänge liefen gleich Strahlen auf einem mächtigen Rasenrondell zusammen, das rings von ebenso glattgeschorenen Fichtenwänden umgeben war. Nur an der einen Seite erhob sich eine kleine Altane, auf welcher die aufspielenden Musiker, im Leben ehrsame Handwerker, zu sitzen pflegten.

Die Schankgerechtigkeit übte das Gut aus mit Rostwürsten und schäumendem Broyhan und Bier. Leicht aufgeschlagene Bänke und Tische standen bis in den großen Obstgarten hinein, der seine Blüthen auf sie herabschüttelte.

In der ganzen Umgegend war das Wort „Himmelfahrt“ gleichbedeutend mit einer Fahrt nach dem Rondellfeste. Wer irgend zu den Honoratioren sich rechnen durfte, lief auf Stöckel- oder Schnallenschuhen, mit hohem Touret oder zierlichem Haarbeutel auf dem kurz abgesichelten Rasen herum.

„Wenn es nur nicht gewittert!“ seufzte Lotte, als sie ihr Gesangbuch nahm, um zur Kirche zu gehen. Als erklärte Braut durfte sie nun offen ihre Sorge aussprechen um Ehrhardts für viele Gäste vorbereitete Garküche. Sie betete auch ehrlich das Gebet gegen Wetterschaden, wenn es gleich nicht zum heutigen Evangelium paßte.

Auf Lidas Bemerkung darüber entgegnete sie: „Dem lieben Gott muß man mit seinen Bitten ordentlich vor der Thür liegen. Man hat dann wenigstens das Seinige gethan.“ Sie wurde auch erhört. Nicht die kleinste Wolke zeigte sich am Horizont; dagegen stieg ein unerwarteter Gast an der Ausspannstelle des Gutes ab.

Lotte war eben, den feierlich langen Schweif ihres neuen Kleides in der Hand, auf den rothhackigen Schuhen aus dem Keller heraufgeklappert, wo sie dem verzapfenden Knecht das Gewissen geschärft hatte, und in die Küche gesaust, um sofort eine von der Magd gemauste Wurst zu entdecken und laut scheltend auf den Rost zurückzubefördern, als ein Reiter sein Pferd draußen im Hof anhielt.

„Der Lieutenant von Altendorn,“ rief sie, drehte sich auf dem spitzen Absatz um – und stand vor Ehrhardt, der sie halb forschend, halb mißtrauisch vom Kopf bis zu den Füßen maß. „Wo hinaus?“ fragte er.

„Zu Lida!“ rief sie und rannte fort, als brenne ihr der Kopf. „Sie soll das halbseidene rosenfarbene Kamisol anziehen!“

Weg war sie; doch von der Treppe her klang es noch: „Mine, mahle auf der Stelle den Kaffee! Und daß die Chokolade nicht überläuft! Ich komme gleich wieder; hurtig!“

Ehrhardt lachte. „Solch ein mobiles Frauenzimmerchen ist doch ein wahrer Spaß! Aber einen Sparren hat eine jede. Bei der ist’s ihrer Schwester Schatz.“

„Er ist da!“ Mit diesen Worten stürzte Lotte in ihre Kammer, wo Lida sich in aller Ruhe ankleidete. „Er kommt aus der Residenz expreß zum Rondellfest. Er hat davon erfahren, als er in der Festung war. Das hörte ich ihn zum Verwalter sagen, dem er sein Pferd übergab.“

Lida mußte sich setzen, so war es ihr in die Glieder gefahren; aber sie lächelte.

Gott sei Dank, daß ich Dir das weiße Kleid aufdisputiert habe,“ fuhr Lotte fort. „Wo ist das Sammetband um den Hals?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_644.jpg&oldid=- (Version vom 10.10.2023)