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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

festgestellt und verfolgt? Man hätte auf diese Weise die Annahme eines politischen Mordes, die in Berlin und Paris anstößig war, am besten aus der Welt schaffen können.“ Aber wir haben gesehen, daß diese Anzeichen zunächst nicht deutlich genug waren; weil man auf Beweise für einen politischen Mord zu stoßen fürchtete, betraute man in Berlin mit der Untersuchung der Sache nicht einen erfahrenen Kriminalbeamten, der mehr Aussicht gehabt hätte, die Lösung der schwebenden Frage zu finden, als Klitzing und die Stadtbehörden. Wenn die polizeiliche und gerichtliche Untersuchung unter den obwaltenden Umständen Gewisses und auch den Raubmord nicht erwiesen hat, so wissen wir, welche Gründe und Rücksichten sie hemmten und lähmten. Die Ergebnißlosigkeit der Untersuchung ist noch kein Beweis gegen ein an Bathurst verübtes Verbrechen.

Es darf nicht vergessen werden, daß damals, als Bathurst verschwand, die Sicherheitspolizei mit allem, was dazu gehörte, seit Jahrzehnten im Argen lag. Die staatlichen Reformen hatten eben erst begonnen, und für die Sicherheitspolizei waren sie nicht weniger unerläßlich als für die Armee. Das damals lebende Geschlecht war im Zeichen der Stadtsoldaten herangewachsen, über die man lachen durfte, aber auch im Zeichen der Räuber und Beutelschneider, die das nothwendige Gegenstück zu den Stadtsoldaten bildeten und vor denen man auf der Hut sein mußte. In Preußen stand es besser als in den meisten andern deutschen Staaten, aber Schlaffheit und Ohnmacht der Behörden hatten wenigstens in den preußischen Grenzstädten, zu denen auch Perleberg gehörte, vielfach ein verwegenes Verbrecherthum großgezogen, das sich den Behörden vorläufig noch überlegen zeigte. Es ist ein bezeichnender Zug, daß das Generalpostamt in Berlin längst auf die häufigen Postdiebstähle bei Perleberg aufmerksam geworden war, ohne daß es wirksam dagegen einschreiten konnte. Als man in Berlin einen so verdächtigen Menschen wie August Schmidt endlich näher ins Auge faßte, war es für die Aufhellung seiner Beziehungen zu Bathurst schon zu spät.

Auf das Andenken des Dienstknechts Mertens fällt, wie erwähnt, in den erhaltenen Berichten kein Schatten; er wird uns als ein gottesfürchtiger Mann genannt. Aber der böse Fund in dem Stalle seines Hauses rechtfertigt doch, da die Leiche schwerlich ohne sein Wissen an dieser Stelle vergraben worden ist, die Zweifel daran, ob man den Mertens auch genau gekannt habe. Daß er in dem Gasthofe einer kleinen Stadt und noch dazu in einer untergeordneten Stellung so viel erwarb, um seinen Kindern außer seinem Hause auch noch achtzehnhundert Thaler hinterlassen zu können, ist ebenfalls auffällig.

Wir müssen auf die Entdeckung des Skeletts noch einmal zurückkommen. Es leuchtet ein, daß die Feststellung der Zugehörigkeit eines Schädels eine schwierige und mißliche Sache ist. Angenommen, ein Gerichtshof hätte einen gewiegten Anatomen, der mit Bathurst genau bekannt gewesen wäre, befragt, ob er den gefundenen Schädel als den Schädel Bathursts anerkenne oder nicht, so würde die bejahende wie die verneinende Antwort des Anatomen von großem Gewicht gewesen sein; aber selbst dann wäre es fraglich, ob der Gerichtshof es wagen würde, auf diese Antwort hin folgenschwere Schlüsse zu bauen, wenn nicht noch anderweitige Anzeichen hinzuträten. Was ein Laie in solchem Falle über einen Schädel aussagt, ist bedeutungslos, und das Nein, das die Schwester Bathursts beim Anblick des ihr gezeigten Schädels gesprochen hat, wiegt nicht mehr, als ihr Ja gewogen hätte. Eher als am eigentlichen Schädel kann ein Laie die Zugehörigkeit an den Zähnen erkennen, ein Zahnarzt kann es unter Umständen mit völliger Sicherheit. In diesem Falle kannte niemand das Gebiß. Wir hören nur, daß die Zähne bis auf einen alle vorhanden, aber infolge der Unvorsichtigkeit der Finder meist aus den Kiefern gefallen waren. Es läßt sich also sagen, daß das Wenige, was wir von dem Skelett wissen, wenigstens nicht gegen die Annahme spricht, daß hier die Ueberreste Bathursts gefunden worden seien. Die auf einen wuchtigen Schlag deutende Vertiefung im Hinterkopf würde in den als wahrscheinlich anzunehmenden Zusammenhang der Dinge genau passen. Das Mertenssche Haus lag, wie oben bereits gesagt ist, an der Chaussee, die der Wagen Bathursts einschlagen sollte, in einer aus wenigen und weit von einander getrennten Häusern bestehenden Vorstadt, und war nur dreihundert Schritt von dem Gasthofe entfernt, vor dem der Wagen hielt, es lag also zugleich in der Richtung, welche Bathurst nahm, als er an seinem Wagen vorüber auf das Parchimer Thor zuschritt. Weit kann Bathurst nicht gekommen sein, und ein lärmender Kampf, ein Aufsehen erregendes Geräusch, etwa gar der Knall von Schüssen, könnte die Ermordung nicht begleitet haben. Der Kopf Bathursts war nur durch eine Mütze geschützt. Ein Schlag, vom Rücken her mit einem Hammer, einem Brecheisen oder der stumpfen Seite eines Beiles auf den Hinterkopf geführt und von sofort tödlicher oder doch betäubender Wirkung, würde zu dem lautlosen Verschwinden Bathursts einerseits und zu dem Skelettfunde andererseits am natürlichsten stimmen.

