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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ganze Erscheinung machte den Wunsch rege, sie in einem seidenen Frack, Kniehosen und Schnallenschuhen einhergehen zu sehen statt im alltäglichen schwarzen Gesellschaftsanzug, zu dem die unerbittliche Mode die Bürger des neunzehnten Jahrhunderts verpflichtet.

Das war Herr Bernhard Grimm, der ehemalige Geschäftstheilhaber und langjährige Hausgenosse des Senators Brühl, der häufige Zankapfel zwischen diesem und seiner Gattin.

Eben diese Gattin fuhr jetzt zurück wie von einer Viper gestochen und rief in wehklagendem Ton: „Um Gotteswillen – ich bin zum Tode erschrocken!“

„Hoffentlich doch nicht!“ entgegnete Herr Grimm kaltblütig und führte die Hand der Dame in die Nähe seines Schnurrbarts – der Kuß, den er hätte darauf drücken sollen, wurde in die leere Luft gehaucht. Dann rief er dem Senator ein etwas kühles: „Guten Abend, Brühl!“ zu und verneigte sich feierlich vor Stella: „Sie sehen Ihren Knecht geblendet, Prinzessin!“

Das war der ironische Ton, den Frau Molly tadelte, und sie war auch jetzt nicht erbaut davon.

„Warum hat man Sie denn nicht gemeldet? Meine Leute pflegen doch sonst der guten Sitte nicht ins Gesicht zu schlagen!“ sagte sie scharf.

„Sie entschuldigen gütigst – diesmal schlug ich!“ Herr Grimm lächelte vergnüglich und war keinen Augenblick außer Fassung gebracht. „Ihr Pierre wollte mich melden, ich litt es aber nicht. Einen so frühen Gast, der noch dazu das Glück hat, Ihr alter Bekannter zu sein und unter einem Dach mit Ihnen zu leben“ – eine neue tiefe Verbeugung – „den kündigt man nicht erst feierlich an. Ich bin absichtlich so früh gekommen – ich wollte der Erste sein und ich sehe mit Befriedigung, daß ich es wirklich bin – um meine kleine Gerda noch zu sehen, nachdem mir mein Diener die Trauerkunde überbracht hat, daß sie an dem heutigen Fest nicht theilnehmen werde.“

„Hielten Sie das im Ernst für möglich? Was sollte sie heute hier?“

„Nun – beispielsweise tanzen!“

Stella zuckte die Achseln, und Frau Brühl lachte bitter.

„Es gehört Ihre ganze – wunderliche Vorliebe für Gerda dazu, um diese Behauptung aufzustellen. Ein so ungeschicktes, reizloses Kind –“

„Verzeihung, meine Gnädigste! Gerda, beizeiten zu einem tüchtigen Tanzlehrer gebracht, und Gerda in kleidsamer Toilette – da wäre sie weder ungeschickt noch reizlos. Bis jetzt ist sie allerdings noch nicht hübsch, aber sie wird es ohne Zweifel werden. Warten wir doch ab, bis aus der grauen unscheinbaren Puppe der schöne Schmetterling hervorgeschlüpft ist! Blicken Sie nicht so verächtlich aus Ihren schönen Augen auf Ihren devotesten Diener, Fräulein Stella! Soll ich Dir einmal zeigen, Brühl, wie Deine Gerda in ein paar Jahren aussehen wird?“

„Nun? Ich wäre begierig!“

Herr Grimm faßte den Senator leicht unter den Arm und führte ihn durch einen der Säle in ein kleineres Seitenzimmer, in welchem Rauch- und Spieltische für die Herren aufgestellt waren. Hier hing über einem zierlichen bunten Divan das lebensgroße Brustbild einer jugendlichen Frau, in Oel gemalt, von einem dunkeln ovalen Rahmen umgeben. Sie war auffallend hübsch, diese Frau, mit ihrem reichen dunkeln Haar, den frischen Farben und den lächelnden Lippen. Geradezu schön aber waren die Augen mit ihrem klugen sprechenden Blick – tiefe, herrliche Frauenaugen, aus denen eine heiß empfindende Seele schaute.

Halb widerstrebend waren die beiden Damen den Voranschreitenden gefolgt – Wolfgang hatte sich unbemerkt nachgeschlichen und machte nun, hinter seiner Schwester Stella stehend, einen langen Hals.

„Die Mutter meines Mannes!“ rief die Senatorin verwundert. „Aber ich bitte Sie, Herr Grimm, das war eine anerkannte Schönheit.“

„Und Gerda wird ebenfalls eine solche werden, verlassen Sie sich fest darauf!“

Die Dame wandte sich mit einem sehr ungläubigen Gesicht ab, und Stella ging, als ob die ganze Sache sie gründlich langweile, in den Nebensaal zurück. Der Senator blieb, die Hände auf dem Rücken, vor dem Bilde stehen und sah so angelegentlich zu demselben in die Höhe, als erblicke er zum ersten Mal in seinem Leben ein Porträt seiner Mutter.

