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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

vergeblich bemühte, das schwere Meßbuch von der Stelle zu bewegen.

„Du liebe Zeit, das sind ja die Zwilling’ von droben!“ hieß es jetzt von allen Seiten.

Der Pfarrer hob das in Thränen ausbrechende Podenzl auf die Erde, Podagratzl fuhr gleichzeitig aus dem Schlaf empor, und nun klammerten sich beide Kinder wie zwei verirrte Schäflein an den Rock des Geistlichen, der sie zur Kirche hinausführte, begleitet von den ganz in Mitleid für die Kleinen aufgehenden Spittelweibern.

Nur die paar Mannen humpelten eilig weiter, der Gemeindediener voran, hinter dem Birzel wüthend dreinschimpfte:

„Du weckst mich wieder, Kerl, wart’, Du weckst mich wieder!“

„So, Kinder,“ fing der Geistliche draußen an, wobei ihm ein paar Weiber andächtig mit den Lichtern ins Gesicht leuchteten, „vor allen Dingen, wo ist die Mutter?“

„Daheim,“ heulte Podenzl, und das schlaftrunkene Podagratzl jammerte laut auf:

„Ja, heim, heim will ich!“

„Seid Ihr denn ganz allein in der Kirche gewesen?“

„Ja!“

„Was habt Ihr denn da wollen so spät?“

„Weiß nit,“ sagte Podagratzl, das bedächtige Podenzl jedoch erklärte:

„s’ Kirchenbuch haben mir wollen.“

Längst schon hatte sich ein kleiner Lichtschein vom Berge her dem Thale genähert, jetzt tauchte er in der schmalen Gasse auf, und als eben der Pfarrherr mit den Spittelweibern über das Schicksal der beiden Kinder berathschlagte, stand dessen Elternpaar mit der Stalllaterne vor dem erregten Häufchen Menschen.

„Jesus, da sind sie ja!“ kreischte die Bäuerin auf und riß ihre beiden Kinder an sich, während der Bauer die Laterne hoch hielt und alles zusammen schwatzte und zeterte.

„Liebe Frau,“ unterbrach der Geistliche den allgemeinen Lärm, „erklärt mir doch: die Kinder waren in der Kirche und wollten ’s Kirchenbuch –“

„Ja, ja,“ fiel ihm Podenzl in die Rede, „’s Podagratzl hat gesagt, wir holen ’s Kirchenbuch für die Mutter, daß sie nimmer weint.“

„Da haben wir’s wieder,“ jammerte die Bäuerin, auf deren Schulter die Anstifterin allen Uebels bereits im besten Schlummer lag, „immer ’s Podagratzl! Wo das Kind nur seine Dummheit her hat? ’s ist nit zum Sagen, was ich mit dem Kind seiner Dummheit aussteh’. Und daß ich’s nur grad’ sag’, Herr Pfarrer, weil’s halt jetzt doch schon halbwegs verrathen ist – sie haben’s gehört, wie ich mich verlamentiert hab’, daß ich ihre Namen nit weiß und mich schäm’, danach zu fragen, und sie halt nit um die Welt im Kalender finden kann, und weil wir die Taufschein’ verloren haben, und die Kinder in die Schul’ sollen, und sie halt nirgends sonst als im Kirchenbuch stehen, da hat halt ’s Podagratzl – ich sag’s ja, wir sind gestraft mit dem Kind – in seiner Dummheit wieder was angestellt, und wir sind droben fast vergangen vor Angst, wo die Kinder hingekommen sind, und Gott sei Lob und Dank, daß wir sie wieder haben!“

Sämmtliche Weiber nahmen mitfühlend Antheil an dieser Auseinandersetzung, der Geistliche aber sagte:

„Macht, daß Ihr mit ihnen heimkommt, und daß Ihr’s wißt: ’s Podagratzl heißt Pankratia und ’s Podenzl Hortensia; jetzt behaltet’s, und somit Gott befohlen!“

„Du,“ sagte die Bäuerin zu ihrem Mann, als sie, jedes mit einem Kind auf dem Arm, ihren Berg hinaufzogen, „das wollen wir aber gewiß nimmer vergessen; weißt was, ich hab’ eine Idee, jetzt sagst Du auf dem ganzen Heimweg nichts anderes vor Dich hin als Horenzl, und ich will Pankatzl sagen, dann wird’s, so Gott will, sitzen, und wir sind unser Kreuz los.“




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Die Vertheilung Afrikas unter die europäischen Mächte.

Von Brix Förster. Mit einer Uebersichtskarte.

Als zu Anfang der achtziger Jahre Stanley die ersten Grundsteine zum Aufbau des künftigen Kongostaates mit der Behauptung gelegt hatte, ein zweites Indien dem ausfuhrbedürftigen Europa erschlossen zu haben, da erscholl in Deutschland der schmerzliche Ruf: „Jetzt ist die Welt ganz vertheilt und wir stehen wieder mit leeren Händen und Taschen da!“

Kaum aber hatte Lüderitz ungeheure Strecken, wenn auch scheinbar wüsten Landes, durch Verträge mit eingeborenen Häuptlingen erworben, kaum hatte das Deutsche Reich zu allgemeiner Ueberraschung seine Flagge in Togo und Kamerun gehißt, da zeigte es sich, daß noch weitausgedehnte Gebiete innerhalb des afrikanischen Festlandes unberührt und herrscherlos dalagen und daß einzelne Sitze an der Küste, die von politischer Bedeutung oder von Wichtigkeit für den Handel waren, nur den Schein einer Herrschaft bis in das Innere verbreitet hatten. Dem Vorwärtsdrängen von den Gestaden des Atlantischen und Indischen Oceans aus gab die Berliner Kongokonferenz von 1885 eine vorläufig geregelte Richtung, indem sie das Hinterland dem Besitzer des Küstenstriches zuerkannte, zugleich aber die Besitzergreifer mit Einsetzung einer wirksamen Behörde belastete. Am raschesten und tiefsten griff darauf der Entdeckungszug des deutschen Forschers Peters in den dunklen Welttheil hinein; durch die Zertrümmerung der Scheinherrschaft des Sultans von Sansibar schuf er freie Bahn für weitblickende Kolonialunternehmungen, sodaß die seit Jahrzehnten an der Küste thätigen Engländer erkannten, die Zeit allmählicher und langsamer Ausbreitung ihres Einflusses sei jetzt vorüber und ein thatkräftiges Vorwärtsgehen auch ihrerseits geboten. Franzosen und Portugiesen wurden von demselben Ausbreitungstrieb erfaßt. Die Grundlagen und die Ausgangspunkte der kolonialen Eroberungszüge nach dem Inneren waren durch gegenseitige Abkommen der betheiligten Staaten wohl vorläufig geregelt; allein von Jahr zu Jahr verlängerten sich die zu kurz bemessenen Ansatzlinien, und es ergab sich, daß diese so, wie sie den verschienenen Nationen angehörten und zugebilligt waren, nicht parallel zu einander verliefen, sondern sich kreuzten und zu Zwistigkeiten führen mußten. Das sollte vermieden werden, um so mehr, als anerkannt gültige Vorrechte bei dem Mangel thatsächlicher Besitzergreifung häufig fehlten. Man einigte sich endlich im Sommer 1890 und Frühjahr 1891 in den Abmachungen zwischen Deutschland, England, Frankreich, Italien und Portugal, welche das Kolonisationsgebiet jedes einzelnen Staates begrenzten; allein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_698.jpg&oldid=- (Version vom 11.10.2023)