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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

ihrer Sicherheit einen Kürassierposten vor die Thür. Als Gefangene betrachteten sie sich nicht; der Sekretär Fischer blieb zwar auf seinem Zimmer, aber der Diener verkehrte unbehindert in der Gaststube.

Am Sonntag mittag verreiste der Kapitän von Klitzing trotz seines Unwohlseins und kehrte erst am Montag abend zurück. Er war entweder nach Kyritz gefahren, um dem dort stehenden Kommandeur seines Regiments dienstliche Meldung abzustatten, oder, was wahrscheinlicher ist, nach Berlin, um sich mit dem Gouverneur und dem Polizeipräsidenten in Verbindung zu setzen. Die Reise nach der in der Luftlinie sechzehn Meilen entfernten Hauptstadt und zurück ist in so kurzer Zeit zwar anstrengend, aber mit Extrapost und Kurierpferden nicht unmöglich. Am 1. Dezember theilte der Landesdirektor von Rohr dem Magistrat zu Perleberg mit, daß der Kapitän Klitzing von dem Gouvernement in Berlin ermächtigt sei, „in dieser Angelegenheit mit Vermeidung aller Publicität allein und für sich zu verfahren“. Ebenso wurde das damalige Stadtgericht in Perleberg angewiesen, nicht selbständig einzuschreiten, sondern dem Kapitän für die Untersuchung freie Hand zu lassen.

Diese Uebertragung der Leitung aller Nachforschungen und Untersuchungen auf den Kapitän von Klitzing läßt nur eine Erklärung zu: die Behörden in Berlin, welche Namen und Stand des Gesandten gekannt haben müssen, sind auf den mündlichen oder schriftlichen Bericht Klitzings, besonders in Rücksicht auf die diesem bekannt gewordenen Befürchtungen des Fremden vor französischen Nachstellungen, zu der Ueberzeugung gekommen, daß beim Verschwinden Bathursts die französische Geheimpolizei die Hand im Spiele habe. Preußen, bei Jena besiegt und in Tilsit beraubt und geknebelt, seufzte damals unter dem Druck französischer Besatzungen und Kriegskontributionen; es hatte gegründete Ursache, den Unwillen Napoleons nicht wachzurufen. Die preußischen Behörden wollten deshalb alles vermieden wissen, was in Paris Anstoß erregen könnte. Hatte die französische Polizei den Gesandten heimlich aufheben und gefangen setzen oder töten lassen – und das schien allerdings so – so sollten preußische Behörden nicht diejenigen sein, welche diese Vorgänge ans Licht zogen. Man hätte sich damit mißliebig gemacht, und die Folgen wären nicht abzusehen gewesen; die Ungnade Napoleons, der eben erst die Oesterreicher besiegt hatte und wußte, daß in Preußen die Neigung bestanden hatte, ihnen beizuspringen, bedrohte den Bestand des Staates. Nach dem Sturze Napoleons freilich ließen sich die preußischen Oberbehörden an die mißliche Rücksicht und Abhängigkeit, welche sie bei dieser Untersuchung gezeigt hatten, ungern erinnern; noch mehrere Jahrzehnte hindurch durfte innerhalb des preußischen Staatsgebietes die „Frage Bathurst“ in Zeitschriften oder Büchern nicht erörtert werden.

Daß unter den gegebenen Umständen die Nachforschungen, welche unter Kapitän Klitzings Leitung angestellt wurden, in vielen Punkten unzulänglich blieben, darf nicht wunder nehmen. Der Kapitän wird uns als ein tüchtiger und einsichtiger Mann geschildert, und er nahm sich der Sache mit Eifer an, aber er handelte offenbar unter dem Einfluß der Befürchtung, daß die Untersuchung seinen Händen entschlüpfe, daß mehr als nöthig über sie bekannt werde und daß sie eine Wendung nehme, die in Berlin und Paris unerwünscht sein könnte. Nur so ist es verständlich, wenn wir erfahren, daß er über eine Vernehmung des Dieners Hilbert durch die städtischen Behörden in großen Zorn gerieth. Es entspann sich darüber und über andere ähnliche Anlässe ein unerquicklicher Zwist, bei dem die Regierung den Stadtbehörden, das Gouvernement von Berlin dem Kapitän Recht gab; der König entschied endlich, daß Klitzing im Verkehr mit den Stadtbehörden rücksichtsvollere Ausdrücke wählen solle. Die Stadtbehörden ihrerseits thaten ihr Bestes, aber ihnen waren die Hände gebunden, und daß man höheren Orts Vorsicht wünschte, blieb auch ihnen nicht verborgen. Als es ihnen unwahrscheinlich wurde, daß der Fremde nur ein „Kaufmann Koch“ gewesen sei, ersuchten sie den Kapitän, ihnen den wahren Namen des Fremden anzugeben und näheres über ihn mitzutheilen. Aber der Kapitän schrieb ihnen unter dem 8. Dezember, er werde über Koch Mittheilungen geben, wenn die Ermächtigung dazu seitens der Oberbehörden vorliegen werde. Nur das Gouvernement in Berlin, an welches Klitzing allein berichtete, hätte diese Ermächtigung geben können; es gab sie aber nicht. Als die Familie Bathurst für Nachweise und Entdeckungen über den Verschwundenen eine Belohnung von fünfhundert Thalern aussetzte, sollte dies zwar in der Gegend bekannt gegeben werden, aber ohne öffentlichen Aufruf. Hätte übrigens auch die städtische Polizei, hätte auch Klitzing ohne jede Nebenrücksicht und ohne jedes nicht in der Sache liegende Hinderniß vorgehen können, so würde ihnen beiden doch die Erfahrung gefehlt haben, die nur ein gewiegter Untersuchungsrichter oder Polizeibeamter haben kann. So ist es gekommen, daß wichtige Feststellungen, welche in den ersten Tagen und Wochen noch zu beschaffen gewesen wären, nicht beschafft wurden. Es ist versäumt worden, alle Personen, welche in Perleberg mit dem Gesandten in Berührung kamen, zu ermitteln, sie eingehend zu vernehmen und Verdächtige zu überwachen und zu beobachten. Außerdem haben einige Protokolle, welche damals aufgenommen wurden, später nicht mehr aufgefunden werden können, so daß man sich über manche Aussagen und Vorgänge nicht mehr genau unterrichten kann.