Ueber die Personen, welche den Mord verübten, und über die Mittel, welche sie anwandten, um den Fremden zu jenem verhängnißvollen Gange von seinem Wagen hinweg zu bestimmen, kann man natürlich nur mehr oder minder wahrscheinliche Vermuthungen anstellen. Da wir nicht erzählen können, wie der Hergang gewesen ist, so wollen wir einmal erzählen, wie er gewesen sein kann.

Bathurst kam während seines etwa neunstündigen Aufenthalts im „Weißen Schwan“ und im Posthause mit August Schmidt mehrfach in Berührung. Das machte sich von selbst, denn Schmidt war als Sohn des Postwagenmeisters gewissermaßen der amtlich bestellte Diener der mit Extrapost reisenden Fremden. Ueberdies sprach Schmidt etwas französisch, und so konnte der Diplomat, welcher der deutschen Sprache nur unvollkommen mächtig war, sich mit ihm verständigen, besser jedenfalls als mit einer anderen Person im Gasthofe. Schmidt ist gegen den Fremden dienstbeflissen und zuvorkommend gewesen und hat bei Gelegenheit einiger für ihn ausgeführter Besorgungen wahrgenommen, daß derselbe über beträchtliche Geldmittel verfügte. Bathurst, der das Verkehren mit Bankiers auf seiner weiten Reise hat vermeiden wollen, um nicht seinen wahren Namen in fremden Städten bekannt geben zu müssen, hat eine große Geldsumme, einige tausend Thaler, und zwar meist in preußischen Goldstücken und Banknoten, bei sich geführt. Daß Schmidt für das Geld, für den auf mehrere hundert Thaler abgeschätzten Pelz und für den Brillanten des Fremden begehrliche Blicke hatte, ist diesem um so weniger aufgefallen, als seine Befürchtungen nicht einem möglichen Diebstahl oder Raub, sondern französischen Nachstellungen galten. Während er sich in seiner Aengstlichkeit und Verwirrung vor einer Gefahr fürchtete, die nur in seiner Einbildung bestand, übersah er die wirkliche Gefahr, die ihm unmittelbar drohte. Er hat dem Schmidt seine Besorgnisse offen mitgeteilt, schon weil er eine Art Bedürfniß fühlte, das wiederholte Bestellen und Abbestellen der Pferde, das Schmidt vermittelt hat, begründend zu entschuldigen. Aus einem willigen Diener ist Schmidt im Laufe des Nachmittags der vertrauliche Berather Bathursts geworden, während gleichzeitig der Plan zu einem Raubmord in ihm entstand und allmählich eine bestimmte Gestalt annahm. Ab- uud zugehend, fand Schmidt in den langen Nachmittagsstunden Zeit und Gelegenheit, sich mit Mertens, dessen Haus sich zur Ausführung der That eignete, ins Einvernehmen zu setzen und alle nöthigen Verabredungen und Vorbereitungen zu treffen. Mertens sorgte dafür, daß seine Angehörigen am Abend nicht zu Hause waren, und vielleicht wurde ein Grab für Bathurst schon gegraben, ehe er tot war.

Einige Leser lieben vielleicht ein „Wenn nun aber doch“ und geben ihm diesmal folgende Fassung: „Wenn nun aber doch August Schmidt von Franzosen einen Wink bekommen hätte? Mit dem Raubmord könnte ja der politische Mord vereinigt sein!“ Wir antworten: wäre ein solcher Wink ertheilt worden, so würde Schmidt zweifellos angewiesen worden sein, den Fremden, um ihn nicht mißtrauisch zu machen, nur mit dem Namen zu kennen und zu nennen, unter dem er reiste, also als den „Kaufmann Koch“. Der durch die oben erwähnte Perleberger Dame überlieferte, an sich gleichgültige Umstand, daß Schmidt unbedenklich von einem „Herrn Lord“ sprach, indem er das „Mylord“ der beiden Begleiter Bathursts in seiner Weise wiedergab, zeigt, daß das Verbrechen von französischer Seite nicht angeregt sein kann. Schmidt und Mertens handelten auf eigene Hand.

Wir lassen wieder unserer Einbildungskraft die Zügel schießen. „Ja. ja, Herr Lord,“ hat Schmidt zu Bathurst gesagt, „den Franzosen ist nicht zu trauen, und es kann wohl sein, daß die in der Stadt ihre Helfershelfer haben. Aber verlassen Sie sich auf mich. Wir hier kennen das schon, und ich habe schon mehr als einen Fremden weiterspediert, der nicht bekannt werden lassen wollte, wohin und wie und wann er fuhr. Wir machen das so:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_771.jpg&oldid=- (Version vom 17.6.2023)