Seite:Die Gartenlaube (1891) 772.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Sie bitten sich von dem Kommandanten Kürassiere aus, die bewachen Sie den Tag über. Am Tage fahren Sie nicht weiter, denn da könnte man auf Sie aufmerksam werden und Sie verfolgen. Sie bestellen den Wagen auf 9 Uhr abends und thun, als wenn Sie vom ‚Weißen Schwan‘ abfahren wollten. Aber beim ‚Weißen Schwan‘ steigen Sie noch nicht in den Wagen. Beim Abfahren stehen da immer allerhand Leute aus der Nachbarschaft umher, und die muß man über die wirkliche Abfahrt täuschen, damit sie nicht französischen Soldaten auf Ihre Spur helfen können. Im letzten Augenblick vor der Abfahrt, wenn alles fertig ist, gehen Sie möglichst still und ungesehen dreißig Schritt vor dem Wagen her auf das Thor zu. Dort werden Sie mich finden, und ich führe Sie in das gleich vorn an der Chaussee liegende Haus meines Freundes Mertens, der hier im Gasthofe dient und ein zuverlässiger Mann ist. Dort sollen Sie unbemerkt auf Ihren Wagen warten. Ich kehre dann um und gebe dem Postillon einen Wink, daß er nachher vor dem Hause hält und Sie einsteigen läßt. Dem Sekretär aber rufe ich laut und so, daß die umstehenden Leute es hören, zu, er solle allein abreisen, der Herr Lord würde heute noch nicht fahren. Im Nothfall geben Sie mir für den Sekretär einen Zettel mit, auf den Sie Ihren Befehl aufgeschrieben haben. Die Hauptsache ist, daß wir das ganz genau so ausführen und daß wir zu niemand davon sprechen, auch zu dem Sekretär nicht. Dann haben wir die Sache allein in der Hand und schlagen den Franzosen ein Schnippchen. Wenn die Sie dann noch hier in einem Gasthofe vermuthen, sind Sie längst da, wo kein Franzose Ihnen mehr schaden kann.“

Bathurst hat diese Weisungen pünktlich befolgt, und die Ereignisse haben den von den Verbrechern gewünschten und berechneten Verlauf genommen. Als Bathurst von seinem Wagen her auf das Thor zuging, traf er den Schmidt und ließ sich von ihm nach dem Mertensschen Hause führen. In diesem Hause oder auf dem dazu gehörigen Hofe angekommen, ist er von einem der beiden Verbündeten in ein Gespräch verwickelt worden, und während desselben hat der andere ihn niedergeschlagen. Vielleicht ist Goldberger wirklich dazu gekommen, als sie ihn vergruben.


Blätter und Blüthen.

Ernst van Dyck. der ausgezeichnete Tenorist, dessen Name während der diesjährigen Bühnenfestspiele in Bayreuth und dann jüngst wieder aus Anlaß der Lohengrinaufführungen in Paris viel genannt wurde, ist von Geburt Vläme und zugleich ein Nachkomme des berühmten Malers, worauf er, und mit Recht, nicht wenig stolz ist. Es macht ihm stets ein Vergnügen, die geradlinige Abstammung aktenmäßig nachweisen zu können. Für seine Kunst von heiligem Ernste erfüllt, hatte er bittere Kämpfe zu bestehen, bis er erst seinen Willen durchgesetzt hatte, sich der Bühne widmen zu dürfen, bis er dann die Schwierigkeiten überwand, welche seine französische Erziehung und der Mangel an Kenntniß der deutschen Sprache ihm in den Weg legten, als er sich entschloß, zur deutschen Oper überzugehen. Diejenigen, welche ihn im Jahre 1888 in Bayreuth zum ersten Male als „Parsifal“ zu hören bekamen, werden sich gewiß ihres Erstaunens erinnern über das Wagniß, den der deutschen Sprache fast gänzlich Unkundigen in einer solchen Rolle auf die Bühne zu stellen. Aber dem eisernen Fleiße van Dycks gelang es, diesen Mangel bald auszugleichen. In den wenigen Jahren seines Wirkens an der Wiener Oper hat der junge Künstler viel gelernt, dank seinem Meister Dr. Hans Paumgartner; und als es galt, dem „Lohengrin“ den lange bestrittenen Platz auf der Pariser Bühne zu erobern, da war es klar, daß man für die Titelrolle in erster Linie van Dyck von der österreichischen Hauptstadt heranzog.

