Seite:Die Gartenlaube (1891) 759.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

auf ihr Machwerk nieder, setzte mit fliegender Hast eine Unterschrift darunter und faltete das Papier sorgsam zusammen, um es sammt dem Bleistift wieder wegzustecken. Das Knie that ihr weh, als sie es endlich wieder herunterließ, aber sie sah ganz schelmisch und zufrieden aus, als sie sich sachte davonschlich.




15.

„Du wunderst Dich natürlich sehr, daß ich zu Dir herauskomme, nicht wahr, Brühl?“

Mit diesen Worten trat Herr Grimm, der einstige Freund und Compagnon des Senators Brühl, in dessen Wohnzimmer.

„Du willst sagen, ich freue mich, daß Du mir einmal die Ehre erweisest, hierherzukommen, lieber Bernhard,“ rief der Senator eifrig. „Nimm diesen Fauteuil, lieber Freund, er ist am bequemsten. Ich kann es nicht ausdenken, seit wann Du zum letzten Mal auf der Uhlenhorst gewesen bist.“

„Nun, – auf der Uhlenhorst bin ich oft genug gewesen, – nur hier in Deiner Villa, – nein! Du weißt es, ich komme nicht gern hierher!“

Der Senator schien es wirklich zu wissen und mit einem geradezu körperlichen Unbehagen zu empfinden. Sein Fauteuil mußte lange nicht so bequem sein wie der, welchen er seinem Gast angeboten hatte, denn er rückte unruhig darauf hin und her und sah in das sonnenbeschienene Grün hinaus, das sich vor dem geöffneten Fenster hinzog.

„Du darfst nicht denken, daß ich den armen Einfaltspinsel, den Kuno, extra in der Stadt aufgelesen habe, um ihn Dir, beziehungsweise Deinen Damen als auserlesene Ueberraschung mitzubringen. Wir trafen zufällig zusammen, und ich konnte nicht umhin, das kleine Jammermännchen unter meine Flügel zu nehmen. Genug von ihm! Die Prinzessin wird schon wissen, was sie mit ihm anzufangen hat. Es ist Gerda, um derentwillen ich komme.“

„Gerda?“ Des Senators Stirn verdüsterte sich.

„Warum siehst Du so unzufrieden aus?“

„Ich? Lieber Grimm, weil Gerda mir Sorge macht.“ Er rückte dem Gast näher und legte seine Hand zutraulich auf dessen Knie. „Was soll einmal aus dem Mädchen werden, ich bitte Dich! Ich, wie Du mich da siehst, habe alle Hände voll damit zu thun, die Ansprüche meiner Frau und Tochter –“ er sprach, als ob er nur eine einzige Tochter hätte! – „zu befriedigen. Wenn man eine solche Tochter hat, dann giebt es Verpflichtungen, – kurz, – das begreift sich. Jetzt das Porzellanzimmer, – ein Wunder von Geschmack und Schönheit, aber natürlich auch an Kostbarkeit,“ – er lachte etwas gezwungen – „und ein großes Bild soll von ihr gemalt werden, – hier soll es ein Einweihungsfest geben, – ich muß mich geschäftlich nach allen Seiten hin stark engagieren, um nur diese häuslichen Ausgaben zu decken. Ja, wenn Du mir noch mit Deinem bewährten Rath, mit Deinem kolossalen Ueberblick und Deiner Geschäftskenntniß zur Seite stehen wolltest! Es giebt Deinesgleichen sobald nicht in der Hamburger Kaufmannswelt, und es würde mir vom ungeheuersten Nutzen sein –“

„Laß’ doch das, Brühl!“ unterbrach ihn Herr Grimm mit einer abwehrenden Handbewegung und völlig unbewegter Miene. „Du weißt, das ist vergebliche Mühe, und Du kennst auch meine Gründe dafür. Was hat das alles mit Gerda zu thun?“

„Ja so, – mit Gerda!“ Der Senator bemühte sich, seine Enttäuschung zu verbergen und einen Seufzer zu unterdrücken. „Ich meine eben, lieber Bernhard, ein solches Mädchen, das nun einmal so aussieht wie sie und also nicht die mindeste Aussicht bietet, einmal eine Partie zu machen, – ein solches Mädchen muß doch wenigstens etwas lernen. Ich lasse es mich ein gehöriges Stück Geld kosten, damit sie und der Junge vorwärts kommen“ –

„Aber nach der falschen Richtung!“ unterbrach ihn Grimm mit gerunzelter Stirn. „Weil der Junge träge und nicht sehr begabt zum Lernen ist, darum muß das arme Kind, Gerda meine ich, sich mit alten Sprachen und allerlei schwerem, unverdaulichem Zeug vollpfropfen, das ihr im späteren Leben nur unnützer Ballast werden kann, und das, wofür sie die Natur bestimmt hat und wofür sie Veranlagung besitzt, bleibt in ihr unterdrückt und unausgebildet. Du weißt es, ich habe mich all diese langen Jahre hindurch jeder Einmischung in Deine persönlichen Verhältnisse enthalten, und es fällt mir schwerer, als Du ahnst, mein mir gegebenes Wort zu brechen und dennoch meine Hand in Deine Angelegenheiten zu stecken. Aber das Kind dauert mich zu sehr, – Du kannst daraus ersehen, wie ich es ins Herz geschlossen habe.“