„Du weißt, Freundchen,“ begann er endlich und sah sich vorsichtig um, ob seine Damen noch in der Nähe wären, „daß ich ungeheuren Werth auf Dein Urtheil lege, und gar in künstlerischen Dingen bist Du mir weit überlegen; Du bist ja selbst Bildersammler, und Deine Gemälde werden als bedeutend gerühmt – aber hier – hm! Die Mutter war ja wirklich liebreizend, sogar ich weiß noch davon zu sagen; sie spielte eine Rolle und hätte noch als gar nicht mehr junge Witwe ein paar glänzende Partien machen können, allein Gerda! Keine Spur! Das Kind sieht nach gar nichts aus! Es ist der tägliche Kummer meiner armen Frau, daß die zwei Jüngsten so ganz aus der Art geschlagen sind.“

Grimm zog seine dunkeln Brauen mit einer ausdrucksvollen Miene empor, als scheine ihm dieser Mangel an Aehnlichkeit mit den Eltern gar kein besonderes Unglück zu sein.

„Wenn Gerda wirklich sich noch bessern sollte,“ fuhr der Senator sinnend fort und rieb sich das Kinn, „dann könnte sie am Ende einmal Kuno von Tillenbach heirathen, denn Stella wird den naturlich nicht nehmen!“

Grimms dunkle Augen funkelten seltsam.

„Ein reizender Gedanke, mein guter Brühl! Du bist ein liebevoller Vater!“

Die Betonung dieser Worte, die eigen klang, mußte dem Angeredeten wohl entgangen sein, denn er entgegnete ganz harmlos: „Ja, das bin ich auch!“




9.

Die Unterredung der beiden Herren wurde unterbrochen, da die ersten Gäste erschienen. Wolfgang war selbstverständlich bei dieser Kunde wie Spreu vor dem Winde davongestoben, und Frau Molly konnte beruhigt ihr Haupt erheben, da keines von ihren kompromittierenden Jüngsten mehr in der Nähe war.

Sie hob dies Haupt sehr hoch, als der Maler Hilt ihr entgegentrat – mein Gott, das war der Zeichenlehrer ihres Sohnes, ein Mensch, der durchaus keine Rolle spielte, ewig Schulden haben sollte und in dem Ruf stand, sehr frivol zu sein. Aber sie neigte dasselbe Haupt sehr tief, als Seine Durchlaucht Prinz Alexander Riantzew vor ihr stand und ihr aus den verschleierten Augen einen etwas müden Blick spendete. Die Dame hieß ihn in warmen Worten willkommen und wandte sich lebhaft um.

„Durchlaucht haben meine Tochter noch nicht begrüßt? Durchlaucht möchten sich eines Tanzes versichern? Stella! Sie stand doch eben noch in meiner Nähe! Stella! Wie ungeschickt! Wenn ich wüßte, wo sie geblieben ist. Sie wird jederzeit so von den Herren umringt – man verwöhnt mir die Kleine sehr, mein Prinz, es ist für mich als Mutter keine ganz leichte Aufgabe –“

„Ah, ich begreife sehr wohl!“ entgegnete der Prinz etwas gedehnt – er fand es langweilig, dieser verblühten, anspruchsvollen Schönheit Rede zu stehen, während er sich soviel bessere Unterhaltung versprechen durfte. Dieser Hamburger Senator machte ein hübsches Haus! Die Räume sammt ihrer Einrichtung konnten sich sehen lassen – des Prinzen verwöhnte Augen stießen nirgends auf ein Zuviel – alles harmonisch, geschmackvoll! Und wieviel reizende Mädchen! Hier ein blendender Nacken, dort ein edles Profil, ein anmuthiger Wuchs. „Hm!“, machte er halblaut in beifälligem Ton … wenn es die Senatorin hörte, schadete das nichts!

„Ach, lieber Hilt, bitte auf ein Wort! Ihr rasches Künstlerauge hat vielleicht entdeckt, wo meine Tochter sich befindet; Sie haben wohl die Güte, sie mir herzubringen.“

Hilt verbeugte sich und ging quer durch den Saal, einer Gruppe entgegen, in welcher er soeben Stella erblickt hatte. „Rasches Künstlerauge!“ brummte er für sich. „Hat sich was! Mich ihrem Prinzen vorzustellen, das fiel ihr nicht bei, dazu bin ich ihr nicht vornehm genug. Alte hochmüthige Gans, die!“ Laut fügte er hinzu:

„Mein allergnädigstes Fräulein, ich komme in höherem Auftrage, als Abgesandter Ihrer verehrungswürdigen Frau Mutter, um Sie zu ihr zu entbieten!“

„Ich komme!“ nickte das schöne Mädchen freundlich. Sie war gegen alle Welt freundlich, das fiel ihr ja leicht und konnte immer einmal gute Früchte tragen. Hilts dargebotenen Arm schien sie jedoch nicht zu sehen, wie sie neben ihm einherschritt. Er sah sie athemlos vor Bewunderung an – vor solcher Schönheit hielt selbst sein kaltblütiger Cynismus nicht Stand; er wollte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_676.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2023)