Seite:Die Gartenlaube (1891) 699.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

auch hier gelang es nicht, einen vollkommenen Abschluß zu erzielen, da einzelne „Interessensphären“ in gänzlich unerforschte oder noch nicht genügend erforschte Gegenden verlaufen und deshalb hier die Grenzlinie hätte ins Blaue hinein gezogen werden müssen.

Nachdem durch eine derartige vorläufige Vertheilung Afrikas eine gewisse Stetigkeit in das koloniale Drängen gekommen ist, so mag es erwünscht sein, den Werth und die Entwicklungsfähigkeit sämmtlicher, also auch der längstbestehenden europäischen Kolonien in Afrika, ihre Beziehungen zu einander und die Möglichkeit künftiger Meinungsverschiedenheiten einer Betrachtung zu unterwerfen.

Bei der Werthbeurtheilung der europäischen Besitzungen in Afrika, namentlich in dem innerhalb der Wendekreise gelegenen Theil desselben, hat man sich einerseits vor allzu hoffnungsvoller Vergleichung mit den Leistungen anderer Welttheile und damit vor Ueberschätzung zu hüten, andererseits aber ebenso vor Unterschätzung sämmtlicher Kolonien in Bausch und Bogen, mit Rücksicht auf die thatsächlich seit Jahrzehnten sich steigernde Ertragsfähigkeit einzelner Gebiete. Afrika birgt nicht den überquellenden Reichthum an kostbaren Naturerzeugnissen wie Ost- oder Westindien; es liefert nur dann Schätze von namhaftem Betrage, wenn andauernde geistige und körperliche Thätigkeit von Europäern in Verbindung mit europäischem Kapital die Kulturarbeit übernimmt. Da – abgesehen von der Mittelmeerküste und von Abessinien – allein in Südafrika die klimatischen Verhältnisse eine massenhafte Verwendung europäischer Arbeiter gestatten, so ist auch Südafrika das lohnendste Kolonisationsfeld geworden und geblieben. Die Thatsache, daß die übrigen Kolonien der Engländer, Franzosen und Portugiesen im „tropischen“, innerhalb der Wendekreise gelegenen Theil von Afrika trotz jahrzehnte-, ja jahrhundertelangen Bestehens nur einen verhältnißmäßig bescheidenen Ertrag abwerfen, verringert unbedingt die allgemeine Glaubwürdigkeit und Brauchbarkeit jener Reiseberichte, welche in begeisterten Worten von einem „Paradies“ Innerafrikas zu erzählen wissen. Die vorhandene und durch europäischen Einfluß gewiß zu vermehrende Menge von Naturerzeugnissen im tropischen Afrika reicht gerade hin, um den Aufwand von Kräften und Kapital einigermaßen zu rechtfertigen und mäßige Ansprüche auf Gewinn zu befriedigen.

Nordwestafrika, von Tripolis bis zu den Mündungen des Niger, zerfällt in zwei Handelsgebiete: im Norden und Westen herrscht der französische, im Süden der englische Einfluß vor. Frankreich gebietet hier über zwei alte Kolonien, Algier und Senegambien, welche zwar durch die Sahara auseinander gehalten sind, in Timbuktu aber einen magnetisch wirkenden Vereinigungspunkt besitzen. Während die Wüste ein Fortschreiten vom Mittelmeer nach Süden wesentlich hemmte, wurde vom Atlantischen Ocean aus der zeitweise weithinauf schiffbare Senegal die verlockende Straße, welcher die Franzosen bis tief in das Innere folgten, bis sie den Niger und mit ihm einen Wasserweg nach Timbuktu erreichten. Der Reichthum Senegambiens an Erdnüssen, Gummi, Palmöl, Straußenfedern und Elfenbein und namentlich die ungemein fruchtbaren Gebirgsgegenden von Futa Djalon und die märchenhaft glitzernden Goldländereien von Bure übten in früheren Zeiten eine mächtige Anziehungskraft aus, die jedoch allmählich sich abschwächte. Der vermeintliche Goldreichthum erwies sich als geringwerthig, die Kosten der Verwaltung sind äußerst hoch. Die französische Kolonialpolitik strebt deshalb danach, durch gewinnreichere Handelsbeziehungen bis tief in das Innere des Landes die Höhe der Ausgaben auszugleichen; sie begnügt sich nicht mehr mit der Beherrschung des oberen Senegal und des Nigerlaufes bis Timbuktu, sondern sie strebt unzweifelhaft danach, in dem ganzen Bereich zwischen dem Nigerbogen und der Guineaküste (also in Wassullu, Kenedugu, Kong, Muschi und Dagomba) ihren Einfluß zum allein geltenden zu machen. Als Stützpunkt dienen die alten gesicherten Besitzungen am oberen Niger und am Golf von Guinea, Groß-Bassam und Porto Novo. Damit aber droht Frankreich in den englischen Machtbereich an der Goldküste und in den deutschen im Togolande hinterrücks einzugreifen. Salaga ist der Punkt, wo es seine Kraft einsetzen müßte, um sich des gesammten Handelsverkehrs zwischen dem West-Sudan und der Südküste zu bemächtigen. Deutschland hat sich schon mit England über die Neutralität von Salaga verständigt. In der Zukunft liegt es, ob Frankreich diese Neutralität anerkennen wird oder nicht. Von den wichtigen Haussastaaten (Sokoto und Adamaua) sind die Franzosen durch ihren jüngsten Vertrag mit England ausgeschlossen. Dagegen ist ihnen der unbehinderte Zugang nach Bornu vom Mittelmeer aus vollkommen gesichert worden. In jüngster Zeit hatte man in der französischen Expedition Crampels (1890/91), welche vom Kongo und Ubangi aus in gerader Linie nach Norden ging, um den Weg zum Tsadsee und nach Bornu aufzuschließen, eine That von außerordentlicher kolonialpolitischer Tragweite gesehen. Allein nach den neuesten Nachrichten ist die Unternehmung auf dem Marsche verunglückt.