In guter Schulung gehalten, entwickelte sich Stimme und Ausdruck bei dem Sänger in glänzender Weise. Wäre es nach dem Willen seiner Eltern gegangen, nimmer würde van Dyck die Bretter betreten haben. Er wurde am 2. April 1861 zu Antwerpen geboren, studierte in Löwen und Brüssel die Rechte und ging dann unter dem schärfsten Widerstande seiner Familie nach Paris, um dort Gesangsunterricht zu nehmen. Damit er seinen Lebensunterhalt findet – die wohlhabende Familie hatte die Kasse gesperrt! – wird er Mitarbeiter des Blattes „La Patrie“ und studiert nebenher bei St. Yves. So wurde er dreiundzwanzig Jahre alt, als ihn zufällig in einem Privatkonzerte der Komponist Massenet singen hörte – und sein Schicksal war entschieden. Massenet ließ ihn sofort im „Institut de France“ auftreten und damit war van Dycks Name gemacht. Selbstverständlich ist der junge Sänger begeisterter Anhänger von Richard Wagners Kunst. Er hätte sonst wohl auch kaum das Wagestück unternommen, trotz aller Hetzereien und Drohungen, welche der Aufführung vorangingen, in der urdeutschen Rolle des Lohengrin vor das Publikum der französischen Hauptstadt zu treten.

Eine neue Schlacht im Krieg gegen die Straßenschleppe hat die Gemeindeverwaltung von Meran geschlagen, mit siegreichem Erfolg. Die Belästigung durch die staubaufwirbelnden langen Kleider der Damen wurde dort namentlich für die Kranken eine unerträgliche. Die Gemeinde beschloß, Abhilfe zu treffen, und ließ einfach überall die Promenadeordnung anschlagen mit besonderer Betonung des Paragraph 3, welcher lautet: „Die Damen werden höflichst ersucht, sich auf den Promenaden fußfreier Kleider zu bedienen, um das Aufwirbeln des Staubes zu verhindern.“ Wer sich dieser Vorschrift nicht fügte, wurde von den Aufsichtsorganen ohne Unterschied der Person auf die Verfügung aufmerksam gemacht, und diese Fingerzeige müssen wohl noch stärker gewirkt haben als die Lockungen der Mode, denn die Schleppen verschwanden allmählich auf den Promenaden, die Damen überließen das Geschäft des Staubaufwirbelns dem Winde. Vielleicht entschließen sich die einsichtigen Vertreterinnen des Geschmacks auch in anderen Städten zu einem ähnlichen Verzicht und beseitigen so endgültig dieses große Stück – „Frauenfrage“.

Welke Blätter. (Zu dem Bilde S. 761.) Ein trübseliges Geschäft, an kühlem nebligen Herbstmorgen die von den Bäumen des Parkes gefallenen Blätter, die stummen Zeugen der ersterbenden Natur, zusammenzukehren. Ob wohl die Männer, welche wir auf unserem stimmungsvollen Bilde bei solcher Arbeit begriffen sehen, eine Empfindung dafür haben? Fast scheint es, als ob das nicht der Fall wäre. In gleichmäßiger Ruhe, mechanisch verrichten sie ihre Obliegenheit, und sie beachten wohl kaum das abgehärmte Menschenkind, welches vor ihnen auf der Bank sitzt und trüben Blickes ihrem Thun zusieht. Welke Blätter! Ja, in der Seele dieses müde zusammengebrochenen Mädchens sind auch die schönen Hoffnungen auf Liebe und Glück erstorben, ein blühender Sommer der Freude und Zuversicht ist dem tödlichen Reif des Herbstes erlegen, ihr Leben liegt vor ihr – ein welkes Blatt!

Aber der Lenz wird kommen, und seine Sonnenstrahlen werden neues Keimen und Grünen den Bäumen des Parkes entlocken. Der Frühling wird seinen heilenden Balsam auch auf die Wunden dieses armen Menschenherzens träufeln, daß es gesunde zu neuem Leben und neuer Daseinsfreude!




Inhalt: Ein Götzenbild. Roman von Marie Bernhard (9. Fortsetzung). S. 757. – Van Dyck als Lohengrin. Bildniß. S. 757. – Welke Blätter. Bild. S. 761. – Die Astronomie auf der Straße. II. Von Dr. C. Cranz. Mit Sternkarte. S. 763. – Die drei Vereinsbrüder. Eine Erzählung von Ernst Lenbach (Schluß). S. 764. Mit Abbildungen S. 764, 765 und 766. – Das Verschwinden des Lord Bathurst in Perleberg im Jahre 1809. Von Eduard Schulte. II. S. 766. – Hungrige Gesellschaft. Bild. S. 768 und 769. – Blätter und Blüthen: Ernst van Dyck. S. 772. (Zu dem Bildniß S. 757.) – Eine neue Schlacht im Krieg gegen die Straßenschleppe. S. 772. – Welke Blätter. S. 772. (Zu dem Bilde S. 761.)



In dem unterzeichneten Verlag ist soeben erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

[Verlagswerbung Ernst Keils Nachfolger für Neuerscheinungen von Sanders und Traeger. – hier nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 772. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_772.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2023)