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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Nr. 44.   1891.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

In Wochen-Nummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pf.   In Halbheften: jährlich 28 Halbhefte à 25 Pf.   In Heften: jährlich 14 Hefte à 50 Pf.



Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Ein Götzenbild.

Roman von Marie Bernhard.

(8. Fortsetzung.)

Herr Grimm legte seinen Arm in den Andrees und zog ihn mit sich durch ein paar Räume, die ganz und gar mit Topfgewächsen angefüllt waren. Auf den breiten Fenstersimsen, auf hohen und niedrigen Gestellen, auf abgesägten Baumstämmen, auf Blumentischen und Trittleitern grünte und sproßte und blühte es – in mächtigen Kübeln hochragende Blattgewächse, die mit ihren grünen gefiederten und gezackten Kronen fast an die Zimmerdecke rührten, kriechende und niedrig wuchernde Pflanzen, die sich aus ihren Behältern herausrankten, seltene Rosen, Maiblumen, Flieder, Narzissen, stachlige Kakteen und blüthenbesäte Azaleen – das stand alles da, wohlgeordnet, wohlgepflegt, und das Blühen und Gedeihen legte Zeugniß ab für des Hausherrn sorgsame Pflege.

Er konnte denn auch nicht so ohne weiteres an seinen Blumenkindern vorbei. Eine kleine Blumenspritze und ein Gartenscheerchen in der Hand, stäubte und schnitt er im Weiterschreiten da und dort eine Ranke ab und machte seinen Gast mit ein paar Worten auf dies oder jenes besondere Gewächs aufmerksam. Andree freute sich an der grünen und bunten Pflanzenwelt, verstand aber nichts von Blumen und brachte es deshalb nur zu einigen allgemeinen Bemerkungen. Herr Grimm merkte das und führte ihn rasch durch ein paar andere Zimmer in ein längliches Gemach mit drei hohen Fenstern, das er seine Bildergalerie getauft hatte.

Hier fand der Maler einige sehr tüchtige Kopien alter Meister, namentlich von Murillo, Rubens und Rembrandt, vorwiegend aber neuere Bilder aus der Münchener Schule, zumeist alte Bekannte, die wiederzusehen ihn lebhaft interessierte – darunter auch eines der besten Stillleben von Hilt, einen Kristallkrug, zur Hälfte mit tiefrothem Wein gefüllt, dazu eine Schale mit Austern, von halbzerschnittenen Citronen gekrönt, und zwei gekochte Hummern, alles wie eilig auf einem verschobenen feinen Damasttischtuche serviert. – Und hier seitwärts, neben einem behaglichen Klosterbruder von Eduard Grützner, der sein Maßkrüglein unter den Krahn eines Weinfäßchens hielt, war auch Andrees „Pescatore“, ein flott und keck hingeworfenes Bild, zum Staunen lebensvoll. Diese bröcklige, im heißen Sonnenschein in grellem Gelb strahlende Mauer, auf welcher der Junge sitzt, das Stückchen wolkenlosen Himmels drüber, unten angedeutet ein glitzernder Wasserstreifen – und nun dieser barfüßige zerlumpte Bengel, ganz Eifer, ganz leidenschaftliche Spannung, den Oberkörper weit vorgebeugt, das


Weintraubenverkäufer in Wolhynien.
Nach einer Zeichnung von T. Rybkowski.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 741. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_741.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2023)