„Was findest Du an dem Mädchen?“

„Das ist nun meine Sache!“ fertigte Grimm die Zwischenfrage kurz ab. „Wenn Du, als ihr Vater, Dir nicht die Mühe gegeben hast, das Kind zu beobachten und festzustellen, was an ihm beachtenswerth und liebenswürdig ist, ich habe mich dieser Aufgabe unterzogen und weiß, was ich von Gerda zu halten habe. Und wenn sie weiter so erzogen und behandelt wird wie bisher –“

„Hat sie sich über ihre Erziehung und Behandlung bei Dir beschwert?“

„Gleichviel, ob sie das that oder nicht – mit einem Wort, ich bin gekommen, um Dir einen Vorschlag zu machen. „Ich bin Stellas Pathe geworden, damals, weißt Du, als wir noch gute Freunde waren. Nimm Du nun an, ich sei Gerdas Pathe! Die Prinzessin braucht mich nicht, – Gerda kann mich brauchen. Bei Stella stand Glück und Schönheit und Glanz und Freude mit mir als Pathe, – bei Gerda stehe ich ganz allein da. Du und Deine Gemahlin, Ihr fragt nichts nach Eurer jüngsten Tochter, – gut denn: gebt sie mir! Laßt mich Gerda zu mir nehmen als mein Kind und für sie sorgen! Sie zu einem guten, tüchtigen Menschen heranzubilden, soll meine Lebensaufgabe sein.“

Herr Senator Brühl saß ganz starr da wie eine Bildsäule. Wie mußte Grimm das unreife, unschöne Kind lieben, um ihm, dem Senator, von dem er sich lange Jahre hindurch so absichtlich fern gehalten hatte, ein solches Anerbieten, das ihre beiden Häuser selbstverständlich wieder in nähere Beziehung zu einander brachte, zu stellen? Der Senator hatte lange Zeit hindurch mit aller Kraft danach gerungen, diese näheren Beziehungen wieder herzustellen, denn er fühlte es immer wieder, wie sein kühles und fremdes Verhältniß zu dem ehemaligen Freund und Geschäftstheilhaber ihm bei seinen alten Geschäftsfreunden schadete und wie es ihnen immer noch zu denken gab. Jetzt, nach so langen Jahren, sollte das anders werden? Würde es ihm auch heute noch nützen? Würde Grimm ihm auch geschäftlich die Hand reichen, wie er, der Senator, es sich so sehnlichst wünschte? Doch wohl! Aber seine Frau, und vor allem seine Tochter Stella, – was würden sie sagen, wenn er so ohne weiteres über Gerda verfügte? Sie hingen nicht an dem Mädchen, es war ihnen beiden gleichgültig, das war sicher, – aber sie würden beide außer sich gerathen, wenn sie Herrn Grimms Pflegetochter würde, das war ebenso sicher.

Freilich, wenn Grimm forderte, wenn er ernstlich sein Anerbieten in die Form eines Verlangens kleidete, dann hatte Herr Senator Brühl zu gehorchen, das wußte er nur zu genau. Seine Gemahlin und Stella hatten sich oft genug heimlich und laut gewundert, daß der Gatte und Vater Herrn Grimm einen so großen Einfluß einräumte, sich jederzeit seinem Urtheil unterwarf und von seiner Familie geradezu forderte – er, der sonst kaum etwas zu erbitten wagte! – daß sie auf Herrn Grimm jederzeit Rücksicht nehme. Einmal hatte sich der Senator Stella gegenüber die Bemerkung entschlüpfen lassen, er sei seinem ehemaligen Compagnon lebenslänglich verpflichtet für einen Dienst, den dieser ihm einst geleistet habe. Welcher Art derselbe gewesen, davon hatte er kein Wort gesagt, und schon die kurze Andeutung schien ihn zu reuen. Aber er stand unter einem moralischen Zwang, und wenn Herr Grimm jetzt sagte: „Ich will Gerda haben!“ so hatte sich der Senator zu fügen und sie ihm zu geben. –

Er zwinkerte mit den Augen, fuhr sich mit der rechten Hand durchs Haar, so daß das Sperbergefieder sich mehr denn je sträubte, und feuchtete seine trocknen Lippen wiederholt mit der Zungenspitze an.

„Ich stehe, – ich stehe,“ brachte er endlich hervor – „ich stehe unter dem Eindruck einer ungeheuren Ueberraschung, und ich bitte Dich, damit zu rechnen – mit meiner wirklich ungeheuren Ueberraschung zu rechnen! Du siehst mich überwältigt, mein lieber, alter Freund! Du siehst mich, – ja, Du siehst mich (Herr Grimm sah ihn in der That, und zwar mit sehr scharfen, prüfenden Augen!) vollkommen fassungslos. Es ist dies von Dir ein Anerbieten, das mir als Vater, das meiner Frau als Mutter völlig

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_759.jpg&oldid=- (Version vom 21.11.2023)