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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Hamburg über, wo der unentbehrliche Kurier, da ein längerer Aufenthalt unerläßlich war, eine geräumige Villa nebst Garten auf dem neuen Jungfernstieg miethete. Hier wollte man die sehr langsam fortschreitende Genesung der kleinen Prinzessin gezwungenermaßen abwarten.

Mit Ausnahme der vier gesunden Kinder, die sich fröhlich im Garten tummelten und ihren Bonnen gehörig zu schaffen machten, fühlte die Familie des Fürsten sich unbehaglich. Die Fürstin, eine nicht besonders zärtliche Mutter, ging, sobald es sich nicht um ihre eigene Gesundheit handelte, von dem Grundsatz aus, der Mensch sei dazu da, sich selbst zu überwinden, und, sobald er nur richtig wolle, sei die Genesung fertig. Sie fand deshalb die Angst des Fürsten um die kleine Mascha übertrieben und nahm es dem fünfjährigen Kinde geradezu übel, daß es immer noch krank war und sie alle zwang, in dieser „horriblen“ Stadt so lange auszuhalten; sie zeigte die schlechteste Laune, wollte nichts sehen und hören, fand alles schon im voraus, ohne es zu kennen, „abominabel“, war kaum zu einer Ausfahrt zu bewegen und wies alle Versuche ihres Gemahls, sie zu zerstreuen, mit einem sehr ungnädigen Gesicht ab. Die Dame lag beinahe den ganzen Tag auf der Chaiselongue, natürlich im Negligée, denn wozu für Hamburg Toilette machen? Wenn sie nicht französische Bücher las – und das konnte sie nicht immer, denn sie ärgerte sich zu sehr, daß sie diese langweilige Wartezeit nicht in Paris verleben konnte, wo man sich doch immer amüsierte! – dann quälte sie ihre Dienstleute, welche die gefürchtete Herrin meistens im Bogen umgingen. Namentlich die georgische Kammerzofe (in Paris ausgelernt!) ging fast beständig mit verweinten Augen umher und schwor immer wieder, wenn Monsieur Falvier, der Kurier, nicht wäre, der die hübsche Kleine mit und ohne Französisch zu trösten wußte, dann würde sie längst fortgelaufen sein.

Fürst Emmerik war betrübt, daß sein Lieblingskind sich so wenig erholte und daß seine Gemahlin eine so sorglose Mutter war. Er ging oft ins Krankenzimmer und war jedesmal dabei, wenn der Arzt kam, aber die Mutter konnte er der Kleinen doch nicht ersetzen, er mußte sie bezahlten Pflegern überlassen. Zudem machte ihm sein Bruder, Prinz Alexander, ernstliche Sorge.

Diesen jungen Mann hatte die Natur mit einem gefährlich anziehenden, melancholischen Gesicht ausgestattet. Von Hause aus nichts weniger als düsteren Sinnes, verfehlte der Prinz doch nicht, von seinen äußeren Gaben Gebrauch zu machen; er liebte die Damen und wußte ganz genau, wenn er sie aus seinen mandelförmigen, tiefen Augen mit einem gewissen Aufblick traurig anschmachte, dann könne ihm sobald keine Frau widerstehen. Er sah daher meistens so sehnsüchtig und schmerzvoll aus, als habe er soeben einen schweren Herzenskummer hinter sich und schaue nun nach einem Trost in diesem seinem Leiden aus. Thatsächlich hatte er eigentlich nur Siege zu verzeichnen, aber wozu brauchten die Frauen das zu wissen? Sie waren so gern mitleidig, es war ihnen so süß, trösten zu können – und Prinz Riantzew ließ sich trösten und nahm dankbar alles entgegen, was sich ihm bot! Sein Bruder, der Fürst, wünschte lebhaft, der Prinz möge sich bald mit einer reichen Erbin – natürlich von Stand – verheirathen, denn als jüngerer Sohn besaß er kein besonders glänzendes Einkommen, und er, der ältere, mußte sehr oft aus seiner eigenen Kasse nachhelfen. Aber um die Ehe war es dem flotten Kavalier wahrlich nicht zu thun, er mußte lachen, wenn er nur daran dachte. Er – und ein Ehemann! Was würde da aus seinem Verkehr mit den Damen werden, die ihn allesammt verwöhnten! Da er gerade ohne Beschäftigung war – der Borschafter hatte ihm einen langen Urlaub gegeben und wollte ihn dann ganz weit fortschicken! – so hatte es ihm Spaß gemacht, sich der „Tournée durch Europa“ anzuschließen, die sein Bruder unternahm, er hatte überall irgend jemand oder irgend etwas zu seinem Vergnügen gefunden – und nun gar hier in Hamburg!

Das eben war’s, was den Fürsten, neben seines Töchterchens Krankheit und seiner Gattin schlechter Laune, so sehr verstimmte.