Als der Kapitän Klitzing den Sekretär und den Diener des Gesandten am Abend des 25. November aus dem „Weißen Schwan“ nach einem anderen Gasthofe führte, hörte er von dem Sekretär, daß dessen Pelz und der Pelz Bathursts im Posthause liegen geblieben seien. Es ergab sich, daß die Frau des Postwagenmeisters und Briefträgers Schmidt, welche im Posthause aufzuräumen pflegte, spät abends die Pelze an sich genommen hatte. Der dienstthuende Postsekretär hatte ihr gesagt, fremde Sachen dürften nachts nicht im Posthause bleiben; sie möge sie am folgenden Morgen wiederbringen, damit sie den Eigenthümern nachgeschickt werden könnten. Er nahm wohl an, daß die beiden anderen Kaufleute, welche den Tag über theils in der Post, theils im „Weißen Schwan“ verweilt hatten und abends abgereist waren, die Eigenthümer der Pelze seien. Als der Kapitän die beiden Pelze von der Frau Schmidt fordern ließ, verabfolgte sie nur einen, den des Sekretärs; von einem zweiten behauptete sie nichts zu wissen. Doch wurde dieser Pelz, der viel kostbarer als jener war und als der Pelz des Gesandten erkannt wurde, im Holzstall der Familie Schmidt aufgefunden, wo der Sohn der Frau, August Schmidt, ihn unter dem Holze versteckt hatte. Nach einer englischen Erzählung dieser Vorgänge, welche zumeist auf den durch die Bathurstsche Familie angestellten Ermittelungen beruht, besteht sogar ein Zweifel darüber, ob auch Bathursts Pelz im Posthause geblieben und nicht vielmehr ihm oder seiner Leiche geraubt war, ehe er bei den Schmidts gefunden wurde. August Schmidt hatte nicht den besten Ruf. Er trieb sich viel in Schenken umher und spielte gern um Geld; zeitweilig fiel sein Aufwand auf. Von Beruf Weißgerber, hatte er damals keine bestimmte Beschäftigung und lebte meist von den Trinkgeldern, die er sich durch Dienstleistungen von den Postreisenden verdiente. Zu solchen Dienstleistungen eignete er sich deshalb, weil er sich auf seiner weiten Wanderschaft Sprachkenntnisse erworben hatte und z. B. im Verkehr mit französischen Offizieren den Dolmetscher spielen konnte. Wegen der Pelze zur Verantwortung gezogen, wurde er vom Gericht ebenso wie seine Mutter nur wegen Diebstahls zu acht Wochen Gefängniß verurtheilt. Die Frage, ob er nicht von dem Verschwinden des Gesandten selbst wußte und etwa daran betheiligt war, erledigte das Gericht unglaublicher Weise damit, daß es sich mit einem von August Schmidt geführten Alibibeweis beruhigte, der darin bestand, daß Schmidt in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag in mehreren Schenken gesehen worden war. Die vom Generalpostamt zu Berlin an das Perleberger Stadtgericht ergangene Aufforderung, zugleich festzustellen, ob August Schmidt an zahlreichen bei Perleberg in letzter Zeit verübten Postdiebstählen betheiligt gewesen sei, blieb unerfüllt. Nach Jahr und Tag forschte eine von Berlin nach Perleberg gesandte Gerichtskommission noch einmal nach dem Thun und Lassen Schmidts an jenem Sonnabend, aber es wurde nichts mehr ermittelt.

An dem Sonntage, welcher auf diesen Sonnabend folgte, wurde die durch Perleberg fließende Stepenitz durchsucht, an den folgenden Tagen sogar abgelassen. Man suchte in Gräben und offenen Brunnen und durchstieß den lockeren Boden in Gärten mit Visireisen. Bürger und Bauern, Förster und Jäger durchforschten die Umgegend. Aber von dem Vermißten wurde keine Spur gefunden.

Der Sekretär Bathursts reiste am 10. Dezember mit einem von Klitzing ausgestellten Passe, der ihn diesmal als „Kaufmann Krüger“ bezeichnete, nach Berlin. Nach einem Schreiben des Polizeipräsidenten Gruner an den Magistrat zu Perleberg ist er am 16. Dezember dort eingetroffen. Der Diener Hilbert soll von Perleberg bis an die etwa zwei Meilen entfernte Elbe gewandert und dort übergesetzt sein. Weiteres erfährt man von diesen beiden Männern nicht.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_751.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2023)