Eingekeilt in Französisch-Senegambien liegen die englischen Niederlassungen am Gambia und in Freetown, sowie Portugiesisch-Guinea. Hier begnügt man sich mit den nicht gerade bedeutenden Erträgnissen der Küstenstriche. Die Engländer haben sich von den Franzosen in der Ausdehnung des politischen Einflusses nach dem Inneren (Futa Djalon) überflügeln lassen. Es ist bisher eine Eigenthümlichkeit der englischen Kronkolonien gewesen – und zu diesen gehören die an der Guineaküste gelegenen –, alle Kraft auf die Ausbeutung der vom Meer oder von den Flüssen aus zu beherrschenden Landstriche zu vereinigen und den etwaigen Zuzug aus dem Hinterland abzuwarten, es sei denn, daß ihre Küstenstellungen durch unmittelbare Feindseligkeiten, wie z. B. 1873 durch die der Asante, ernsthaft bedroht würden.

Den südlichen Theil des Handelsgebietes von Nordwestafrika nehmen in zunehmender Stärke die Engländer ein: an der Goldküste, in Lagos, den Niger und Benuë aufwärts bis in das Herz der Haussastaaten, im Oelflüssegebtet von den Nigermündungen bis zum Old Calabar. Die Begrenzung nach dem Inneren ist an der Goldküste und bei Lagos bestimmt gezogen, auch für die „Royal Niger Company“ (wenige Kilometer landeinwärts zu beiden Seiten des Niger bis Bida und des Benuë bis Ribago), welche bis tief in die Haussaländer eingreift. Der neueste englisch-französische Vertrag, welcher den Einfluß Frankreichs durch die Grenzlinie Say-Barrua von den reichen Ländern zwischen dem mittleren Niger und dem Tsadsee ausschließt, weist auf die Absicht Englands hin, mit der Zeit auch Bornu, und zwar von der Grundlage des Niger und Benuë aus, in seinen Machtkreis zu ziehen. Die wichtigsten Ausfuhrartikel der Guineaküste sind: Palmöl, Palmkerne, Gold, Kautschuk, Kolanüsse, Elfenbein. Gold wird nur als Goldstaub in ziemlicher Menge an der Goldküste gewonnen. Am meisten von allen englischen Kolonien in Nordwestafrika gedeihen die Unternehmungen der „Royal Niger Company“; sie besitzt 50 bis 60 Stationen und eine Stromflotte von 20 bis 30 Dampfern.

Als die für England empfindlichste Einkeilung in seinen Kolonialbesitz am Golf von Guinea muß die aufblühende deutsche Niederlassung im Togoland angesehen werden. Die Engländer hatten es daher an den mannigfachsten Ränken gegen uns nicht fehlen lassen, um mindestens die Entwicklung der deutschen Kolonie zu hemmen, bis endlich mit dem Abkommen vom 1. Juli 1890 das Hinterland, das wir für Togo nothwendig brauchen, uns gesichert und dadurch der altgewohnte Karawanenverkehr wieder von Salaga nach Lome, also in deutsches Gebiet geleitet wurde. Die mit Frankreich vereinbarte Ostgrenze von Togo reicht nur bis 7° 50′ nördlicher Breite; sie bedarf bei zunehmender Ausdehnung der beiderseitigen Handelsbestrebungen eines endgültigen Abschlusses in nordwestlicher Richtung. Togoland ist ungemein fruchtbar und liefert nicht nur eine reichliche Ausbeute an Palmöl und Kautschuk, sondern verspricht auch dem jetzt begonnenen Plantagenbau von Kokospalmen und Baumwolle lohnende Früchte. Endlich verdient das Hochland nördlich des Abossogebirges Beachtung, da es sich vielleicht zu einträglicher Schafzucht eignet.

An der Westküste von Afrika folgen aufeinander, durch bestimmte Grenzen fast überall geschieden, das deutsche Kamerun, Französisch-Kongo (Gabonie), der Kongostaat, das portugiesische Angola, das deutsche Südwestafrika und das englische Kapland.

Die Nordgrenze von Kamerun konnte bei der Mangelhaftigkeit des vorhandenen Kartenmaterials noch nicht genau zwischen Deutschland und England festgestellt werden, vorläufig gilt als solche eine von der Mündung des Old Calabar nach Jola in Adamaua gezogene Linie. Gegen Osten dehnt sich Kamerun bis jetzt noch uneingeschränkt aus. Doch hat die erwähnte Expedition des Franzosen Crampel gerade den Raum zu durchschneiden versucht, welchen wir bisher als unerforschtes und herrenloses Hinterland in Gedanken zu unserer Kolonie geschlagen haben. Eine billige Verständigung mit den Franzosen dürfte jedoch um so

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 699. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_699.jpg&oldid=- (Version vom 24.9.2023)