Prinz Alexander hatte sich verliebt – nun, das schadete zunächst nichts, das war schon öfter geschehen – in ein wunderschönes junges Mädchen … schadete gleichfalls nichts, sprach nur für seinen feinen Geschmack und war auch schon öfter dagewesen. Was aber bisher noch nie passiert war, das mußte sich hier in Hamburg begeben: das wunderschöne junge Mädchen nahm durchaus keine Notiz von dem Prinzen! Er machte seine schwermüthigsten Augen, er ritt, fuhr und ging an ihrem Hause vorüber – das entzückende Geschöpf ritt, fuhr und ging gleichfalls auf den belebtesten Promenaden an ihm vorüber, ohne ihn im geringsten zu beachten. So gelang es also nicht, er mußte sie persönlich kennenlernen, mußte versuchen, durch seine Nähe auf sie zu wirken! Er lernte sie kennen, aber er wirkte nicht! Er konnte sich’s nicht verhehlen, es war eine niederschmetternde Thatsache: sie tanzte, scherzte und lachte mit jedem andern ebenso unbefangen wie mit ihm; es war, um toll zu werden!

Und Prinz Alexander wurde auch wirklich toll, er verliebte sich ernstlich. Sein Bruder bekam davon zu hören und machte ihm Vorwürfe. Gegen eine Liaison hatte er nichts einzuwenden – lieber Himmel, er war ein verständiger Mann und Sascha war jung! Allein sich ernstlich verlieben in die Tochter eines Hamburger Kaufmanns, sie am Ende gar heirathen wollen, das ging nicht. Wahrhaftig, das ging nicht. „Thu’ meinetwegen, was Du willst!“ hatte der Fürst bei der letzten Unterredung mit seinem Bruder ausgerufen. „Aber mach, daß diese leidige Geschichte zu Ende kommt, ich will nichts weiter davon hören!“

Darauf war der Prinz, nachdem er seinem fürstlichen Bruder einen kurzen Abschiedsgruß zugenickt hatte, aus dem Zimmer gegangen und einige Tage unsichtbar geblieben.

Heute sollte er wieder sichtbar werden. An einem launischen Aprilvormittag war’s, der Himmel lachte und weinte in einem Athem – augenblicklich hatte er eine freundliche Miene aufgesetzt und schickte goldenen Sonnenschein auf die regenfeuchten Straßen und in das Lesezimmer des Fürsten Riantzew, der gleichfalls ein heiteres Gesicht zeigte, denn eben war der Arzt bei ihm gewesen und hatte ihm günstige Nachrichten über das Befinden der kleinen Prinzessin gebracht.

Der Fürst las in einer Hamburger Zeitung. Er handhabte die deutsche Sprache mit ziemlicher Leichtigkeit und hielt es für seine Pflicht, auf deutschem Boden die Sprache und die Verhältnisse des Landes zu studieren.

Janko, sein serbischer Kammerdiener, pochte leise an die Thür und meldete den Prinzen Alexander. Gleich darauf erschien dessen lichtblonder Kopf unter der blauen Sammetportiere. Der Fürst nickte ihm wohlgelaunt zu und legte das Blatt verkehrt vor sich auf den Tisch. Eigentlich hatte er Sascha sehr lieb, das kam ihm besonders dann zum Bewußtsein, wenn er ihn eine Zeit lang nicht gesehen hatte.

„Guten Morgen!“ sagte er heiter und reichte dem Bruder seine kräftige, große Hand. „Ich freue mich sehr, Dich endlich zu sehen, habe lange nicht das Vergnügen gehabt! Setz’ Dich her und erzähl’, wo Du gesteckt hast!“

Der Prinz zog mit dem Fuß einen Sessel herbei, ließ sich darauf nieder und seufzte.

„Nun?“

„Ja, wo werde ich denn gesteckt haben? Im Klub natürlich! Wohnsdorf ist hier – der aus Böhmen, weißt Du! – und Erwin Tosky und noch ein paar andere. Da haben wir denn gespielt, irgendwie muß man doch seine Zeit hinbringen.“

„Hm! Unglück gehabt?“

„Ja!“ Der Prinz kniff die Augen halb zu und unterdrückte ein Gähnen. Es trat eine kleine, unbehagliche Pause ein.

„Du hast noch mit keinem Wort gefragt, wie es Mascha geht!“ fing der Fürst endlich wieder an, als habe er Lust, die Unterhaltung von den Spielangelegenheiten abzulenken.

„Ach! Entschuldige mich, Emmerik! Nun – also – wie geht’s ihr?“

„Sie befindet sich viel besser, der Geheimrath äußerte sich heute vollkommen zufrieden über ihren Zustand; sie hat gut geschlafen, wie ihre Kammerfrau versichert, ist fieberfrei und zeigt Lust, mit Puppen zu spielen!“

„So! Ich wünsche Dir aufrichtig Glück. Das freut mich sehr!“

Der Prinz sah nicht aus, als ob ihn die Sache sehr freue. „Wie geht es denn Nadine, meiner verehrten Schwägerin?“

Des Fürsten freundliches Gesicht wurde ernst und nahm einen gleichgültigen Ausdruck an.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_652.jpg&oldid=- (Version vom 23.10.2023)